in vielen Ländern der Mahomedaner heißen die Europäer und nicht blos aus Religionshaß, unreine Thiere.
Schwerlich hat uns die Natur die Zunge gegeben, daß einige Wärzchen auf ihr das Ziel unsres mühseligen Lebens oder gar des Jammers andrer Unglücklichen würden. Sie über- kleidete sie mit einem Gefühl des Wohlgeschmacks, theils, da- mit sie uns die Pflicht, den wütenden Hunger zu stillen, ver- süßte und uns mit gefälligern Banden zur beschwerlichen Ar- beit zöge; theils aber auch sollte das Gefühl dieses Organs der prüfende Wächter unsrer Gesundheit werden und den ha- ben an ihm alle üppige Nationen längst verlohren. Das Vieh kennet, was ihm gesund ist und wählt mit scheuer Vor- sicht seine Kräuter; das Giftige und Schädliche berühret es nicht und täuscht sich selten. Menschen, die unter den Thie- ren lebten, konnten die Nahrungsmittel, wie sie, unterscheiden; sie verlohren dies Kriterium unter den Menschen, wie jene Jndier ihren reinern Geruch verlohren, da sie ihre einfachen Speisen aufgaben. Völker, die in gesunder Freiheit leben, haben noch viel von diesem sinnlichen Führer. Nie oder sel- ten irren sie sich an Früchten ihres Landes; ja durch den Ge- ruch spürt der Nord-Amerikaner sogar seine Feinde aus und der Antille unterscheidet durch ihn die Fußtritte verschiedner Nationen. So können selbst die sinnlichsten, Thierartigen
Kräfte
Jdeen,II.Th. S
in vielen Laͤndern der Mahomedaner heißen die Europaͤer und nicht blos aus Religionshaß, unreine Thiere.
Schwerlich hat uns die Natur die Zunge gegeben, daß einige Waͤrzchen auf ihr das Ziel unſres muͤhſeligen Lebens oder gar des Jammers andrer Ungluͤcklichen wuͤrden. Sie uͤber- kleidete ſie mit einem Gefuͤhl des Wohlgeſchmacks, theils, da- mit ſie uns die Pflicht, den wuͤtenden Hunger zu ſtillen, ver- ſuͤßte und uns mit gefaͤlligern Banden zur beſchwerlichen Ar- beit zoͤge; theils aber auch ſollte das Gefuͤhl dieſes Organs der pruͤfende Waͤchter unſrer Geſundheit werden und den ha- ben an ihm alle uͤppige Nationen laͤngſt verlohren. Das Vieh kennet, was ihm geſund iſt und waͤhlt mit ſcheuer Vor- ſicht ſeine Kraͤuter; das Giftige und Schaͤdliche beruͤhret es nicht und taͤuſcht ſich ſelten. Menſchen, die unter den Thie- ren lebten, konnten die Nahrungsmittel, wie ſie, unterſcheiden; ſie verlohren dies Kriterium unter den Menſchen, wie jene Jndier ihren reinern Geruch verlohren, da ſie ihre einfachen Speiſen aufgaben. Voͤlker, die in geſunder Freiheit leben, haben noch viel von dieſem ſinnlichen Fuͤhrer. Nie oder ſel- ten irren ſie ſich an Fruͤchten ihres Landes; ja durch den Ge- ruch ſpuͤrt der Nord-Amerikaner ſogar ſeine Feinde aus und der Antille unterſcheidet durch ihn die Fußtritte verſchiedner Nationen. So koͤnnen ſelbſt die ſinnlichſten, Thierartigen
Kraͤfte
Jdeen,II.Th. S
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in vielen Laͤndern der Mahomedaner heißen die Europaͤer und
nicht blos aus Religionshaß, unreine Thiere.
Schwerlich hat uns die Natur die Zunge gegeben, daß
einige Waͤrzchen auf ihr das Ziel unſres muͤhſeligen Lebens
oder gar des Jammers andrer Ungluͤcklichen wuͤrden. Sie uͤber-
kleidete ſie mit einem Gefuͤhl des Wohlgeſchmacks, theils, da-
mit ſie uns die Pflicht, den wuͤtenden Hunger zu ſtillen, ver-
ſuͤßte und uns mit gefaͤlligern Banden zur beſchwerlichen Ar-
beit zoͤge; theils aber auch ſollte das Gefuͤhl dieſes Organs
der pruͤfende Waͤchter unſrer Geſundheit werden und den ha-
ben an ihm alle uͤppige Nationen laͤngſt verlohren. Das
Vieh kennet, was ihm geſund iſt und waͤhlt mit ſcheuer Vor-
ſicht ſeine Kraͤuter; das Giftige und Schaͤdliche beruͤhret es
nicht und taͤuſcht ſich ſelten. Menſchen, die unter den Thie-
ren lebten, konnten die Nahrungsmittel, wie ſie, unterſcheiden;
ſie verlohren dies Kriterium unter den Menſchen, wie jene
Jndier ihren reinern Geruch verlohren, da ſie ihre einfachen
Speiſen aufgaben. Voͤlker, die in geſunder Freiheit leben,
haben noch viel von dieſem ſinnlichen Fuͤhrer. Nie oder ſel-
ten irren ſie ſich an Fruͤchten ihres Landes; ja durch den Ge-
ruch ſpuͤrt der Nord-Amerikaner ſogar ſeine Feinde aus und
der Antille unterſcheidet durch ihn die Fußtritte verſchiedner
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Kraͤfte
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/149>, abgerufen am 24.11.2024.
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