reich fortpflanzte, ging bald von dannen; Thiere, die lang- samer wuchsen, die auf einmal weniger gebahren, oder die gar ein Leben der vernunftähnlichen Haushaltung führen soll- ten: denen ward auch ein längeres und dem Menschen Ver- gleichungsweise das längste Leben. Doch rechnete die Natur hiebei nicht nur aufs einzelne Geschöpf, sondern auch auf die Erhaltung des ganzen Geschlechtes und der Geschlechter, die über ihm standen. Die untern Reiche waren also nicht nur stark besetzt, sondern, wo es der Zweck des Geschöpfs zuließ, daurete auch ihr Leben länger. Das Meer, der unerschöpfli- che Lebensquell, erhält seine Bewohner, die von zäher Le- benskraft sind, am längsten; und die Amphibien, halbe Was- serbewohner, nähern sich ihnen an Länge des Lebens. Die Bewohner der Luft, weniger beschwert von der Erdenahrung, die die Landthiere allmälich verhärtet, leben im Ganzen län- ger als diese: Luft und Wasser scheinen also das große Vor- rathshaus der Lebendigen, die nachher in schnellern Ue- bergängen die Erde aufreibt und verzehret.
5. Je organisirter ein Geschöpf ist, desto mehr ist sein Bau zusammengesetzt aus den niedrigen Reichen. Un- ter der Erde fängt diese Vielartigkeit an und sie wächst hin- auf durch Pflanzen, Thiere, bis zum vielartigsten Geschöpf, dem Menschen. Sein Blut und seine vielnamigen Bestand-
theile
reich fortpflanzte, ging bald von dannen; Thiere, die lang- ſamer wuchſen, die auf einmal weniger gebahren, oder die gar ein Leben der vernunftaͤhnlichen Haushaltung fuͤhren ſoll- ten: denen ward auch ein laͤngeres und dem Menſchen Ver- gleichungsweiſe das laͤngſte Leben. Doch rechnete die Natur hiebei nicht nur aufs einzelne Geſchoͤpf, ſondern auch auf die Erhaltung des ganzen Geſchlechtes und der Geſchlechter, die uͤber ihm ſtanden. Die untern Reiche waren alſo nicht nur ſtark beſetzt, ſondern, wo es der Zweck des Geſchoͤpfs zuließ, daurete auch ihr Leben laͤnger. Das Meer, der unerſchoͤpfli- che Lebensquell, erhaͤlt ſeine Bewohner, die von zaͤher Le- benskraft ſind, am laͤngſten; und die Amphibien, halbe Waſ- ſerbewohner, naͤhern ſich ihnen an Laͤnge des Lebens. Die Bewohner der Luft, weniger beſchwert von der Erdenahrung, die die Landthiere allmaͤlich verhaͤrtet, leben im Ganzen laͤn- ger als dieſe: Luft und Waſſer ſcheinen alſo das große Vor- rathshaus der Lebendigen, die nachher in ſchnellern Ue- bergaͤngen die Erde aufreibt und verzehret.
5. Je organiſirter ein Geſchoͤpf iſt, deſto mehr iſt ſein Bau zuſammengeſetzt aus den niedrigen Reichen. Un- ter der Erde faͤngt dieſe Vielartigkeit an und ſie waͤchſt hin- auf durch Pflanzen, Thiere, bis zum vielartigſten Geſchoͤpf, dem Menſchen. Sein Blut und ſeine vielnamigen Beſtand-
theile
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0269"n="267[247]"/>
reich fortpflanzte, ging bald von dannen; Thiere, die lang-<lb/>ſamer wuchſen, die auf einmal weniger gebahren, oder die<lb/>
gar ein Leben der vernunftaͤhnlichen Haushaltung fuͤhren ſoll-<lb/>
ten: denen ward auch ein laͤngeres und dem Menſchen Ver-<lb/>
gleichungsweiſe das laͤngſte Leben. Doch rechnete die Natur<lb/>
hiebei nicht nur aufs einzelne Geſchoͤpf, ſondern auch auf die<lb/>
Erhaltung des ganzen Geſchlechtes und der Geſchlechter, die<lb/>
uͤber ihm ſtanden. Die untern Reiche waren alſo nicht nur<lb/>ſtark beſetzt, ſondern, wo es der Zweck des Geſchoͤpfs zuließ,<lb/>
daurete auch ihr Leben laͤnger. Das Meer, der unerſchoͤpfli-<lb/>
che Lebensquell, erhaͤlt ſeine Bewohner, die von zaͤher Le-<lb/>
benskraft ſind, am laͤngſten; und die Amphibien, halbe Waſ-<lb/>ſerbewohner, naͤhern ſich ihnen an Laͤnge des Lebens. Die<lb/>
Bewohner der Luft, weniger beſchwert von der Erdenahrung,<lb/>
die die Landthiere allmaͤlich verhaͤrtet, leben im Ganzen laͤn-<lb/>
ger als dieſe: Luft und Waſſer ſcheinen alſo das große <hirendition="#fr">Vor-<lb/>
rathshaus der Lebendigen</hi>, die nachher in ſchnellern Ue-<lb/>
bergaͤngen die Erde aufreibt und verzehret.</p><lb/><p>5. Je organiſirter ein Geſchoͤpf iſt, <hirendition="#fr">deſto mehr iſt ſein<lb/>
Bau zuſammengeſetzt aus den niedrigen Reichen</hi>. Un-<lb/>
ter der Erde faͤngt dieſe Vielartigkeit an und ſie waͤchſt hin-<lb/>
auf durch Pflanzen, Thiere, bis zum vielartigſten Geſchoͤpf,<lb/>
dem Menſchen. Sein Blut und ſeine vielnamigen Beſtand-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">theile</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[267[247]/0269]
reich fortpflanzte, ging bald von dannen; Thiere, die lang-
ſamer wuchſen, die auf einmal weniger gebahren, oder die
gar ein Leben der vernunftaͤhnlichen Haushaltung fuͤhren ſoll-
ten: denen ward auch ein laͤngeres und dem Menſchen Ver-
gleichungsweiſe das laͤngſte Leben. Doch rechnete die Natur
hiebei nicht nur aufs einzelne Geſchoͤpf, ſondern auch auf die
Erhaltung des ganzen Geſchlechtes und der Geſchlechter, die
uͤber ihm ſtanden. Die untern Reiche waren alſo nicht nur
ſtark beſetzt, ſondern, wo es der Zweck des Geſchoͤpfs zuließ,
daurete auch ihr Leben laͤnger. Das Meer, der unerſchoͤpfli-
che Lebensquell, erhaͤlt ſeine Bewohner, die von zaͤher Le-
benskraft ſind, am laͤngſten; und die Amphibien, halbe Waſ-
ſerbewohner, naͤhern ſich ihnen an Laͤnge des Lebens. Die
Bewohner der Luft, weniger beſchwert von der Erdenahrung,
die die Landthiere allmaͤlich verhaͤrtet, leben im Ganzen laͤn-
ger als dieſe: Luft und Waſſer ſcheinen alſo das große Vor-
rathshaus der Lebendigen, die nachher in ſchnellern Ue-
bergaͤngen die Erde aufreibt und verzehret.
5. Je organiſirter ein Geſchoͤpf iſt, deſto mehr iſt ſein
Bau zuſammengeſetzt aus den niedrigen Reichen. Un-
ter der Erde faͤngt dieſe Vielartigkeit an und ſie waͤchſt hin-
auf durch Pflanzen, Thiere, bis zum vielartigſten Geſchoͤpf,
dem Menſchen. Sein Blut und ſeine vielnamigen Beſtand-
theile
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 267[247]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/269>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.