Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

streckte, weiß die Ursach, warum er auch Peschereis und Neu-
seeländer in dieser seiner Welten zuließ. Dem größesten
Verächter des Menschengeschlechts ists indessen unläugbar,
daß in so viel wilde Ranken Vernunft und Freiheit unter
den Kindern der Erde aufgeschossen sind, diese edeln Gewäch-
se unter dem Licht der himmlischen Sonne auch schöne Früch-
te getragen haben. Fast unglaublich wäre es, wenn es uns
die Geschichte nicht sagte, in welche Höhen sich der menschli-
che Verstand gewagt und der schaffenden, erhaltenden Gott-
heit nicht nur nachzuspähen sondern auch ordnend nachzu-
folgen bemüht hat. Jm Chaos der Wesen, das ihm die
Sinne zeigen, hat er Einheit und Verstand, Gesetze der Ord-
nung und Schönheit gesucht und gefunden. Die verbor-
gensten Kräfte, die er von innen gar nicht kennet, hat er in
ihrem äußern Gange belauscht und der Bewegung, der Zahl,
dem Maas, dem Leben, sogar dem Daseyn nachgespürt, wo
er dieselbe im Himmel und auf Erden nur wirken sah. Alle
seine Versuche hierüber, selbst wo er irrte oder nur träumen
konnte, sind Beweise seiner Majestät, einer Gottähnlichen
Kraft und Hoheit. Das Wesen, das Alles schuf, hat wirklich
einen Stral seines Lichts, einen Abdruck der ihm eigensten
Kräfte in unsre schwache Organisation gelegt und so niedrig
der Mensch ist, kann er zu sich sagen: "ich habe etwas mit
Gott gemein; ich besitze Fähigkeiten, die der Erhabenste,

den

ſtreckte, weiß die Urſach, warum er auch Peſchereis und Neu-
ſeelaͤnder in dieſer ſeiner Welten zuließ. Dem groͤßeſten
Veraͤchter des Menſchengeſchlechts iſts indeſſen unlaͤugbar,
daß in ſo viel wilde Ranken Vernunft und Freiheit unter
den Kindern der Erde aufgeſchoſſen ſind, dieſe edeln Gewaͤch-
ſe unter dem Licht der himmliſchen Sonne auch ſchoͤne Fruͤch-
te getragen haben. Faſt unglaublich waͤre es, wenn es uns
die Geſchichte nicht ſagte, in welche Hoͤhen ſich der menſchli-
che Verſtand gewagt und der ſchaffenden, erhaltenden Gott-
heit nicht nur nachzuſpaͤhen ſondern auch ordnend nachzu-
folgen bemuͤht hat. Jm Chaos der Weſen, das ihm die
Sinne zeigen, hat er Einheit und Verſtand, Geſetze der Ord-
nung und Schoͤnheit geſucht und gefunden. Die verbor-
genſten Kraͤfte, die er von innen gar nicht kennet, hat er in
ihrem aͤußern Gange belauſcht und der Bewegung, der Zahl,
dem Maas, dem Leben, ſogar dem Daſeyn nachgeſpuͤrt, wo
er dieſelbe im Himmel und auf Erden nur wirken ſah. Alle
ſeine Verſuche hieruͤber, ſelbſt wo er irrte oder nur traͤumen
konnte, ſind Beweiſe ſeiner Majeſtaͤt, einer Gottaͤhnlichen
Kraft und Hoheit. Das Weſen, das Alles ſchuf, hat wirklich
einen Stral ſeines Lichts, einen Abdruck der ihm eigenſten
Kraͤfte in unſre ſchwache Organiſation gelegt und ſo niedrig
der Menſch iſt, kann er zu ſich ſagen: “ich habe etwas mit
Gott gemein; ich beſitze Faͤhigkeiten, die der Erhabenſte,

den
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0236" n="234[214]"/>
&#x017F;treckte, weiß die Ur&#x017F;ach, warum er auch Pe&#x017F;chereis und Neu-<lb/>
&#x017F;eela&#x0364;nder in die&#x017F;er &#x017F;einer Welten zuließ. Dem gro&#x0364;ße&#x017F;ten<lb/>
Vera&#x0364;chter des Men&#x017F;chenge&#x017F;chlechts i&#x017F;ts inde&#x017F;&#x017F;en unla&#x0364;ugbar,<lb/>
daß in &#x017F;o viel wilde Ranken Vernunft und Freiheit unter<lb/>
den Kindern der Erde aufge&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ind, die&#x017F;e edeln Gewa&#x0364;ch-<lb/>
&#x017F;e unter dem Licht der himmli&#x017F;chen Sonne auch &#x017F;cho&#x0364;ne Fru&#x0364;ch-<lb/>
te getragen haben. Fa&#x017F;t unglaublich wa&#x0364;re es, wenn es uns<lb/>
die Ge&#x017F;chichte nicht &#x017F;agte, in welche Ho&#x0364;hen &#x017F;ich der men&#x017F;chli-<lb/>
che <hi rendition="#fr">Ver&#x017F;tand</hi> gewagt und der &#x017F;chaffenden, erhaltenden Gott-<lb/>
heit nicht nur nachzu&#x017F;pa&#x0364;hen &#x017F;ondern auch ordnend nachzu-<lb/>
folgen bemu&#x0364;ht hat. Jm Chaos der We&#x017F;en, das ihm die<lb/>
Sinne zeigen, hat er Einheit und Ver&#x017F;tand, Ge&#x017F;etze der Ord-<lb/>
nung und Scho&#x0364;nheit ge&#x017F;ucht und gefunden. Die verbor-<lb/>
gen&#x017F;ten Kra&#x0364;fte, die er von innen gar nicht kennet, hat er in<lb/>
ihrem a&#x0364;ußern Gange belau&#x017F;cht und der Bewegung, der Zahl,<lb/>
dem Maas, dem Leben, &#x017F;ogar dem Da&#x017F;eyn nachge&#x017F;pu&#x0364;rt, wo<lb/>
er die&#x017F;elbe im Himmel und auf Erden nur wirken &#x017F;ah. Alle<lb/>
&#x017F;eine Ver&#x017F;uche hieru&#x0364;ber, &#x017F;elb&#x017F;t wo er irrte oder nur tra&#x0364;umen<lb/>
konnte, &#x017F;ind Bewei&#x017F;e &#x017F;einer Maje&#x017F;ta&#x0364;t, einer Gotta&#x0364;hnlichen<lb/>
Kraft und Hoheit. Das We&#x017F;en, das Alles &#x017F;chuf, hat wirklich<lb/>
einen Stral &#x017F;eines Lichts, einen Abdruck der ihm eigen&#x017F;ten<lb/>
Kra&#x0364;fte in un&#x017F;re &#x017F;chwache Organi&#x017F;ation gelegt und &#x017F;o niedrig<lb/>
der Men&#x017F;ch i&#x017F;t, kann er zu &#x017F;ich &#x017F;agen: &#x201C;ich habe etwas mit<lb/>
Gott gemein; ich be&#x017F;itze Fa&#x0364;higkeiten, die der Erhaben&#x017F;te,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">den</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[234[214]/0236] ſtreckte, weiß die Urſach, warum er auch Peſchereis und Neu- ſeelaͤnder in dieſer ſeiner Welten zuließ. Dem groͤßeſten Veraͤchter des Menſchengeſchlechts iſts indeſſen unlaͤugbar, daß in ſo viel wilde Ranken Vernunft und Freiheit unter den Kindern der Erde aufgeſchoſſen ſind, dieſe edeln Gewaͤch- ſe unter dem Licht der himmliſchen Sonne auch ſchoͤne Fruͤch- te getragen haben. Faſt unglaublich waͤre es, wenn es uns die Geſchichte nicht ſagte, in welche Hoͤhen ſich der menſchli- che Verſtand gewagt und der ſchaffenden, erhaltenden Gott- heit nicht nur nachzuſpaͤhen ſondern auch ordnend nachzu- folgen bemuͤht hat. Jm Chaos der Weſen, das ihm die Sinne zeigen, hat er Einheit und Verſtand, Geſetze der Ord- nung und Schoͤnheit geſucht und gefunden. Die verbor- genſten Kraͤfte, die er von innen gar nicht kennet, hat er in ihrem aͤußern Gange belauſcht und der Bewegung, der Zahl, dem Maas, dem Leben, ſogar dem Daſeyn nachgeſpuͤrt, wo er dieſelbe im Himmel und auf Erden nur wirken ſah. Alle ſeine Verſuche hieruͤber, ſelbſt wo er irrte oder nur traͤumen konnte, ſind Beweiſe ſeiner Majeſtaͤt, einer Gottaͤhnlichen Kraft und Hoheit. Das Weſen, das Alles ſchuf, hat wirklich einen Stral ſeines Lichts, einen Abdruck der ihm eigenſten Kraͤfte in unſre ſchwache Organiſation gelegt und ſo niedrig der Menſch iſt, kann er zu ſich ſagen: “ich habe etwas mit Gott gemein; ich beſitze Faͤhigkeiten, die der Erhabenſte, den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/236
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 234[214]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/236>, abgerufen am 24.11.2024.