Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

wir in unsrer vielorganisirten Maschine nur nicht entwickeln.
Das Auge, das Ohr! Zu welchen Feinheiten ist der Mensch
schon durch sie gelangt und wird in einem höhern Zustande
gewiß weiter gelangen, da, wie Berklei sagt, das Licht eine
Sprache Gottes ist, die unser feinster Sinn in tausend Ge-
stalten und Farben unabläßig nur buchstabiret. Der Wohl-
laut, den das menschliche Ohr empfindet und den die Kunst
nur entwickelt, ist die feinste Meßkunst, die die Seele durch
den Sinn dunkel ausübet; so wie sie durchs Auge, indem
der Lichtstral auf ihm spielet, die feinste Geometrie beweiset.
Unendlich werden wir uns wundern, wenn wir, in unserm
Daseyn einen Schritt weiter, alle das mit klarem Blick sehn,
was wir in unsrer vielorganisirten göttlichen Maschine mit
Sinnen und Kräften dunkel übten und in welchem sich sei-
ner Organisation gemäß das Thier schon vorzuüben scheinet.

Jndessen wären alle diese Kunstwerkzeuge, Gehirn,
Sinne und Hand auch in der aufrechten Gestalt unwirksam
geblieben, wenn uns der Schöpfer nicht eine Triebfeder ge-
geben hätte, die sie alle in Bewegung setzte; es war das
göttliche Geschenk der Rede
. Nur durch die Rede wird
die schlummernde Vernunft erweckt oder vielmehr die nackte
Fähigkeit, die durch sich selbst ewig todt geblieben wäre, wird
durch die Sprache lebendige Kraft und Wirkung. Nur

durch

wir in unſrer vielorganiſirten Maſchine nur nicht entwickeln.
Das Auge, das Ohr! Zu welchen Feinheiten iſt der Menſch
ſchon durch ſie gelangt und wird in einem hoͤhern Zuſtande
gewiß weiter gelangen, da, wie Berklei ſagt, das Licht eine
Sprache Gottes iſt, die unſer feinſter Sinn in tauſend Ge-
ſtalten und Farben unablaͤßig nur buchſtabiret. Der Wohl-
laut, den das menſchliche Ohr empfindet und den die Kunſt
nur entwickelt, iſt die feinſte Meßkunſt, die die Seele durch
den Sinn dunkel ausuͤbet; ſo wie ſie durchs Auge, indem
der Lichtſtral auf ihm ſpielet, die feinſte Geometrie beweiſet.
Unendlich werden wir uns wundern, wenn wir, in unſerm
Daſeyn einen Schritt weiter, alle das mit klarem Blick ſehn,
was wir in unſrer vielorganiſirten goͤttlichen Maſchine mit
Sinnen und Kraͤften dunkel uͤbten und in welchem ſich ſei-
ner Organiſation gemaͤß das Thier ſchon vorzuuͤben ſcheinet.

Jndeſſen waͤren alle dieſe Kunſtwerkzeuge, Gehirn,
Sinne und Hand auch in der aufrechten Geſtalt unwirkſam
geblieben, wenn uns der Schoͤpfer nicht eine Triebfeder ge-
geben haͤtte, die ſie alle in Bewegung ſetzte; es war das
goͤttliche Geſchenk der Rede
. Nur durch die Rede wird
die ſchlummernde Vernunft erweckt oder vielmehr die nackte
Faͤhigkeit, die durch ſich ſelbſt ewig todt geblieben waͤre, wird
durch die Sprache lebendige Kraft und Wirkung. Nur

durch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0221" n="229[199]"/>
          <p>wir in un&#x017F;rer vielorgani&#x017F;irten Ma&#x017F;chine nur nicht entwickeln.<lb/>
Das Auge, das Ohr! Zu welchen Feinheiten i&#x017F;t der Men&#x017F;ch<lb/>
&#x017F;chon durch &#x017F;ie gelangt und wird in einem ho&#x0364;hern Zu&#x017F;tande<lb/>
gewiß weiter gelangen, da, wie <hi rendition="#fr">Berklei</hi> &#x017F;agt, das Licht eine<lb/>
Sprache Gottes i&#x017F;t, die un&#x017F;er fein&#x017F;ter Sinn in tau&#x017F;end Ge-<lb/>
&#x017F;talten und Farben unabla&#x0364;ßig nur buch&#x017F;tabiret. Der Wohl-<lb/>
laut, den das men&#x017F;chliche Ohr empfindet und den die Kun&#x017F;t<lb/>
nur entwickelt, i&#x017F;t die fein&#x017F;te Meßkun&#x017F;t, die die Seele durch<lb/>
den Sinn dunkel ausu&#x0364;bet; &#x017F;o wie &#x017F;ie durchs Auge, indem<lb/>
der Licht&#x017F;tral auf ihm &#x017F;pielet, die fein&#x017F;te Geometrie bewei&#x017F;et.<lb/>
Unendlich werden wir uns wundern, wenn wir, in un&#x017F;erm<lb/>
Da&#x017F;eyn einen Schritt weiter, alle das mit klarem Blick &#x017F;ehn,<lb/>
was wir in un&#x017F;rer vielorgani&#x017F;irten go&#x0364;ttlichen Ma&#x017F;chine mit<lb/>
Sinnen und Kra&#x0364;ften dunkel u&#x0364;bten und in welchem &#x017F;ich &#x017F;ei-<lb/>
ner Organi&#x017F;ation gema&#x0364;ß das Thier &#x017F;chon vorzuu&#x0364;ben &#x017F;cheinet.</p><lb/>
          <p>Jnde&#x017F;&#x017F;en wa&#x0364;ren alle die&#x017F;e Kun&#x017F;twerkzeuge, Gehirn,<lb/>
Sinne und Hand auch in der aufrechten Ge&#x017F;talt unwirk&#x017F;am<lb/>
geblieben, wenn uns der Scho&#x0364;pfer nicht eine Triebfeder ge-<lb/>
geben ha&#x0364;tte, die &#x017F;ie alle in Bewegung &#x017F;etzte; es war <hi rendition="#fr">das<lb/>
go&#x0364;ttliche Ge&#x017F;chenk der Rede</hi>. Nur durch die Rede wird<lb/>
die &#x017F;chlummernde Vernunft erweckt oder vielmehr die nackte<lb/>
Fa&#x0364;higkeit, die durch &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t ewig todt geblieben wa&#x0364;re, wird<lb/>
durch die Sprache lebendige Kraft und Wirkung. Nur<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">durch</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[229[199]/0221] wir in unſrer vielorganiſirten Maſchine nur nicht entwickeln. Das Auge, das Ohr! Zu welchen Feinheiten iſt der Menſch ſchon durch ſie gelangt und wird in einem hoͤhern Zuſtande gewiß weiter gelangen, da, wie Berklei ſagt, das Licht eine Sprache Gottes iſt, die unſer feinſter Sinn in tauſend Ge- ſtalten und Farben unablaͤßig nur buchſtabiret. Der Wohl- laut, den das menſchliche Ohr empfindet und den die Kunſt nur entwickelt, iſt die feinſte Meßkunſt, die die Seele durch den Sinn dunkel ausuͤbet; ſo wie ſie durchs Auge, indem der Lichtſtral auf ihm ſpielet, die feinſte Geometrie beweiſet. Unendlich werden wir uns wundern, wenn wir, in unſerm Daſeyn einen Schritt weiter, alle das mit klarem Blick ſehn, was wir in unſrer vielorganiſirten goͤttlichen Maſchine mit Sinnen und Kraͤften dunkel uͤbten und in welchem ſich ſei- ner Organiſation gemaͤß das Thier ſchon vorzuuͤben ſcheinet. Jndeſſen waͤren alle dieſe Kunſtwerkzeuge, Gehirn, Sinne und Hand auch in der aufrechten Geſtalt unwirkſam geblieben, wenn uns der Schoͤpfer nicht eine Triebfeder ge- geben haͤtte, die ſie alle in Bewegung ſetzte; es war das goͤttliche Geſchenk der Rede. Nur durch die Rede wird die ſchlummernde Vernunft erweckt oder vielmehr die nackte Faͤhigkeit, die durch ſich ſelbſt ewig todt geblieben waͤre, wird durch die Sprache lebendige Kraft und Wirkung. Nur durch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/221
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 229[199]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/221>, abgerufen am 25.11.2024.