dung deiner Glieder zum aufrechten Gange, bekam das Haupt seine schöne Stellung und Richtung; mithin gewann das Hirn, dies zarte ätherische Himmelsgewächs, völligen Raum sich umherzubreiten und seine Zweige abwärts zu versenden. Gedankenreich wölbte sich die Stirn, die thierischen Organe traten zurück, es ward eine menschliche Bildung. Je mehr sich der Schädel hob, desto tiefer trat das Gehör hinab, es fügte sich mit dem Gesicht freundschaftlicher zusammen und beide Sinne bekamen einen innern Zutritt zur heiligen Kam- mer der Jdeenbildung. Das kleinere Gehirn, die sprossende Blüte des Rückens und der sinnlichen Lebenskräfte trat, da es bei den Thieren herrschender war, mit dem andern Ge- hirn in ein untergeordnetes milderes Verhältniß. Die Stralen der wunderbarschönen gestreiften Körper wurden bei dem Menschen gezeichneter und feiner; ein Fingerzeig auf das unendlich feinere Licht, das in dieser mittlern Region zu- sammen und auseinander stralet. So ward, wenn ich in ei- nem Bilde reden darf, die Blume gebildet, die auf dem ver- längerten Rückenmark nur empor sproßte, sich aber vorn weg zu einem Gewächs voll ätherischer Kräfte wölbet, das nur auf diesem emporstrebenden Baum erzeugt werden konnte.
Denn ferner: Die ganze Proportion der organischen Kräfte eines Thiers ist der Vernunft noch nicht günstig. Jn
seiner
dung deiner Glieder zum aufrechten Gange, bekam das Haupt ſeine ſchoͤne Stellung und Richtung; mithin gewann das Hirn, dies zarte aͤtheriſche Himmelsgewaͤchs, voͤlligen Raum ſich umherzubreiten und ſeine Zweige abwaͤrts zu verſenden. Gedankenreich woͤlbte ſich die Stirn, die thieriſchen Organe traten zuruͤck, es ward eine menſchliche Bildung. Je mehr ſich der Schaͤdel hob, deſto tiefer trat das Gehoͤr hinab, es fuͤgte ſich mit dem Geſicht freundſchaftlicher zuſammen und beide Sinne bekamen einen innern Zutritt zur heiligen Kam- mer der Jdeenbildung. Das kleinere Gehirn, die ſproſſende Bluͤte des Ruͤckens und der ſinnlichen Lebenskraͤfte trat, da es bei den Thieren herrſchender war, mit dem andern Ge- hirn in ein untergeordnetes milderes Verhaͤltniß. Die Stralen der wunderbarſchoͤnen geſtreiften Koͤrper wurden bei dem Menſchen gezeichneter und feiner; ein Fingerzeig auf das unendlich feinere Licht, das in dieſer mittlern Region zu- ſammen und auseinander ſtralet. So ward, wenn ich in ei- nem Bilde reden darf, die Blume gebildet, die auf dem ver- laͤngerten Ruͤckenmark nur empor ſproßte, ſich aber vorn weg zu einem Gewaͤchs voll aͤtheriſcher Kraͤfte woͤlbet, das nur auf dieſem emporſtrebenden Baum erzeugt werden konnte.
Denn ferner: Die ganze Proportion der organiſchen Kraͤfte eines Thiers iſt der Vernunft noch nicht guͤnſtig. Jn
ſeiner
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0208"n="206[186]"/>
dung deiner Glieder zum aufrechten Gange, bekam das Haupt<lb/>ſeine ſchoͤne Stellung und Richtung; mithin gewann das<lb/>
Hirn, dies zarte aͤtheriſche Himmelsgewaͤchs, voͤlligen Raum<lb/>ſich umherzubreiten und ſeine Zweige abwaͤrts zu verſenden.<lb/>
Gedankenreich woͤlbte ſich die Stirn, die thieriſchen Organe<lb/>
traten zuruͤck, es ward eine menſchliche Bildung. Je mehr<lb/>ſich der Schaͤdel hob, deſto tiefer trat das Gehoͤr hinab, es<lb/>
fuͤgte ſich mit dem Geſicht freundſchaftlicher zuſammen und<lb/>
beide Sinne bekamen einen innern Zutritt zur heiligen Kam-<lb/>
mer der Jdeenbildung. Das kleinere Gehirn, die ſproſſende<lb/>
Bluͤte des Ruͤckens und der ſinnlichen Lebenskraͤfte trat, da<lb/>
es bei den Thieren herrſchender war, mit dem andern Ge-<lb/>
hirn in ein untergeordnetes milderes Verhaͤltniß. Die<lb/>
Stralen der wunderbarſchoͤnen geſtreiften Koͤrper wurden bei<lb/>
dem Menſchen gezeichneter und feiner; ein Fingerzeig auf<lb/>
das unendlich feinere Licht, das in dieſer mittlern Region zu-<lb/>ſammen und auseinander ſtralet. So ward, wenn ich in ei-<lb/>
nem Bilde reden darf, die Blume gebildet, die auf dem ver-<lb/>
laͤngerten Ruͤckenmark nur empor ſproßte, ſich aber vorn weg<lb/>
zu einem Gewaͤchs voll aͤtheriſcher Kraͤfte woͤlbet, das nur auf<lb/>
dieſem emporſtrebenden Baum erzeugt werden konnte.</p><lb/><p>Denn ferner: Die ganze Proportion der organiſchen<lb/>
Kraͤfte eines Thiers iſt der Vernunft noch nicht guͤnſtig. Jn<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſeiner</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[206[186]/0208]
dung deiner Glieder zum aufrechten Gange, bekam das Haupt
ſeine ſchoͤne Stellung und Richtung; mithin gewann das
Hirn, dies zarte aͤtheriſche Himmelsgewaͤchs, voͤlligen Raum
ſich umherzubreiten und ſeine Zweige abwaͤrts zu verſenden.
Gedankenreich woͤlbte ſich die Stirn, die thieriſchen Organe
traten zuruͤck, es ward eine menſchliche Bildung. Je mehr
ſich der Schaͤdel hob, deſto tiefer trat das Gehoͤr hinab, es
fuͤgte ſich mit dem Geſicht freundſchaftlicher zuſammen und
beide Sinne bekamen einen innern Zutritt zur heiligen Kam-
mer der Jdeenbildung. Das kleinere Gehirn, die ſproſſende
Bluͤte des Ruͤckens und der ſinnlichen Lebenskraͤfte trat, da
es bei den Thieren herrſchender war, mit dem andern Ge-
hirn in ein untergeordnetes milderes Verhaͤltniß. Die
Stralen der wunderbarſchoͤnen geſtreiften Koͤrper wurden bei
dem Menſchen gezeichneter und feiner; ein Fingerzeig auf
das unendlich feinere Licht, das in dieſer mittlern Region zu-
ſammen und auseinander ſtralet. So ward, wenn ich in ei-
nem Bilde reden darf, die Blume gebildet, die auf dem ver-
laͤngerten Ruͤckenmark nur empor ſproßte, ſich aber vorn weg
zu einem Gewaͤchs voll aͤtheriſcher Kraͤfte woͤlbet, das nur auf
dieſem emporſtrebenden Baum erzeugt werden konnte.
Denn ferner: Die ganze Proportion der organiſchen
Kraͤfte eines Thiers iſt der Vernunft noch nicht guͤnſtig. Jn
ſeiner
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 206[186]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/208>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.