Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

Menschenähnlichen Thieren anf dies innere Verhältniß der
Theile nach der Lage gegen einander und nach der Rich-
tung des Haupts in seiner Organisation zum Ganzen

Rücksicht nehmen mögten; hier, glaube ich, wohnt der Un-
terschied einer Organisation zu diesem oder jenem Jnstinkt,
zur Wirkung einer Thier- oder Menschenseele: denn jedes
Geschöpf ist in allen seinen Theilen ein lebendig-zusammen-
wirkendes Ganze.

7. Selbst der Winkel der menschlichen Wohlgestalt
oder Mißbildung scheinet sich aus diesem einfachen und all-
gemeinen Gesetz der Bildung des Haupts zum aufrechten
Gange bestimmen zu lassen: denn da diese Form des Kopfs,
diese Ausbreitung des Gehirns in seine weiten und schönen
Hemisphäre, mithin die innere Bildung zur Vernunft und
Freiheit nur auf einer aufrechten Gestalt möglich war,
wie das Verhältniß und die Gravitation dieser Theile selbst,
die Proportion ihrer Wärme und die Art ihres Blutumlaufs
zeiget: so konnte auch aus diesem innern Verhältniß nichts
anders als die menschliche Wohlgestalt werden. Warum
neiget sich die griechische Form des Oberhaupts so angenehm
vor? weil sie den weitesten Raum eines freien Gehirns um-
schließt, ja auch schöne, gesunde Stirnhölen verräth, also ei-
nen Tempel jugentlich-schöner und reiner Menschenge-

danken

Menſchenaͤhnlichen Thieren anf dies innere Verhaͤltniß der
Theile nach der Lage gegen einander und nach der Rich-
tung des Haupts in ſeiner Organiſation zum Ganzen

Ruͤckſicht nehmen moͤgten; hier, glaube ich, wohnt der Un-
terſchied einer Organiſation zu dieſem oder jenem Jnſtinkt,
zur Wirkung einer Thier- oder Menſchenſeele: denn jedes
Geſchoͤpf iſt in allen ſeinen Theilen ein lebendig-zuſammen-
wirkendes Ganze.

7. Selbſt der Winkel der menſchlichen Wohlgeſtalt
oder Mißbildung ſcheinet ſich aus dieſem einfachen und all-
gemeinen Geſetz der Bildung des Haupts zum aufrechten
Gange beſtimmen zu laſſen: denn da dieſe Form des Kopfs,
dieſe Ausbreitung des Gehirns in ſeine weiten und ſchoͤnen
Hemiſphaͤre, mithin die innere Bildung zur Vernunft und
Freiheit nur auf einer aufrechten Geſtalt moͤglich war,
wie das Verhaͤltniß und die Gravitation dieſer Theile ſelbſt,
die Proportion ihrer Waͤrme und die Art ihres Blutumlaufs
zeiget: ſo konnte auch aus dieſem innern Verhaͤltniß nichts
anders als die menſchliche Wohlgeſtalt werden. Warum
neiget ſich die griechiſche Form des Oberhaupts ſo angenehm
vor? weil ſie den weiteſten Raum eines freien Gehirns um-
ſchließt, ja auch ſchoͤne, geſunde Stirnhoͤlen verraͤth, alſo ei-
nen Tempel jugentlich-ſchoͤner und reiner Menſchenge-

danken
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0206" n="204[184]"/>
Men&#x017F;chena&#x0364;hnlichen Thieren anf dies innere Verha&#x0364;ltniß der<lb/>
Theile <hi rendition="#fr">nach der Lage gegen einander und nach der Rich-<lb/>
tung des Haupts in &#x017F;einer Organi&#x017F;ation zum Ganzen</hi><lb/>
Ru&#x0364;ck&#x017F;icht nehmen mo&#x0364;gten; hier, glaube ich, wohnt der Un-<lb/>
ter&#x017F;chied einer Organi&#x017F;ation zu die&#x017F;em oder jenem Jn&#x017F;tinkt,<lb/>
zur Wirkung einer Thier- oder Men&#x017F;chen&#x017F;eele: denn jedes<lb/>
Ge&#x017F;cho&#x0364;pf i&#x017F;t in allen &#x017F;einen Theilen ein lebendig-zu&#x017F;ammen-<lb/>
wirkendes Ganze.</p><lb/>
          <p>7. Selb&#x017F;t der Winkel der men&#x017F;chlichen Wohlge&#x017F;talt<lb/>
oder Mißbildung &#x017F;cheinet &#x017F;ich aus die&#x017F;em einfachen und all-<lb/>
gemeinen Ge&#x017F;etz der Bildung des Haupts zum aufrechten<lb/>
Gange be&#x017F;timmen zu la&#x017F;&#x017F;en: denn da die&#x017F;e Form des Kopfs,<lb/>
die&#x017F;e Ausbreitung des Gehirns in &#x017F;eine weiten und &#x017F;cho&#x0364;nen<lb/>
Hemi&#x017F;pha&#x0364;re, mithin die innere Bildung zur Vernunft und<lb/>
Freiheit nur auf einer aufrechten Ge&#x017F;talt mo&#x0364;glich war,<lb/>
wie das Verha&#x0364;ltniß und die Gravitation die&#x017F;er Theile &#x017F;elb&#x017F;t,<lb/>
die Proportion ihrer Wa&#x0364;rme und die Art ihres Blutumlaufs<lb/>
zeiget: &#x017F;o konnte auch aus die&#x017F;em innern Verha&#x0364;ltniß nichts<lb/>
anders als die men&#x017F;chliche Wohlge&#x017F;talt werden. Warum<lb/>
neiget &#x017F;ich die griechi&#x017F;che Form des Oberhaupts &#x017F;o angenehm<lb/>
vor? weil &#x017F;ie den weite&#x017F;ten Raum eines freien Gehirns um-<lb/>
&#x017F;chließt, ja auch &#x017F;cho&#x0364;ne, ge&#x017F;unde Stirnho&#x0364;len verra&#x0364;th, al&#x017F;o ei-<lb/>
nen Tempel <hi rendition="#fr">jugentlich-&#x017F;cho&#x0364;ner und reiner Men&#x017F;chenge-</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">danken</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[204[184]/0206] Menſchenaͤhnlichen Thieren anf dies innere Verhaͤltniß der Theile nach der Lage gegen einander und nach der Rich- tung des Haupts in ſeiner Organiſation zum Ganzen Ruͤckſicht nehmen moͤgten; hier, glaube ich, wohnt der Un- terſchied einer Organiſation zu dieſem oder jenem Jnſtinkt, zur Wirkung einer Thier- oder Menſchenſeele: denn jedes Geſchoͤpf iſt in allen ſeinen Theilen ein lebendig-zuſammen- wirkendes Ganze. 7. Selbſt der Winkel der menſchlichen Wohlgeſtalt oder Mißbildung ſcheinet ſich aus dieſem einfachen und all- gemeinen Geſetz der Bildung des Haupts zum aufrechten Gange beſtimmen zu laſſen: denn da dieſe Form des Kopfs, dieſe Ausbreitung des Gehirns in ſeine weiten und ſchoͤnen Hemiſphaͤre, mithin die innere Bildung zur Vernunft und Freiheit nur auf einer aufrechten Geſtalt moͤglich war, wie das Verhaͤltniß und die Gravitation dieſer Theile ſelbſt, die Proportion ihrer Waͤrme und die Art ihres Blutumlaufs zeiget: ſo konnte auch aus dieſem innern Verhaͤltniß nichts anders als die menſchliche Wohlgeſtalt werden. Warum neiget ſich die griechiſche Form des Oberhaupts ſo angenehm vor? weil ſie den weiteſten Raum eines freien Gehirns um- ſchließt, ja auch ſchoͤne, geſunde Stirnhoͤlen verraͤth, alſo ei- nen Tempel jugentlich-ſchoͤner und reiner Menſchenge- danken

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/206
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 204[184]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/206>, abgerufen am 25.11.2024.