Labyrinthe der Menschengeschichte wagen könnten. Ueber- all hat mich die große Analogie der Natur auf Wahrhei- ten der Religion geführt, die ich nur mit Mühe unterdrücken mußte, weil ich sie mir selbst nicht zum voraus rauben, und Schritt vor Schritt nur dem Licht treu bleiben wollte, das mir von der verborgenen Gegenwart des Urhebers in seinen Werken allenthalben zustralet. Es wird ein um so größe- res Vergnügen für meine Leser und für mich seyn, wenn wir, unsern Weg verfolgend, dies dunkelstralende Licht zu- letzt als Flamme und Sonne werden aufgehen sehen.
Niemand irre sich daher auch daran, daß ich zuweilen den Namen der Natur personificirt gebrauche. Die Natur ist kein selbstständiges Wesen; sondern Gott ist Alles in seinen Werken: indessen wollte ich diesen hochhei- ligen Namen, den kein erkänntliches Geschöpf ohne die tiefste Ehrfurcht nennen sollte, durch einen öftern Gebrauch, bei dem ich ihm nicht immer Heiligkeit gnug verschaffen konnte, wenigstens nicht misbrauchen. Wem der Name "Natur" durch manche Schriften unsres Zeitalters sinnlos und niedrig geworden ist, der denke sich statt dessen jene allmächtige Kraft, Güte und Weisheit, und nenne in seiner Sele das unsichtbare Wesen, das keine Erdensprache zu nennen vermag.
Ein
* * 3
Labyrinthe der Menſchengeſchichte wagen koͤnnten. Ueber- all hat mich die große Analogie der Natur auf Wahrhei- ten der Religion gefuͤhrt, die ich nur mit Muͤhe unterdruͤcken mußte, weil ich ſie mir ſelbſt nicht zum voraus rauben, und Schritt vor Schritt nur dem Licht treu bleiben wollte, das mir von der verborgenen Gegenwart des Urhebers in ſeinen Werken allenthalben zuſtralet. Es wird ein um ſo groͤße- res Vergnuͤgen fuͤr meine Leſer und fuͤr mich ſeyn, wenn wir, unſern Weg verfolgend, dies dunkelſtralende Licht zu- letzt als Flamme und Sonne werden aufgehen ſehen.
Niemand irre ſich daher auch daran, daß ich zuweilen den Namen der Natur perſonificirt gebrauche. Die Natur iſt kein ſelbſtſtaͤndiges Weſen; ſondern Gott iſt Alles in ſeinen Werken: indeſſen wollte ich dieſen hochhei- ligen Namen, den kein erkaͤnntliches Geſchoͤpf ohne die tiefſte Ehrfurcht nennen ſollte, durch einen oͤftern Gebrauch, bei dem ich ihm nicht immer Heiligkeit gnug verſchaffen konnte, wenigſtens nicht misbrauchen. Wem der Name „Natur„ durch manche Schriften unſres Zeitalters ſinnlos und niedrig geworden iſt, der denke ſich ſtatt deſſen jene allmaͤchtige Kraft, Guͤte und Weisheit, und nenne in ſeiner Sele das unſichtbare Weſen, das keine Erdenſprache zu nennen vermag.
Ein
* * 3
<TEI><text><front><divn="1"><p><pbfacs="#f0019"/>
Labyrinthe der Menſchengeſchichte wagen koͤnnten. Ueber-<lb/>
all hat mich die große Analogie der Natur auf Wahrhei-<lb/>
ten der Religion gefuͤhrt, die ich nur mit Muͤhe unterdruͤcken<lb/>
mußte, weil ich ſie mir ſelbſt nicht zum voraus rauben, und<lb/>
Schritt vor Schritt nur dem Licht treu bleiben wollte, das<lb/>
mir von der verborgenen Gegenwart des Urhebers in ſeinen<lb/>
Werken allenthalben zuſtralet. Es wird ein um ſo groͤße-<lb/>
res Vergnuͤgen fuͤr meine Leſer und fuͤr mich ſeyn, wenn<lb/>
wir, unſern Weg verfolgend, dies dunkelſtralende Licht zu-<lb/>
letzt als Flamme und Sonne werden aufgehen ſehen.</p><lb/><p>Niemand irre ſich daher auch daran, daß ich zuweilen<lb/>
den Namen der Natur perſonificirt gebrauche. Die Natur<lb/>
iſt kein ſelbſtſtaͤndiges Weſen; ſondern <hirendition="#fr"><hirendition="#g">Gott iſt Alles<lb/>
in ſeinen Werken:</hi></hi> indeſſen wollte ich dieſen hochhei-<lb/>
ligen Namen, den kein erkaͤnntliches Geſchoͤpf ohne die<lb/>
tiefſte Ehrfurcht nennen ſollte, durch einen oͤftern Gebrauch,<lb/>
bei dem ich ihm nicht immer Heiligkeit gnug verſchaffen<lb/>
konnte, wenigſtens nicht misbrauchen. Wem der Name<lb/>„Natur„ durch manche Schriften unſres Zeitalters ſinnlos<lb/>
und niedrig geworden iſt, der denke ſich ſtatt deſſen <hirendition="#fr"><hirendition="#g">jene<lb/>
allmaͤchtige Kraft, Guͤte und Weisheit</hi></hi>, und<lb/>
nenne in ſeiner Sele das unſichtbare Weſen, das keine<lb/>
Erdenſprache zu nennen vermag.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">* * 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">Ein</fw><lb/></div></front></text></TEI>
[0019]
Labyrinthe der Menſchengeſchichte wagen koͤnnten. Ueber-
all hat mich die große Analogie der Natur auf Wahrhei-
ten der Religion gefuͤhrt, die ich nur mit Muͤhe unterdruͤcken
mußte, weil ich ſie mir ſelbſt nicht zum voraus rauben, und
Schritt vor Schritt nur dem Licht treu bleiben wollte, das
mir von der verborgenen Gegenwart des Urhebers in ſeinen
Werken allenthalben zuſtralet. Es wird ein um ſo groͤße-
res Vergnuͤgen fuͤr meine Leſer und fuͤr mich ſeyn, wenn
wir, unſern Weg verfolgend, dies dunkelſtralende Licht zu-
letzt als Flamme und Sonne werden aufgehen ſehen.
Niemand irre ſich daher auch daran, daß ich zuweilen
den Namen der Natur perſonificirt gebrauche. Die Natur
iſt kein ſelbſtſtaͤndiges Weſen; ſondern Gott iſt Alles
in ſeinen Werken: indeſſen wollte ich dieſen hochhei-
ligen Namen, den kein erkaͤnntliches Geſchoͤpf ohne die
tiefſte Ehrfurcht nennen ſollte, durch einen oͤftern Gebrauch,
bei dem ich ihm nicht immer Heiligkeit gnug verſchaffen
konnte, wenigſtens nicht misbrauchen. Wem der Name
„Natur„ durch manche Schriften unſres Zeitalters ſinnlos
und niedrig geworden iſt, der denke ſich ſtatt deſſen jene
allmaͤchtige Kraft, Guͤte und Weisheit, und
nenne in ſeiner Sele das unſichtbare Weſen, das keine
Erdenſprache zu nennen vermag.
Ein
* * 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/19>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.