Hindernissen und Jrrungen ausgesetzt ist: desto schwächer wird der Trieb, desto mehr kömmt er unter dem Befehl der Willkühr, mithin auch des Jrrthums. Die verschiednen Empfindungen wollen gegen einander gewogen und dann erst mit einander vereinigt seyn: lebe wohl also hinreissender Jnstinkt, unfehlbarer Führer. Der dunkle Reiz, der in einem gewissen Kreise, abgeschlossen von allem andern, eine Art Allwissenheit und Allmacht in sich schloß, ist jetzt in Aeste und Zweige gesondert. Das des Lernens fähige Geschöpf muß lernen, weil es weniger von Natur weiß: es muß sich üben, weil es weniger von Natur kann; es hat aber auch durch seine Fortrückung, durch die Verfeinerung und Ver- theilung seiner Kräfte neue Mittel der Wirksamkeit, mehrere und feinere Werkzeuge erhalten, die Empfindungen gegen einander zu bestimmen und die bessere zu wählen. Was ihm an Jntensität des Triebes abgeht, hat es durch Ausbreitung und feinere Zusammenstimmung ersetzt bekommen: es ist ei- nes feinern Selbstgenusses, eines freiern und vielfachern Ge- brauchs seiner Kräfte und Glieder fähig worden und alle dies, weil, wenn ich so sagen darf, seine organische Seele in ihren Werkzeugen vielfacher und feiner auseinander gelegt ist. Lasset uns einige wunderbar schöne und weise Gesetze dieser allmälichen Fortbildung der Geschöpfe betrachten, wie der Schöpfer sie Schritt vor Schritt immer mehr an eine
Ver-
Hinderniſſen und Jrrungen ausgeſetzt iſt: deſto ſchwaͤcher wird der Trieb, deſto mehr koͤmmt er unter dem Befehl der Willkuͤhr, mithin auch des Jrrthums. Die verſchiednen Empfindungen wollen gegen einander gewogen und dann erſt mit einander vereinigt ſeyn: lebe wohl alſo hinreiſſender Jnſtinkt, unfehlbarer Fuͤhrer. Der dunkle Reiz, der in einem gewiſſen Kreiſe, abgeſchloſſen von allem andern, eine Art Allwiſſenheit und Allmacht in ſich ſchloß, iſt jetzt in Aeſte und Zweige geſondert. Das des Lernens faͤhige Geſchoͤpf muß lernen, weil es weniger von Natur weiß: es muß ſich uͤben, weil es weniger von Natur kann; es hat aber auch durch ſeine Fortruͤckung, durch die Verfeinerung und Ver- theilung ſeiner Kraͤfte neue Mittel der Wirkſamkeit, mehrere und feinere Werkzeuge erhalten, die Empfindungen gegen einander zu beſtimmen und die beſſere zu waͤhlen. Was ihm an Jntenſitaͤt des Triebes abgeht, hat es durch Ausbreitung und feinere Zuſammenſtimmung erſetzt bekommen: es iſt ei- nes feinern Selbſtgenuſſes, eines freiern und vielfachern Ge- brauchs ſeiner Kraͤfte und Glieder faͤhig worden und alle dies, weil, wenn ich ſo ſagen darf, ſeine organiſche Seele in ihren Werkzeugen vielfacher und feiner auseinander gelegt iſt. Laſſet uns einige wunderbar ſchoͤne und weiſe Geſetze dieſer allmaͤlichen Fortbildung der Geſchoͤpfe betrachten, wie der Schoͤpfer ſie Schritt vor Schritt immer mehr an eine
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Hinderniſſen und Jrrungen ausgeſetzt iſt: deſto ſchwaͤcher
wird der Trieb, deſto mehr koͤmmt er unter dem Befehl der
Willkuͤhr, mithin auch des Jrrthums. Die verſchiednen
Empfindungen wollen gegen einander gewogen und dann erſt
mit einander vereinigt ſeyn: lebe wohl alſo hinreiſſender
Jnſtinkt, unfehlbarer Fuͤhrer. Der dunkle Reiz, der in
einem gewiſſen Kreiſe, abgeſchloſſen von allem andern, eine
Art Allwiſſenheit und Allmacht in ſich ſchloß, iſt jetzt in Aeſte
und Zweige geſondert. Das des Lernens faͤhige Geſchoͤpf
muß lernen, weil es weniger von Natur weiß: es muß ſich
uͤben, weil es weniger von Natur kann; es hat aber auch
durch ſeine Fortruͤckung, durch die Verfeinerung und Ver-
theilung ſeiner Kraͤfte neue Mittel der Wirkſamkeit, mehrere
und feinere Werkzeuge erhalten, die Empfindungen gegen
einander zu beſtimmen und die beſſere zu waͤhlen. Was ihm
an Jntenſitaͤt des Triebes abgeht, hat es durch Ausbreitung
und feinere Zuſammenſtimmung erſetzt bekommen: es iſt ei-
nes feinern Selbſtgenuſſes, eines freiern und vielfachern Ge-
brauchs ſeiner Kraͤfte und Glieder faͤhig worden und alle
dies, weil, wenn ich ſo ſagen darf, ſeine organiſche Seele in
ihren Werkzeugen vielfacher und feiner auseinander gelegt
iſt. Laſſet uns einige wunderbar ſchoͤne und weiſe Geſetze
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/164>, abgerufen am 23.11.2024.
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