reinlich lieset er die Kräuter und weil Geruch und Mund von einander getrennt sind, brauchet er dazu mehr Behut- samkeit und Zeit. Zu eben der Behutsamkeit hat ihn die Natur im Trinken und in seinem ganzen schweren Körper- bau gebildet, so daß diese ihn eben aus dem Grunde bis zur Begattung begleitet. Kein Trieb des Geschlechts verwil- dert ihn: denn die Elephantin trägt neun Monate, wie der Mensch und säuget ihr Junges an Vorderbrüsten. Dem Menschen gleich sind die Verhältnisse seiner Lebensalter, zu wachsen, zu blühn, zu sterben. Wie edel hat die Natur die thie- schen Schneidezähne in Hauzähne verwandelt! und wie fein muß das Organ seines Gehörs seyn, da er die menschliche Rede in feinen Unterscheidungen des Befehls und der Affekten ver- stehet. Seine Ohren sind größer, als bei einem andern Thier, dabei dünne und nach allen Seiten gebreitet: ihre Oefnung liegt hoch und der ganze dennoch kleine Hinterkopf des Thiers ist eine Höle des Wiederhalls, mit Luft erfüllet. So wußte die Natur, die Schwere des Geschöpfs zu erleich- tern, und die stärkste Muskelkraft mit der feinsten Oekono- mie der Nerven zu paaren; ein König der Thiere an weiser Ruhe und verständiger Sinnesreinheit.
Der Löwe dagegen *) welch ein andrer König der
Thiere
*) Jnsonderheit nach Wolfs vortreflicher Beschreibung in den
Nov-
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reinlich lieſet er die Kraͤuter und weil Geruch und Mund von einander getrennt ſind, brauchet er dazu mehr Behut- ſamkeit und Zeit. Zu eben der Behutſamkeit hat ihn die Natur im Trinken und in ſeinem ganzen ſchweren Koͤrper- bau gebildet, ſo daß dieſe ihn eben aus dem Grunde bis zur Begattung begleitet. Kein Trieb des Geſchlechts verwil- dert ihn: denn die Elephantin traͤgt neun Monate, wie der Menſch und ſaͤuget ihr Junges an Vorderbruͤſten. Dem Menſchen gleich ſind die Verhaͤltniſſe ſeiner Lebensalter, zu wachſen, zu bluͤhn, zu ſterben. Wie edel hat die Natur die thie- ſchen Schneidezaͤhne in Hauzaͤhne verwandelt! und wie fein muß das Organ ſeines Gehoͤrs ſeyn, da er die menſchliche Rede in feinen Unterſcheidungen des Befehls und der Affekten ver- ſtehet. Seine Ohren ſind groͤßer, als bei einem andern Thier, dabei duͤnne und nach allen Seiten gebreitet: ihre Oefnung liegt hoch und der ganze dennoch kleine Hinterkopf des Thiers iſt eine Hoͤle des Wiederhalls, mit Luft erfuͤllet. So wußte die Natur, die Schwere des Geſchoͤpfs zu erleich- tern, und die ſtaͤrkſte Muskelkraft mit der feinſten Oekono- mie der Nerven zu paaren; ein Koͤnig der Thiere an weiſer Ruhe und verſtaͤndiger Sinnesreinheit.
Der Loͤwe dagegen *) welch ein andrer Koͤnig der
Thiere
*) Jnſonderheit nach Wolfs vortreflicher Beſchreibung in den
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reinlich lieſet er die Kraͤuter und weil Geruch und Mund
von einander getrennt ſind, brauchet er dazu mehr Behut-
ſamkeit und Zeit. Zu eben der Behutſamkeit hat ihn die
Natur im Trinken und in ſeinem ganzen ſchweren Koͤrper-
bau gebildet, ſo daß dieſe ihn eben aus dem Grunde bis zur
Begattung begleitet. Kein Trieb des Geſchlechts verwil-
dert ihn: denn die Elephantin traͤgt neun Monate, wie der
Menſch und ſaͤuget ihr Junges an Vorderbruͤſten. Dem
Menſchen gleich ſind die Verhaͤltniſſe ſeiner Lebensalter, zu
wachſen, zu bluͤhn, zu ſterben. Wie edel hat die Natur die thie-
ſchen Schneidezaͤhne in Hauzaͤhne verwandelt! und wie fein muß
das Organ ſeines Gehoͤrs ſeyn, da er die menſchliche Rede
in feinen Unterſcheidungen des Befehls und der Affekten ver-
ſtehet. Seine Ohren ſind groͤßer, als bei einem andern
Thier, dabei duͤnne und nach allen Seiten gebreitet: ihre
Oefnung liegt hoch und der ganze dennoch kleine Hinterkopf
des Thiers iſt eine Hoͤle des Wiederhalls, mit Luft erfuͤllet.
So wußte die Natur, die Schwere des Geſchoͤpfs zu erleich-
tern, und die ſtaͤrkſte Muskelkraft mit der feinſten Oekono-
mie der Nerven zu paaren; ein Koͤnig der Thiere an weiſer
Ruhe und verſtaͤndiger Sinnesreinheit.
Der Loͤwe dagegen *) welch ein andrer Koͤnig der
Thiere
*) Jnſonderheit nach Wolfs vortreflicher Beſchreibung in den
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/151>, abgerufen am 23.11.2024.
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