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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

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wahre Sprachorgane mit den Werkzeugen des Geschmacks
und der Speise, also das Edelste mit den Zeichen der nie-
drigsten Nothdurft zusammen geordnet. Womit er Speise
für den niedrigen Leib verarbeitet, verarbeitet er auch in Wor-
ten die Nahrung der Gedanken.

Der zweite Beruf der Geschöpfe ist Fortpflanzung:
die Bestimmung dazu ist schon im Bau der Pflanzen sicht-
bar. Wem dienen Wurzel und Stamm, Aeste und Blät-
ter? wem hat die Natur den obersten, oder doch den ausge-
suchtesten Platz eingeräumet? der Blüte, der Krone; und
wir sahen, sie sind die Zeugungstheile der Pflanze. Sie also
sind zum schönsten Haupttheil dieses Geschöpfs gemacht: auf
ihre Ausbildung ist das Leben, das Geschäft, das Vergnü-
gen der Pflanze, ja selbst die einzige scheinbar-willkührliche
Bewegung derselben berechnet: es ist diese nämlich der soge-
nannte Schlaf der Pflanzen. Gewächse, deren Samen-
behältnisse hinlänglich gesichert sind, schlafen nicht: eine
Pflanze nach der Befruchtung schläft auch nicht mehr. Sie
schloß sich also nur mütterlich zu, die innern Theile der
Blume gegen die rauhe Witterung zu bewahren; und so ist
alles bei ihr, wie auf Nahrung und Wachsthum, so auch
auf Fortpflanzung und Befruchtung gerechnet: eines andern
Zwecks der Thätigkeit war sie nicht fähig.


Nicht

wahre Sprachorgane mit den Werkzeugen des Geſchmacks
und der Speiſe, alſo das Edelſte mit den Zeichen der nie-
drigſten Nothdurft zuſammen geordnet. Womit er Speiſe
fuͤr den niedrigen Leib verarbeitet, verarbeitet er auch in Wor-
ten die Nahrung der Gedanken.

Der zweite Beruf der Geſchoͤpfe iſt Fortpflanzung:
die Beſtimmung dazu iſt ſchon im Bau der Pflanzen ſicht-
bar. Wem dienen Wurzel und Stamm, Aeſte und Blaͤt-
ter? wem hat die Natur den oberſten, oder doch den ausge-
ſuchteſten Platz eingeraͤumet? der Bluͤte, der Krone; und
wir ſahen, ſie ſind die Zeugungstheile der Pflanze. Sie alſo
ſind zum ſchoͤnſten Haupttheil dieſes Geſchoͤpfs gemacht: auf
ihre Ausbildung iſt das Leben, das Geſchaͤft, das Vergnuͤ-
gen der Pflanze, ja ſelbſt die einzige ſcheinbar-willkuͤhrliche
Bewegung derſelben berechnet: es iſt dieſe naͤmlich der ſoge-
nannte Schlaf der Pflanzen. Gewaͤchſe, deren Samen-
behaͤltniſſe hinlaͤnglich geſichert ſind, ſchlafen nicht: eine
Pflanze nach der Befruchtung ſchlaͤft auch nicht mehr. Sie
ſchloß ſich alſo nur muͤtterlich zu, die innern Theile der
Blume gegen die rauhe Witterung zu bewahren; und ſo iſt
alles bei ihr, wie auf Nahrung und Wachsthum, ſo auch
auf Fortpflanzung und Befruchtung gerechnet: eines andern
Zwecks der Thaͤtigkeit war ſie nicht faͤhig.


Nicht
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[100/0122] wahre Sprachorgane mit den Werkzeugen des Geſchmacks und der Speiſe, alſo das Edelſte mit den Zeichen der nie- drigſten Nothdurft zuſammen geordnet. Womit er Speiſe fuͤr den niedrigen Leib verarbeitet, verarbeitet er auch in Wor- ten die Nahrung der Gedanken. Der zweite Beruf der Geſchoͤpfe iſt Fortpflanzung: die Beſtimmung dazu iſt ſchon im Bau der Pflanzen ſicht- bar. Wem dienen Wurzel und Stamm, Aeſte und Blaͤt- ter? wem hat die Natur den oberſten, oder doch den ausge- ſuchteſten Platz eingeraͤumet? der Bluͤte, der Krone; und wir ſahen, ſie ſind die Zeugungstheile der Pflanze. Sie alſo ſind zum ſchoͤnſten Haupttheil dieſes Geſchoͤpfs gemacht: auf ihre Ausbildung iſt das Leben, das Geſchaͤft, das Vergnuͤ- gen der Pflanze, ja ſelbſt die einzige ſcheinbar-willkuͤhrliche Bewegung derſelben berechnet: es iſt dieſe naͤmlich der ſoge- nannte Schlaf der Pflanzen. Gewaͤchſe, deren Samen- behaͤltniſſe hinlaͤnglich geſichert ſind, ſchlafen nicht: eine Pflanze nach der Befruchtung ſchlaͤft auch nicht mehr. Sie ſchloß ſich alſo nur muͤtterlich zu, die innern Theile der Blume gegen die rauhe Witterung zu bewahren; und ſo iſt alles bei ihr, wie auf Nahrung und Wachsthum, ſo auch auf Fortpflanzung und Befruchtung gerechnet: eines andern Zwecks der Thaͤtigkeit war ſie nicht faͤhig. Nicht

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/122>, abgerufen am 23.11.2024.