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Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773.

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Ersten Scene der Erscheinung trägt schon
allen Saamen seiner Schicksale zur Ernte
der dunkelsten Zukunft in sich. Siehe! der
gutherzige Verschwender, der rasche Unbarm-
herzige, der kindische Vater wird es bald seyn
auch in den Vorhöfen seiner Töchter -- bit-
tend, betend, bettelnd, fluchend, schwär-
mend, segnend, -- ach, Gott! und Wahn-
sinn ahndend. Wirds seyn bald mit blassem
Scheitel unter Donner und Blitz, zur unter-
sten Klasse von Menschen herabgestürzt, mit
einem Narren und in der Höle eines tollen
Bettlers Wahnsinn gleichsam pochend vom
Himmel herab. -- Und nun ist wie ers ist,
in der ganzen leichten Majestät seines Elends
und Verlassens; und nun zu sich kommend,
angeglänzt vom letzten Strahle Hoffnung,
damit diese auf ewig, ewig erlösche! Gefan-
gen, die todte Wohlthäterin, Verzeiherin,
Kind, Tochter auf seinen Armen! auf ihrem
Leichnam sterbend, der alte Knecht dem alten
Könige nachsterbend -- Gott! welch ein
Wechsel von Zeiten, Umständen, Stürmen,
Wetter, Zeitläuften! und alle nicht blos
Eine Geschichte -- Helden und Staatsak-
tion, wenn du willt! von Einem Anfange zu
Einem Ende, nach der strengsten Regel deines
Aristoteles; sondern tritt näher, und fühle
den Menschengeist, der auch jede Person

und

Erſten Scene der Erſcheinung traͤgt ſchon
allen Saamen ſeiner Schickſale zur Ernte
der dunkelſten Zukunft in ſich. Siehe! der
gutherzige Verſchwender, der raſche Unbarm-
herzige, der kindiſche Vater wird es bald ſeyn
auch in den Vorhoͤfen ſeiner Toͤchter — bit-
tend, betend, bettelnd, fluchend, ſchwaͤr-
mend, ſegnend, — ach, Gott! und Wahn-
ſinn ahndend. Wirds ſeyn bald mit blaſſem
Scheitel unter Donner und Blitz, zur unter-
ſten Klaſſe von Menſchen herabgeſtuͤrzt, mit
einem Narren und in der Hoͤle eines tollen
Bettlers Wahnſinn gleichſam pochend vom
Himmel herab. — Und nun iſt wie ers iſt,
in der ganzen leichten Majeſtaͤt ſeines Elends
und Verlaſſens; und nun zu ſich kommend,
angeglaͤnzt vom letzten Strahle Hoffnung,
damit dieſe auf ewig, ewig erloͤſche! Gefan-
gen, die todte Wohlthaͤterin, Verzeiherin,
Kind, Tochter auf ſeinen Armen! auf ihrem
Leichnam ſterbend, der alte Knecht dem alten
Koͤnige nachſterbend — Gott! welch ein
Wechſel von Zeiten, Umſtaͤnden, Stuͤrmen,
Wetter, Zeitlaͤuften! und alle nicht blos
Eine Geſchichte — Helden und Staatsak-
tion, wenn du willt! von Einem Anfange zu
Einem Ende, nach der ſtrengſten Regel deines
Ariſtoteles; ſondern tritt naͤher, und fuͤhle
den Menſchengeiſt, der auch jede Perſon

und
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[94/0098] Erſten Scene der Erſcheinung traͤgt ſchon allen Saamen ſeiner Schickſale zur Ernte der dunkelſten Zukunft in ſich. Siehe! der gutherzige Verſchwender, der raſche Unbarm- herzige, der kindiſche Vater wird es bald ſeyn auch in den Vorhoͤfen ſeiner Toͤchter — bit- tend, betend, bettelnd, fluchend, ſchwaͤr- mend, ſegnend, — ach, Gott! und Wahn- ſinn ahndend. Wirds ſeyn bald mit blaſſem Scheitel unter Donner und Blitz, zur unter- ſten Klaſſe von Menſchen herabgeſtuͤrzt, mit einem Narren und in der Hoͤle eines tollen Bettlers Wahnſinn gleichſam pochend vom Himmel herab. — Und nun iſt wie ers iſt, in der ganzen leichten Majeſtaͤt ſeines Elends und Verlaſſens; und nun zu ſich kommend, angeglaͤnzt vom letzten Strahle Hoffnung, damit dieſe auf ewig, ewig erloͤſche! Gefan- gen, die todte Wohlthaͤterin, Verzeiherin, Kind, Tochter auf ſeinen Armen! auf ihrem Leichnam ſterbend, der alte Knecht dem alten Koͤnige nachſterbend — Gott! welch ein Wechſel von Zeiten, Umſtaͤnden, Stuͤrmen, Wetter, Zeitlaͤuften! und alle nicht blos Eine Geſchichte — Helden und Staatsak- tion, wenn du willt! von Einem Anfange zu Einem Ende, nach der ſtrengſten Regel deines Ariſtoteles; ſondern tritt naͤher, und fuͤhle den Menſchengeiſt, der auch jede Perſon und

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773/98>, abgerufen am 08.05.2024.