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Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773.

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dieser einfältigen Grösse Theile zu entdecken,
Anfang, Mittel und Ende dramatisch hinein-
zubringen, als sie gewaltsam zu sondern, zu
verstümmeln, oder aus vielen, abgesonder-
ten Begebenheiten Ein Ganzes zu kneten.
Wer jemals Aeschylus oder Sophokles
gelesen, müste das nie unbegreiflich finden.
Jm Ersten was ist die Tragödie als oft ein
allegorisch-mythologisch-halb episches
Gemälde,
fast ohne Folge der Auftritte,
der Geschichte, der Empfindungen, oder gar,
wie die Alten sagten, nur noch Chor, dem ei-
nige Geschichte zwischengesetzt war -- Konnte
hier über Simplicität der Fabel die geringste
Mühe und Kunst seyn? Und wars in den
meisten Stücken des Sophokles anders? Sein
Philoktet Ajax, vertriebner Oedipus u.
s. w. nähern sich noch immer so sehr dem Ein-
artigen ihres Ursprunges, dem dramatischen
Bilde mitten im Chor.
Kein Zweifel!
es ist Genesis der griechischen Bühne.

Nun sehe man, wie viel aus der simpeln
Bemerkung folge. Nichts minder als: "das
"Künstliche ihrer Regeln war -- keine Kunst!
"war Natur! -- Einheit der Fabel -- war
Einheit der Handlung, die vor ihnen lag;
die nach ihren Zeit- Vaterlands- Religions-
Sittenumständen, nicht anders als solch ein
Eins seyn konnte. Einheit des Orts --

war

dieſer einfaͤltigen Groͤſſe Theile zu entdecken,
Anfang, Mittel und Ende dramatiſch hinein-
zubringen, als ſie gewaltſam zu ſondern, zu
verſtuͤmmeln, oder aus vielen, abgeſonder-
ten Begebenheiten Ein Ganzes zu kneten.
Wer jemals Aeſchylus oder Sophokles
geleſen, muͤſte das nie unbegreiflich finden.
Jm Erſten was iſt die Tragoͤdie als oft ein
allegoriſch-mythologiſch-halb epiſches
Gemaͤlde,
faſt ohne Folge der Auftritte,
der Geſchichte, der Empfindungen, oder gar,
wie die Alten ſagten, nur noch Chor, dem ei-
nige Geſchichte zwiſchengeſetzt war — Konnte
hier uͤber Simplicitaͤt der Fabel die geringſte
Muͤhe und Kunſt ſeyn? Und wars in den
meiſten Stuͤcken des Sophokles anders? Sein
Philoktet Ajax, vertriebner Oedipus u.
ſ. w. naͤhern ſich noch immer ſo ſehr dem Ein-
artigen ihres Urſprunges, dem dramatiſchen
Bilde mitten im Chor.
Kein Zweifel!
es iſt Geneſis der griechiſchen Buͤhne.

Nun ſehe man, wie viel aus der ſimpeln
Bemerkung folge. Nichts minder als: „das
„Kuͤnſtliche ihrer Regeln war — keine Kunſt!
„war Natur! — Einheit der Fabel — war
Einheit der Handlung, die vor ihnen lag;
die nach ihren Zeit- Vaterlands- Religions-
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Eins ſeyn konnte. Einheit des Orts

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[78/0082] dieſer einfaͤltigen Groͤſſe Theile zu entdecken, Anfang, Mittel und Ende dramatiſch hinein- zubringen, als ſie gewaltſam zu ſondern, zu verſtuͤmmeln, oder aus vielen, abgeſonder- ten Begebenheiten Ein Ganzes zu kneten. Wer jemals Aeſchylus oder Sophokles geleſen, muͤſte das nie unbegreiflich finden. Jm Erſten was iſt die Tragoͤdie als oft ein allegoriſch-mythologiſch-halb epiſches Gemaͤlde, faſt ohne Folge der Auftritte, der Geſchichte, der Empfindungen, oder gar, wie die Alten ſagten, nur noch Chor, dem ei- nige Geſchichte zwiſchengeſetzt war — Konnte hier uͤber Simplicitaͤt der Fabel die geringſte Muͤhe und Kunſt ſeyn? Und wars in den meiſten Stuͤcken des Sophokles anders? Sein Philoktet Ajax, vertriebner Oedipus u. ſ. w. naͤhern ſich noch immer ſo ſehr dem Ein- artigen ihres Urſprunges, dem dramatiſchen Bilde mitten im Chor. Kein Zweifel! es iſt Geneſis der griechiſchen Buͤhne. Nun ſehe man, wie viel aus der ſimpeln Bemerkung folge. Nichts minder als: „das „Kuͤnſtliche ihrer Regeln war — keine Kunſt! „war Natur! — Einheit der Fabel — war Einheit der Handlung, die vor ihnen lag; die nach ihren Zeit- Vaterlands- Religions- Sittenumſtaͤnden, nicht anders als ſolch ein Eins ſeyn konnte. Einheit des Orts — war

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773/82>, abgerufen am 24.11.2024.