Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773.Jch kann hier einen schönen Ausspruch den
Jch kann hier einen ſchoͤnen Ausſpruch den
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0159" n="155"/> <p>Jch kann hier einen ſchoͤnen Ausſpruch<lb/> des Vignola nicht mit Stillſchweigen uͤber-<lb/> gehn. Pellegrini hatte einen Taufſtein in<lb/> viereckigter Geſtalt mit vier Saͤulen von wei-<lb/> chem Steine auf erhabenen Piedeſtalen uͤber<lb/> zwoͤlf Model weit von einander auffuͤhren<lb/> laſſen. Martin Baſſo warf ihm daruͤber<lb/> vor, daß ſo groſſe Saͤulenweiten wider alle<lb/> Lehre Vitruvs und wider alle Beyſpiele lie-<lb/> fen, die man noch an den Tempeln Apolls,<lb/> Dianens, Vulkans u. d. ſehen koͤnnte. Pel-<lb/> legrini ſah den Fehler ein und ſchlug daher<lb/> vor, den Taufſtein durch eiſerne Klammern,<lb/> durch die er eine Saͤule mit der andern ver-<lb/> binden wollte, ſicher zu ſtellen. Die beruͤhm-<lb/> teſten Architeckte gaben dem Baſſo Recht.<lb/> Palladio meynte, man muͤſſe den Taufſtein<lb/> achteckigt oder kraisrund machen; dazu koͤnn-<lb/> ten die Saͤulen von joniſcher, nicht aber ko-<lb/> rinthiſcher Ordnung ſeyn. Vignola hielt die<lb/> Zuflucht zu Klammern nicht fuͤr gut; denn<lb/> ſie hoͤbe den wahren Fehler nicht, urtheilte<lb/> er, ſondern ſie gaͤben nur eine ſcheinbare<lb/> Staͤrke. Bey dieſer Gelegenheit ſagte er,<lb/> wohl angelegtes Mauerwerk muͤſſe ſich ſelbſt<lb/> tragen und nicht angehaͤngt werden. Eben<lb/> dieſe Architeckten und Baſſo mißbilligten auch<lb/> Pellegrins Gedanken, den Boden des Chors<lb/> im Dom zu Mayland etwa vier Ellen uͤber<lb/> <fw place="bottom" type="catch">den</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [155/0159]
Jch kann hier einen ſchoͤnen Ausſpruch
des Vignola nicht mit Stillſchweigen uͤber-
gehn. Pellegrini hatte einen Taufſtein in
viereckigter Geſtalt mit vier Saͤulen von wei-
chem Steine auf erhabenen Piedeſtalen uͤber
zwoͤlf Model weit von einander auffuͤhren
laſſen. Martin Baſſo warf ihm daruͤber
vor, daß ſo groſſe Saͤulenweiten wider alle
Lehre Vitruvs und wider alle Beyſpiele lie-
fen, die man noch an den Tempeln Apolls,
Dianens, Vulkans u. d. ſehen koͤnnte. Pel-
legrini ſah den Fehler ein und ſchlug daher
vor, den Taufſtein durch eiſerne Klammern,
durch die er eine Saͤule mit der andern ver-
binden wollte, ſicher zu ſtellen. Die beruͤhm-
teſten Architeckte gaben dem Baſſo Recht.
Palladio meynte, man muͤſſe den Taufſtein
achteckigt oder kraisrund machen; dazu koͤnn-
ten die Saͤulen von joniſcher, nicht aber ko-
rinthiſcher Ordnung ſeyn. Vignola hielt die
Zuflucht zu Klammern nicht fuͤr gut; denn
ſie hoͤbe den wahren Fehler nicht, urtheilte
er, ſondern ſie gaͤben nur eine ſcheinbare
Staͤrke. Bey dieſer Gelegenheit ſagte er,
wohl angelegtes Mauerwerk muͤſſe ſich ſelbſt
tragen und nicht angehaͤngt werden. Eben
dieſe Architeckten und Baſſo mißbilligten auch
Pellegrins Gedanken, den Boden des Chors
im Dom zu Mayland etwa vier Ellen uͤber
den
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