noch Einmal mit der Asträa oder Uranischen Venus unser tiefes Cimmerien besuchen wür- de. Am meisten aber, wenn die volle, gesunde, blühende Weltjugend wieder hergestellt wer- den kann und soll, daß in Ode und Tischgebet, Kirchen- und Liebsgesange das Herz und kein Regelncodex, kein Horaz, Pindar oder Orbil statt unser, sprechen dürfe -- eine Götterer- scheinung auf dem Blumengürtel der Grazien und Genien des menschlichen Geschlechts darf so wenig Aus- und Zurufs, als sie den Augen solcher Hinzugerufnen auch nur sichtbar seyn kann
---- vulgus & arceo!
Allerdings wars nur immer, "lyrischen "Stabs Ende!" wie unsre Lehrbücher sich zeither mit Ode, Hymne, Psalm, Elegie, und womit nicht? getragen! -- Gemälde zu liefern, ohne Subjekt, blos des künstlich angelegten und so wohl unterhaltnen Gesichtspunkts, Kompositionsgeistes, Kolorits und alles an- dern feinern Details wegen! Dies allein aus der Autorität Eines fremden Vorbildes zu lernen, bey dem doch hundert conventionelle Befremdnisse eben der Schleyer sind, in dem wirs zuerst und zuletzt sehen, es mit deutschem Kopf, Fleiß, Glück und Ehrlichkeit zu studiren, und sich ihm aufzuopfern; endlich gar den Wohl- klang nur in Sylbenbau, Strophenbau, und
Regi-
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—— des griechiſchen Himmels Kind —
noch Einmal mit der Aſtraͤa oder Uraniſchen Venus unſer tiefes Cimmerien beſuchen wuͤr- de. Am meiſten aber, wenn die volle, geſunde, bluͤhende Weltjugend wieder hergeſtellt wer- den kann und ſoll, daß in Ode und Tiſchgebet, Kirchen- und Liebsgeſange das Herz und kein Regelncodex, kein Horaz, Pindar oder Orbil ſtatt unſer, ſprechen duͤrfe — eine Goͤtterer- ſcheinung auf dem Blumenguͤrtel der Grazien und Genien des menſchlichen Geſchlechts darf ſo wenig Aus- und Zurufs, als ſie den Augen ſolcher Hinzugerufnen auch nur ſichtbar ſeyn kann
—— vulgus & arceo!
Allerdings wars nur immer, „lyriſchen „Stabs Ende!„ wie unſre Lehrbuͤcher ſich zeither mit Ode, Hymne, Pſalm, Elegie, und womit nicht? getragen! — Gemaͤlde zu liefern, ohne Subjekt, blos des kuͤnſtlich angelegten und ſo wohl unterhaltnen Geſichtspunkts, Kompoſitionsgeiſtes, Kolorits und alles an- dern feinern Details wegen! Dies allein aus der Autoritaͤt Eines fremden Vorbildes zu lernen, bey dem doch hundert conventionelle Befremdniſſe eben der Schleyer ſind, in dem wirs zuerſt und zuletzt ſehen, es mit deutſchem Kopf, Fleiß, Gluͤck und Ehrlichkeit zu ſtudiren, und ſich ihm aufzuopfern; endlich gar den Wohl- klang nur in Sylbenbau, Strophenbau, und
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—— des griechiſchen Himmels Kind —
noch Einmal mit der Aſtraͤa oder Uraniſchen
Venus unſer tiefes Cimmerien beſuchen wuͤr-
de. Am meiſten aber, wenn die volle, geſunde,
bluͤhende Weltjugend wieder hergeſtellt wer-
den kann und ſoll, daß in Ode und Tiſchgebet,
Kirchen- und Liebsgeſange das Herz und kein
Regelncodex, kein Horaz, Pindar oder Orbil
ſtatt unſer, ſprechen duͤrfe — eine Goͤtterer-
ſcheinung auf dem Blumenguͤrtel der Grazien
und Genien des menſchlichen Geſchlechts darf
ſo wenig Aus- und Zurufs, als ſie den Augen
ſolcher Hinzugerufnen auch nur ſichtbar ſeyn
kann
—— vulgus & arceo!
Allerdings wars nur immer, „lyriſchen
„Stabs Ende!„ wie unſre Lehrbuͤcher ſich
zeither mit Ode, Hymne, Pſalm, Elegie, und
womit nicht? getragen! — Gemaͤlde zu liefern,
ohne Subjekt, blos des kuͤnſtlich angelegten
und ſo wohl unterhaltnen Geſichtspunkts,
Kompoſitionsgeiſtes, Kolorits und alles an-
dern feinern Details wegen! Dies allein aus
der Autoritaͤt Eines fremden Vorbildes zu
lernen, bey dem doch hundert conventionelle
Befremdniſſe eben der Schleyer ſind, in dem
wirs zuerſt und zuletzt ſehen, es mit deutſchem
Kopf, Fleiß, Gluͤck und Ehrlichkeit zu ſtudiren,
und ſich ihm aufzuopfern; endlich gar den Wohl-
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Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773/119>, abgerufen am 16.07.2024.
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