Selbst da die Sprache später mehr regelmäßig, eintönig und gereihet wurde, blieb sie noch immer eine Gattung Gesang, wie es die Accente so vieler Wilden bezeugen; und daß aus diesem Ge- sange, nachher veredelt und verfeinert, die älteste Poesie und Musik entstanden, hat jezt schon mehr, als Einer bewiesen. Der philosophische Englän- der,*) der sich in unserm Jahrhunderte an diesen Ursprung der Poesie und Musik gemacht, hätte am weitsten kommen können, wenn er nicht den Geist der Sprache von seiner Untersuchung ausge- schlossen und minder auf sein System ausgegan- gen wäre, Poesie und Musik auf Einen Vereini- gungspunkt einzuschließen, auf welchem keine sich recht zeigen kann, als auf den Ursprung von bei- den aus der ganzen Natur des Menschen. Ueber- haupt da die besten Stücke der alten Poesie Reste dieser sprachsingenden Zeiten sind; so sind die Miß- känntnisse, die Veruntreuungen, und die schiefen Geschmacksfehler ganz unzählig, die man aus dem Gange der ältesten Gedichte, der griechischen Trauerspiele, und Deklamationen herausbuchsta-
birt
*)Erown.
Selbſt da die Sprache ſpaͤter mehr regelmaͤßig, eintoͤnig und gereihet wurde, blieb ſie noch immer eine Gattung Geſang, wie es die Accente ſo vieler Wilden bezeugen; und daß aus dieſem Ge- ſange, nachher veredelt und verfeinert, die aͤlteſte Poeſie und Muſik entſtanden, hat jezt ſchon mehr, als Einer bewieſen. Der philoſophiſche Englaͤn- der,*) der ſich in unſerm Jahrhunderte an dieſen Urſprung der Poeſie und Muſik gemacht, haͤtte am weitſten kommen koͤnnen, wenn er nicht den Geiſt der Sprache von ſeiner Unterſuchung ausge- ſchloſſen und minder auf ſein Syſtem ausgegan- gen waͤre, Poeſie und Muſik auf Einen Vereini- gungspunkt einzuſchließen, auf welchem keine ſich recht zeigen kann, als auf den Urſprung von bei- den aus der ganzen Natur des Menſchen. Ueber- haupt da die beſten Stuͤcke der alten Poeſie Reſte dieſer ſprachſingenden Zeiten ſind; ſo ſind die Miß- kaͤnntniſſe, die Veruntreuungen, und die ſchiefen Geſchmacksfehler ganz unzaͤhlig, die man aus dem Gange der aͤlteſten Gedichte, der griechiſchen Trauerſpiele, und Deklamationen herausbuchſta-
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*)Erown.
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Selbſt da die Sprache ſpaͤter mehr regelmaͤßig,
eintoͤnig und gereihet wurde, blieb ſie noch immer
eine Gattung Geſang, wie es die Accente ſo
vieler Wilden bezeugen; und daß aus dieſem Ge-
ſange, nachher veredelt und verfeinert, die aͤlteſte
Poeſie und Muſik entſtanden, hat jezt ſchon mehr,
als Einer bewieſen. Der philoſophiſche Englaͤn-
der, *) der ſich in unſerm Jahrhunderte an dieſen
Urſprung der Poeſie und Muſik gemacht, haͤtte
am weitſten kommen koͤnnen, wenn er nicht den
Geiſt der Sprache von ſeiner Unterſuchung ausge-
ſchloſſen und minder auf ſein Syſtem ausgegan-
gen waͤre, Poeſie und Muſik auf Einen Vereini-
gungspunkt einzuſchließen, auf welchem keine ſich
recht zeigen kann, als auf den Urſprung von bei-
den aus der ganzen Natur des Menſchen. Ueber-
haupt da die beſten Stuͤcke der alten Poeſie Reſte
dieſer ſprachſingenden Zeiten ſind; ſo ſind die Miß-
kaͤnntniſſe, die Veruntreuungen, und die ſchiefen
Geſchmacksfehler ganz unzaͤhlig, die man aus dem
Gange der aͤlteſten Gedichte, der griechiſchen
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*) Erown.
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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/97>, abgerufen am 22.07.2024.
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