Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite

pfel und bewunderte: der Gipfel rauschte! das ist
webende Gottheit! der Wilde fällt nieder und be-
tet an! sehet da die Geschichte des sinnlichen Men-
schen, das dunkle Band, wie aus den Verbis
Nomina
werden -- und den leichtesten Schritt
zur Abstraktion!
Bei den Wilden von Nord-
amerika z. B. ist noch alles belebt: jede Sache
hat ihren Genius, ihren Geist, und daß es bei
Griechen und Morgenländern eben so gewesen,
zeugt ihr ältestes Wörterbuch und Grammatik --
sie sind wie die ganze Natur dem Erfinder war,
ein Pantheon! ein Reich belebter, handelnder
Wesen!

Jndem der Mensch aber alles auf sich bezog:
indem alles mit ihm zu sprechen schien, und würk-
lich für oder gegen ihn handelte: indem er also
mit oder dagegen Theil nahm, liebte oder haßte,
und sich alles Menschlich vorstellte; alle diese
Spuren der Menschlichkeit drukten sich auch in
die ersten Namen! Auch sie sprachen Liebe oder
Haß, Fluch oder Seegen, Sanftes oder
Wiedrigkeit
und insonderheit wurden aus diesem
Gefühl in so vielen Sprachen die Artikel! Da

wurde
F 2

pfel und bewunderte: der Gipfel rauſchte! das iſt
webende Gottheit! der Wilde faͤllt nieder und be-
tet an! ſehet da die Geſchichte des ſinnlichen Men-
ſchen, das dunkle Band, wie aus den Verbis
Nomina
werden — und den leichteſten Schritt
zur Abſtraktion!
Bei den Wilden von Nord-
amerika z. B. iſt noch alles belebt: jede Sache
hat ihren Genius, ihren Geiſt, und daß es bei
Griechen und Morgenlaͤndern eben ſo geweſen,
zeugt ihr aͤlteſtes Woͤrterbuch und Grammatik —
ſie ſind wie die ganze Natur dem Erfinder war,
ein Pantheon! ein Reich belebter, handelnder
Weſen!

Jndem der Menſch aber alles auf ſich bezog:
indem alles mit ihm zu ſprechen ſchien, und wuͤrk-
lich fuͤr oder gegen ihn handelte: indem er alſo
mit oder dagegen Theil nahm, liebte oder haßte,
und ſich alles Menſchlich vorſtellte; alle dieſe
Spuren der Menſchlichkeit drukten ſich auch in
die erſten Namen! Auch ſie ſprachen Liebe oder
Haß, Fluch oder Seegen, Sanftes oder
Wiedrigkeit
und inſonderheit wurden aus dieſem
Gefuͤhl in ſo vielen Sprachen die Artikel! Da

wurde
F 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0089" n="83"/>
pfel und bewunderte: der Gipfel rau&#x017F;chte! das i&#x017F;t<lb/>
webende Gottheit! der Wilde fa&#x0364;llt nieder und be-<lb/>
tet an! &#x017F;ehet da die Ge&#x017F;chichte des &#x017F;innlichen Men-<lb/>
&#x017F;chen, das dunkle Band, <hi rendition="#fr">wie aus den</hi> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Verbis<lb/>
Nomina</hi></hi> <hi rendition="#fr">werden &#x2014; und den leichte&#x017F;ten Schritt<lb/>
zur Ab&#x017F;traktion!</hi> Bei den Wilden von Nord-<lb/>
amerika z. B. i&#x017F;t noch alles belebt: jede Sache<lb/>
hat ihren Genius, ihren Gei&#x017F;t, und daß es bei<lb/>
Griechen und Morgenla&#x0364;ndern eben &#x017F;o gewe&#x017F;en,<lb/>
zeugt ihr a&#x0364;lte&#x017F;tes Wo&#x0364;rterbuch und Grammatik &#x2014;<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ind wie die ganze Natur dem Erfinder war,<lb/>
ein Pantheon! ein Reich belebter, handelnder<lb/>
We&#x017F;en!</p><lb/>
            <p>Jndem der Men&#x017F;ch aber alles auf &#x017F;ich bezog:<lb/>
indem alles mit ihm zu &#x017F;prechen &#x017F;chien, und wu&#x0364;rk-<lb/>
lich fu&#x0364;r oder gegen ihn handelte: indem er al&#x017F;o<lb/>
mit oder dagegen Theil nahm, liebte oder haßte,<lb/>
und &#x017F;ich alles Men&#x017F;chlich vor&#x017F;tellte; alle die&#x017F;e<lb/>
Spuren der Men&#x017F;chlichkeit drukten &#x017F;ich auch in<lb/>
die er&#x017F;ten Namen! Auch &#x017F;ie &#x017F;prachen <hi rendition="#fr">Liebe oder<lb/>
Haß, Fluch oder Seegen, Sanftes oder<lb/>
Wiedrigkeit</hi> und in&#x017F;onderheit wurden aus die&#x017F;em<lb/>
Gefu&#x0364;hl in &#x017F;o vielen Sprachen <hi rendition="#fr">die Artikel!</hi> Da<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">F 2</fw><fw place="bottom" type="catch">wurde</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[83/0089] pfel und bewunderte: der Gipfel rauſchte! das iſt webende Gottheit! der Wilde faͤllt nieder und be- tet an! ſehet da die Geſchichte des ſinnlichen Men- ſchen, das dunkle Band, wie aus den Verbis Nomina werden — und den leichteſten Schritt zur Abſtraktion! Bei den Wilden von Nord- amerika z. B. iſt noch alles belebt: jede Sache hat ihren Genius, ihren Geiſt, und daß es bei Griechen und Morgenlaͤndern eben ſo geweſen, zeugt ihr aͤlteſtes Woͤrterbuch und Grammatik — ſie ſind wie die ganze Natur dem Erfinder war, ein Pantheon! ein Reich belebter, handelnder Weſen! Jndem der Menſch aber alles auf ſich bezog: indem alles mit ihm zu ſprechen ſchien, und wuͤrk- lich fuͤr oder gegen ihn handelte: indem er alſo mit oder dagegen Theil nahm, liebte oder haßte, und ſich alles Menſchlich vorſtellte; alle dieſe Spuren der Menſchlichkeit drukten ſich auch in die erſten Namen! Auch ſie ſprachen Liebe oder Haß, Fluch oder Seegen, Sanftes oder Wiedrigkeit und inſonderheit wurden aus dieſem Gefuͤhl in ſo vielen Sprachen die Artikel! Da wurde F 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/89
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/89>, abgerufen am 22.11.2024.