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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

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ten des Beschauens und Betastens losriß, hervor-
sprang, am tiefsten eindrang, bleibt ihr. Das
Schaaf kommt wieder. Weiß, sanft, wollicht --
sie sieht, tastet, besinnet sich, sucht Merkmal --
es blöckt, und nun erkennet sies wieder! "Ha!
"du bist das Blöckende!" fühlt sie innerlich, sie
hat es Menschlich erkannt, da sies deutlich, das
ist mit einem Merkmal erkennet, und nennet.
Dunkler? So wäre es ihr gar nicht wahrgenom-
men, weil keine Sinnlichkeit, kein Jnstinkt zum
Schaafe ihr den Mangel des Deutlichen durch ein
lebhafteres Klare ersezte. Deutlich unmittelbar,
ohne Merkmal? So kann kein sinnliches Geschöpf
außer sich empfinden: da es immer andre Gefühle
unterdrücken, gleichsam vernichten, und immer
den Unterschied von zween durch ein drittes erken-
nen muß. Mit einem Merkmal also? und was
war das anders, als ein innerliches Merkwort?
"Der Schall des Blöckens von einer menschlichen
"Seele, als Kennzeichen des Schaafs, wahrge-
"nommen, ward, kraft dieser Bestimmung, Na-
"me
des Schaafs, und wenn ihn nie seine Zunge
"zu stammeln versucht hätte." Er erkannte das

Schaaf
D 4

ten des Beſchauens und Betaſtens losriß, hervor-
ſprang, am tiefſten eindrang, bleibt ihr. Das
Schaaf kommt wieder. Weiß, ſanft, wollicht —
ſie ſieht, taſtet, beſinnet ſich, ſucht Merkmal —
es bloͤckt, und nun erkennet ſies wieder! „Ha!
„du biſt das Bloͤckende!„ fuͤhlt ſie innerlich, ſie
hat es Menſchlich erkannt, da ſies deutlich, das
iſt mit einem Merkmal erkennet, und nennet.
Dunkler? So waͤre es ihr gar nicht wahrgenom-
men, weil keine Sinnlichkeit, kein Jnſtinkt zum
Schaafe ihr den Mangel des Deutlichen durch ein
lebhafteres Klare erſezte. Deutlich unmittelbar,
ohne Merkmal? So kann kein ſinnliches Geſchoͤpf
außer ſich empfinden: da es immer andre Gefuͤhle
unterdruͤcken, gleichſam vernichten, und immer
den Unterſchied von zween durch ein drittes erken-
nen muß. Mit einem Merkmal alſo? und was
war das anders, als ein innerliches Merkwort?
„Der Schall des Bloͤckens von einer menſchlichen
„Seele, als Kennzeichen des Schaafs, wahrge-
„nommen, ward, kraft dieſer Beſtimmung, Na-
„me
des Schaafs, und wenn ihn nie ſeine Zunge
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Schaaf
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[55/0061] ten des Beſchauens und Betaſtens losriß, hervor- ſprang, am tiefſten eindrang, bleibt ihr. Das Schaaf kommt wieder. Weiß, ſanft, wollicht — ſie ſieht, taſtet, beſinnet ſich, ſucht Merkmal — es bloͤckt, und nun erkennet ſies wieder! „Ha! „du biſt das Bloͤckende!„ fuͤhlt ſie innerlich, ſie hat es Menſchlich erkannt, da ſies deutlich, das iſt mit einem Merkmal erkennet, und nennet. Dunkler? So waͤre es ihr gar nicht wahrgenom- men, weil keine Sinnlichkeit, kein Jnſtinkt zum Schaafe ihr den Mangel des Deutlichen durch ein lebhafteres Klare erſezte. Deutlich unmittelbar, ohne Merkmal? So kann kein ſinnliches Geſchoͤpf außer ſich empfinden: da es immer andre Gefuͤhle unterdruͤcken, gleichſam vernichten, und immer den Unterſchied von zween durch ein drittes erken- nen muß. Mit einem Merkmal alſo? und was war das anders, als ein innerliches Merkwort? „Der Schall des Bloͤckens von einer menſchlichen „Seele, als Kennzeichen des Schaafs, wahrge- „nommen, ward, kraft dieſer Beſtimmung, Na- „me des Schaafs, und wenn ihn nie ſeine Zunge „zu ſtammeln verſucht haͤtte.„ Er erkannte das Schaaf D 4

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/61>, abgerufen am 25.11.2024.