davon vertreibet, der nimmt mir nicht blos mein Leben, wenn ich diesen Unterhalt nicht wieder finde; sondern würklich auch den Werth meiner verlebten Jahre, meinen Schweiß, meine Mühe, meine Gedanken, meine Spra- che -- ich habe sie mir erworben! und sollte für den Erstling der Menschheit eine solche Signatur der Seele auf eine Sache, durch Kennenlernen, durch Merkmal, durch Sprache, nicht mehr Recht des Eigenthums seyn, als ein Stempel in der Münze?
"Wie viel Ordnung und Ausbildung be- "kommt die Sprache also schon eben damit, daß "sie väterliche Lehre wird! wer lernt nicht, indem er lehret? Wer versichert sich nicht seiner Jdeen, wer mustert nicht seine Worte, indem er sie andern mittheilt, und sie so oft von den Lip- pen des Unmündigen stammlen höret? Hier ge- winnt also schon die Sprache eine Form der Kunst, der Methode! hier würde die erste Grammatik, die ein Abdruck der menschlichen Seele, und ihrer natürlichen Logik war, schon durch eine scharfprüfende Censur berichtigt.
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davon vertreibet, der nimmt mir nicht blos mein Leben, wenn ich dieſen Unterhalt nicht wieder finde; ſondern wuͤrklich auch den Werth meiner verlebten Jahre, meinen Schweiß, meine Muͤhe, meine Gedanken, meine Spra- che — ich habe ſie mir erworben! und ſollte fuͤr den Erſtling der Menſchheit eine ſolche Signatur der Seele auf eine Sache, durch Kennenlernen, durch Merkmal, durch Sprache, nicht mehr Recht des Eigenthums ſeyn, als ein Stempel in der Muͤnze?
„Wie viel Ordnung und Ausbildung be- „kommt die Sprache alſo ſchon eben damit, daß „ſie vaͤterliche Lehre wird! wer lernt nicht, indem er lehret? Wer verſichert ſich nicht ſeiner Jdeen, wer muſtert nicht ſeine Worte, indem er ſie andern mittheilt, und ſie ſo oft von den Lip- pen des Unmuͤndigen ſtammlen hoͤret? Hier ge- winnt alſo ſchon die Sprache eine Form der Kunſt, der Methode! hier wuͤrde die erſte Grammatik, die ein Abdruck der menſchlichen Seele, und ihrer natuͤrlichen Logik war, ſchon durch eine ſcharfpruͤfende Cenſur berichtigt.
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davon vertreibet, der nimmt mir nicht blos
mein Leben, wenn ich dieſen Unterhalt nicht
wieder finde; ſondern wuͤrklich auch den Werth
meiner verlebten Jahre, meinen Schweiß,
meine Muͤhe, meine Gedanken, meine Spra-
che — ich habe ſie mir erworben! und ſollte fuͤr
den Erſtling der Menſchheit eine ſolche Signatur
der Seele auf eine Sache, durch Kennenlernen,
durch Merkmal, durch Sprache, nicht mehr Recht
des Eigenthums ſeyn, als ein Stempel in der
Muͤnze?
„Wie viel Ordnung und Ausbildung be-
„kommt die Sprache alſo ſchon eben damit, daß
„ſie vaͤterliche Lehre wird! wer lernt nicht,
indem er lehret? Wer verſichert ſich nicht ſeiner
Jdeen, wer muſtert nicht ſeine Worte, indem
er ſie andern mittheilt, und ſie ſo oft von den Lip-
pen des Unmuͤndigen ſtammlen hoͤret? Hier ge-
winnt alſo ſchon die Sprache eine Form der
Kunſt, der Methode! hier wuͤrde die erſte
Grammatik, die ein Abdruck der menſchlichen
Seele, und ihrer natuͤrlichen Logik war, ſchon
durch eine ſcharfpruͤfende Cenſur berichtigt.
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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/187>, abgerufen am 16.02.2025.
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