nehmen. Wem wird hiemit nicht "Haushaltung der Natur zur Gesellung der Menschheit" vorleuchtend? und zwar die so unmittelbar, so nahe am Jnstinkt, als es bei einem besonne- nen Geschöpf seyn konnte! --
Jch muß den lezten Punkt mehr entwickeln, denn in ihm zeigt sich das Werk der Natur am au- genscheinlichsten, und mein Schluß wird hieraus um desto schneller. Wenn man alles, wie unsre groben Epikuräer, aus blinder Wollust oder unmit- telbarem Eigennutz erklären will -- wer kann das Gefühl der Eltern gegen Kinder erklären? Und die starken Bande, die dadurch bewürkt werden? Siehe! dieser arme Erdbewohner kommt elend auf die Welt, ohne zu wissen, daß er elend sey: er ist der Erbarmung bedürftig, ohne daß er sich ihrer im mindsten werth machen könnte: er wei- net -- aber selbst dies Weinen mußte so beschwehr- lich werden, als das Geheul des Philoktet, der doch so viel Verdienste hatte, den Griechen, die ihn der wüsten Jnsel übergaben. Hier muß- ten also eben, nach unsrer kalten Philosophie die Bande der Natur am ehesten reißen, wo sie am
stärk-
nehmen. Wem wird hiemit nicht „Haushaltung der Natur zur Geſellung der Menſchheit„ vorleuchtend? und zwar die ſo unmittelbar, ſo nahe am Jnſtinkt, als es bei einem beſonne- nen Geſchoͤpf ſeyn konnte! —
Jch muß den lezten Punkt mehr entwickeln, denn in ihm zeigt ſich das Werk der Natur am au- genſcheinlichſten, und mein Schluß wird hieraus um deſto ſchneller. Wenn man alles, wie unſre groben Epikuraͤer, aus blinder Wolluſt oder unmit- telbarem Eigennutz erklaͤren will — wer kann das Gefuͤhl der Eltern gegen Kinder erklaͤren? Und die ſtarken Bande, die dadurch bewuͤrkt werden? Siehe! dieſer arme Erdbewohner kommt elend auf die Welt, ohne zu wiſſen, daß er elend ſey: er iſt der Erbarmung beduͤrftig, ohne daß er ſich ihrer im mindſten werth machen koͤnnte: er wei- net — aber ſelbſt dies Weinen mußte ſo beſchwehr- lich werden, als das Geheul des Philoktet, der doch ſo viel Verdienſte hatte, den Griechen, die ihn der wuͤſten Jnſel uͤbergaben. Hier muß- ten alſo eben, nach unſrer kalten Philoſophie die Bande der Natur am eheſten reißen, wo ſie am
ſtaͤrk-
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nehmen. Wem wird hiemit nicht „Haushaltung
der Natur zur Geſellung der Menſchheit„
vorleuchtend? und zwar die ſo unmittelbar, ſo
nahe am Jnſtinkt, als es bei einem beſonne-
nen Geſchoͤpf ſeyn konnte! —
Jch muß den lezten Punkt mehr entwickeln,
denn in ihm zeigt ſich das Werk der Natur am au-
genſcheinlichſten, und mein Schluß wird hieraus
um deſto ſchneller. Wenn man alles, wie unſre
groben Epikuraͤer, aus blinder Wolluſt oder unmit-
telbarem Eigennutz erklaͤren will — wer kann das
Gefuͤhl der Eltern gegen Kinder erklaͤren? Und
die ſtarken Bande, die dadurch bewuͤrkt werden?
Siehe! dieſer arme Erdbewohner kommt elend
auf die Welt, ohne zu wiſſen, daß er elend ſey:
er iſt der Erbarmung beduͤrftig, ohne daß er ſich
ihrer im mindſten werth machen koͤnnte: er wei-
net — aber ſelbſt dies Weinen mußte ſo beſchwehr-
lich werden, als das Geheul des Philoktet, der
doch ſo viel Verdienſte hatte, den Griechen, die
ihn der wuͤſten Jnſel uͤbergaben. Hier muß-
ten alſo eben, nach unſrer kalten Philoſophie die
Bande der Natur am eheſten reißen, wo ſie am
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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/178>, abgerufen am 22.07.2024.
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