Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.man sagt: die Leidenschaft setze den
Verstand in Wir haben hier von mehr als einem Verstande ge- man sagt: die Leidenschaft setze den
Verstand in Wir haben hier von mehr als einem Verstande ge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0197" n="189"/> man sagt: <hi rendition="#g">die Leidenschaft setze den Verstand in<lb/> Bewegung</hi>. Nicht ein ganzes Seelenvermögen wird hier<lb/> in einseitige Thätigkeit gesetzt, sondern ein gewisses Denken,<lb/> das man <hi rendition="#g">verständig</hi> nennen kann, in wiefern <hi rendition="#g">Verstand</hi><lb/> bloß ein Gattungsbegriff für gewisse Arten der Regsamkeit<lb/> der Vorstellungen ist, — erzeugt sich in der Gedankenmasse,<lb/> welche sich um die Begierde herum angehäuft hat. Rohe<lb/> Menschen, und vollends Wilde, haben beynahe keinen an-<lb/> dern Verstand, als den ihrer Leidenschaften. Aber bey Ge-<lb/> bildeten giebt es andere, auch bis zum verständigen Denken<lb/> ausgearbeitete Vorstellungsmassen, und hier kommt nun zu<lb/> jenem partiellen Verstande der Leidenschaften noch ein an-<lb/> deres Phänomen, das man eben so unrichtig so ausdrückt:<lb/><hi rendition="#g">die Leidenschaft unterdrücke den Verstand</hi>. Näm-<lb/> lich, <hi rendition="#g">entweder</hi> treten die andern verständigen Vorstellungs-<lb/> massen zu spät hervor, nachdem die Leidenschaft befriedigt<lb/> und der durch sie gehemmte Fluß der Vorstellungen wieder<lb/> hergestellt wurde, alsdann sagt man mit Recht: <hi rendition="#g">der Mensch<lb/> hat sich übereilt</hi>; auch klagt er wohl selbst, er könne<lb/> seine Uebereilung nicht begreifen; denn sein voriges Thun<lb/> schwebt ihm jetzt wie ein todtes Bild vor und nur diejeni-<lb/> gen Vorstellungsmassen sind lebendig welche auf jene an-<lb/> dern tadelnd herabschauen. — <hi rendition="#g">Oder aber</hi>, zugleich mit<lb/> dem Verstande der Leidenschaft ist auch der bessere Verstand<lb/> im Bewußtseyn erwacht, allein er ist nicht stark oder nicht<lb/> aufgeregt genug; daraus entsteht dann die noch weit un-<lb/> glücklichere Folge, daß diejenige, Verbindung von Vorstellun-<lb/> gen, worin er seinen Sitz hat, verunreinigt unh verdorben<lb/> wird durch die.Begriffe, der Leidenschaft, weiche letztere je<lb/> öfter dies geschieht, um so mehr Herrschaft erlangt und sich<lb/> des Namens der Leidenschaft um so würdiger beweist. </p><lb/> <p>Wir haben hier von <hi rendition="#g">mehr als einem</hi> Verstande ge-<lb/> sprochen, und so muß es geschehn, falls man sich den Ver-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [189/0197]
man sagt: die Leidenschaft setze den Verstand in
Bewegung. Nicht ein ganzes Seelenvermögen wird hier
in einseitige Thätigkeit gesetzt, sondern ein gewisses Denken,
das man verständig nennen kann, in wiefern Verstand
bloß ein Gattungsbegriff für gewisse Arten der Regsamkeit
der Vorstellungen ist, — erzeugt sich in der Gedankenmasse,
welche sich um die Begierde herum angehäuft hat. Rohe
Menschen, und vollends Wilde, haben beynahe keinen an-
dern Verstand, als den ihrer Leidenschaften. Aber bey Ge-
bildeten giebt es andere, auch bis zum verständigen Denken
ausgearbeitete Vorstellungsmassen, und hier kommt nun zu
jenem partiellen Verstande der Leidenschaften noch ein an-
deres Phänomen, das man eben so unrichtig so ausdrückt:
die Leidenschaft unterdrücke den Verstand. Näm-
lich, entweder treten die andern verständigen Vorstellungs-
massen zu spät hervor, nachdem die Leidenschaft befriedigt
und der durch sie gehemmte Fluß der Vorstellungen wieder
hergestellt wurde, alsdann sagt man mit Recht: der Mensch
hat sich übereilt; auch klagt er wohl selbst, er könne
seine Uebereilung nicht begreifen; denn sein voriges Thun
schwebt ihm jetzt wie ein todtes Bild vor und nur diejeni-
gen Vorstellungsmassen sind lebendig welche auf jene an-
dern tadelnd herabschauen. — Oder aber, zugleich mit
dem Verstande der Leidenschaft ist auch der bessere Verstand
im Bewußtseyn erwacht, allein er ist nicht stark oder nicht
aufgeregt genug; daraus entsteht dann die noch weit un-
glücklichere Folge, daß diejenige, Verbindung von Vorstellun-
gen, worin er seinen Sitz hat, verunreinigt unh verdorben
wird durch die.Begriffe, der Leidenschaft, weiche letztere je
öfter dies geschieht, um so mehr Herrschaft erlangt und sich
des Namens der Leidenschaft um so würdiger beweist.
Wir haben hier von mehr als einem Verstande ge-
sprochen, und so muß es geschehn, falls man sich den Ver-
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