lich Zusätze, die mit ihr, sogleich indem sie eintreffen,
aufs innigste verschmelzen. (Geschähe dieses nicht, so würde die Einheit
der Person verloren gehn, welches sich in man- chen Arten des Wahnsinns wirklich
ereignet, indem sich aus einer gewissen Masse von Vorstellungen, die
abgeson- dert wirkt, ein neues Jch erzeugt, woraus, wenn die Mas- sen
abwechselnd, und zufolge eines Wechsels im Organis- mus, ins Bewußtseyn treten,
auch eine wechselnde Persön- lichkeit entsteht.)
Die Zusätze nun sind verhältnißmäßig weit weniger neue Auffassungen des eignen
Leibes, wofür die Empfäng- lichkeit (45) bald sehr gering wird, als vielmehr
innere Wahrnehmungen (40) der Vorstellungen, Begierden und Gefühle. Daher
neigt sich die Vorstellung des Jch immer mehr zu dem Begriff eines Geistes; der sich vollends abscheidet, indem das Jch
gedacht wird als übrig und unver- letzt bleibend bey Verstümmelungen des Leibes,
während der Veränderung der Lebensperioden, und selbst nach dem Tode.
Bey jedem Menschen erzeugt sich das Jch vielfach in verschiedenen
Vorstellungsmassen; und wiewohl daraus bey dem geistig Gesunden kein vielfaches Jch entsteht, so ist doch diese Vielheit
nicht unbedeutend für Charakterbil- dung überhaupt und für Moralitat
insbesondere. Der Kna- be, der ein Anderer ist zu Hause, ein Anderer in der Schule, ein Anderer unter seinen Spielgenossen: dieser schwebt in Gefahr. Der
Mann, der einen verschiedenen Ton hat für Vornehme, Freunde, und Geringe, steht
mo- ralisch nicht so sicher als der einfache sich stets gleichblei- bende.
Unter verschiedenen Menschen ist übrigens die Un- gleichheit unvermeidlich, daß
der eine sich mehr im Genuß, der andre mehr im Leiden fühlt; ein dritter mehr im
Thun, und zwar entweder im innern Thun, oder in äußerer Wirk-
lich Zusätze, die mit ihr, sogleich indem sie eintreffen,
aufs innigste verschmelzen. (Geschähe dieses nicht, so würde die Einheit
der Person verloren gehn, welches sich in man- chen Arten des Wahnsinns wirklich
ereignet, indem sich aus einer gewissen Masse von Vorstellungen, die
abgeson- dert wirkt, ein neues Jch erzeugt, woraus, wenn die Mas- sen
abwechselnd, und zufolge eines Wechsels im Organis- mus, ins Bewußtseyn treten,
auch eine wechselnde Persön- lichkeit entsteht.)
Die Zusätze nun sind verhältnißmäßig weit weniger neue Auffassungen des eignen
Leibes, wofür die Empfäng- lichkeit (45) bald sehr gering wird, als vielmehr
innere Wahrnehmungen (40) der Vorstellungen, Begierden und Gefühle. Daher
neigt sich die Vorstellung des Jch immer mehr zu dem Begriff eines Geistes; der sich vollends abscheidet, indem das Jch
gedacht wird als übrig und unver- letzt bleibend bey Verstümmelungen des Leibes,
während der Veränderung der Lebensperioden, und selbst nach dem Tode.
Bey jedem Menschen erzeugt sich das Jch vielfach in verschiedenen
Vorstellungsmassen; und wiewohl daraus bey dem geistig Gesunden kein vielfaches Jch entsteht, so ist doch diese Vielheit
nicht unbedeutend für Charakterbil- dung überhaupt und für Moralitat
insbesondere. Der Kna- be, der ein Anderer ist zu Hause, ein Anderer in der Schule, ein Anderer unter seinen Spielgenossen: dieser schwebt in Gefahr. Der
Mann, der einen verschiedenen Ton hat für Vornehme, Freunde, und Geringe, steht
mo- ralisch nicht so sicher als der einfache sich stets gleichblei- bende.
Unter verschiedenen Menschen ist übrigens die Un- gleichheit unvermeidlich, daß
der eine sich mehr im Genuß, der andre mehr im Leiden fühlt; ein dritter mehr im
Thun, und zwar entweder im innern Thun, oder in äußerer Wirk-
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lich Zusätze, die mit ihr, sogleich indem sie eintreffen, aufs
innigste verschmelzen. (Geschähe dieses nicht, so würde die
Einheit der Person verloren gehn, welches sich in man-
chen Arten des Wahnsinns wirklich ereignet, indem sich
aus einer gewissen Masse von Vorstellungen, die abgeson-
dert wirkt, ein neues Jch erzeugt, woraus, wenn die Mas-
sen abwechselnd, und zufolge eines Wechsels im Organis-
mus, ins Bewußtseyn treten, auch eine wechselnde Persön-
lichkeit entsteht.)
Die Zusätze nun sind verhältnißmäßig weit weniger
neue Auffassungen des eignen Leibes, wofür die Empfäng-
lichkeit (45) bald sehr gering wird, als vielmehr innere
Wahrnehmungen (40) der Vorstellungen, Begierden und
Gefühle. Daher neigt sich die Vorstellung des Jch immer
mehr zu dem Begriff eines Geistes; der sich vollends
abscheidet, indem das Jch gedacht wird als übrig und unver-
letzt bleibend bey Verstümmelungen des Leibes, während
der Veränderung der Lebensperioden, und selbst nach dem
Tode.
Bey jedem Menschen erzeugt sich das Jch vielfach in
verschiedenen Vorstellungsmassen; und wiewohl daraus bey
dem geistig Gesunden kein vielfaches Jch entsteht, so
ist doch diese Vielheit nicht unbedeutend für Charakterbil-
dung überhaupt und für Moralitat insbesondere. Der Kna-
be, der ein Anderer ist zu Hause, ein Anderer in der
Schule, ein Anderer unter seinen Spielgenossen: dieser
schwebt in Gefahr. Der Mann, der einen verschiedenen
Ton hat für Vornehme, Freunde, und Geringe, steht mo-
ralisch nicht so sicher als der einfache sich stets gleichblei-
bende. Unter verschiedenen Menschen ist übrigens die Un-
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der andre mehr im Leiden fühlt; ein dritter mehr im Thun,
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Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/170>, abgerufen am 02.08.2024.
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