Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Philosophie; indem die Begriffe sich als ein Gegebenes an
die in der Sprache vorgefundenen Worte gebunden zeigen.
Aristoteles, ebenfalls eine Pythagoräische Spur verfolgend,
suchte die Kategorien, d. h. die allgemeinsten Hauptbegriffe,
in der Sprache.

Die Wirkung hievon ist dreifach.

a) Die große Mehrzahl der Gebildeten, an welche
die Philosophie wenigstens theilweise gelangt, zieht die ab-
gesonderten Begriffe wieder zurück zu den Dingen. Die Er-
fahrung wird geordnet, wissenschaftlich behandelt; und in
den Wissenschaften setzen sich Streitpunkte vest, worin ge-
fragt wird, wie die Dinge durch Begriffe richtig zu denken
und durch Worte zu bezeichnen seyen.

b) Die Philosophen gerathen durch die Anstrengung,
theils in sich selbst, theils weit mehr noch in Andern, Be-
griffe als Objecte des Denkens vestzuhalten, auf die Ueber-
treibung, daß sie die Begriffe in die Zahl der realen Ge-
genstände versetzen; wobey ihnen die Eigenthümlichkeit der
Sinnendinge, vermöge deren sie metaphysische Probleme ent-
halten, dergestalt zu Hülfe kommt, daß die Begriffe sogar in
einem weit höheren Sinne, als die Erfahrungsgegenstände
selbst, für real gehalten werden. Dies ist der, noch jetzt
wirksame Charakter der Platonischen Jdeenlehre. Daher die
Verlegenheit des Aristoteles, der die Sinnengegenstände, die
mathematischen Figuren sammt den Zahlen, und die Jdeen,
neben einander vorfand; und über deren Verhältniß nie recht
mit sich einig scheint geworden zu seyn.

c) Eine andere Täuschung ist die eigenthümliche der
Kantischen Schule, in den Kategorien Stammbegriffe des
Verstandes, als eines Seelenvermögens, zu erblicken; wo-
von die Spuren schon beym Platon, dann bey Descartes
und bey Leibnitz vorkommen.

Dadurch verdunkelt sich die Verwandschaft der Katego-

Philosophie; indem die Begriffe sich als ein Gegebenes an
die in der Sprache vorgefundenen Worte gebunden zeigen.
Aristoteles, ebenfalls eine Pythagoräische Spur verfolgend,
suchte die Kategorien, d. h. die allgemeinsten Hauptbegriffe,
in der Sprache.

Die Wirkung hievon ist dreifach.

a) Die große Mehrzahl der Gebildeten, an welche
die Philosophie wenigstens theilweise gelangt, zieht die ab-
gesonderten Begriffe wieder zurück zu den Dingen. Die Er-
fahrung wird geordnet, wissenschaftlich behandelt; und in
den Wissenschaften setzen sich Streitpunkte vest, worin ge-
fragt wird, wie die Dinge durch Begriffe richtig zu denken
und durch Worte zu bezeichnen seyen.

b) Die Philosophen gerathen durch die Anstrengung,
theils in sich selbst, theils weit mehr noch in Andern, Be-
griffe als Objecte des Denkens vestzuhalten, auf die Ueber-
treibung, daß sie die Begriffe in die Zahl der realen Ge-
genstände versetzen; wobey ihnen die Eigenthümlichkeit der
Sinnendinge, vermöge deren sie metaphysische Probleme ent-
halten, dergestalt zu Hülfe kommt, daß die Begriffe sogar in
einem weit höheren Sinne, als die Erfahrungsgegenstände
selbst, für real gehalten werden. Dies ist der, noch jetzt
wirksame Charakter der Platonischen Jdeenlehre. Daher die
Verlegenheit des Aristoteles, der die Sinnengegenstände, die
mathematischen Figuren sammt den Zahlen, und die Jdeen,
neben einander vorfand; und über deren Verhältniß nie recht
mit sich einig scheint geworden zu seyn.

c) Eine andere Täuschung ist die eigenthümliche der
Kantischen Schule, in den Kategorien Stammbegriffe des
Verstandes, als eines Seelenvermögens, zu erblicken; wo-
von die Spuren schon beym Platon, dann bey Descartes
und bey Leibnitz vorkommen.

Dadurch verdunkelt sich die Verwandschaft der Katego-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0160" n="152"/>
Philosophie; indem die Begriffe sich als ein Gegebenes
               an<lb/>
die in der Sprache vorgefundenen Worte gebunden zeigen.<lb/>
Aristoteles,
               ebenfalls eine Pythagoräische Spur verfolgend,<lb/>
suchte die Kategorien, d. h. die
               allgemeinsten Hauptbegriffe,<lb/>
in der Sprache.</p><lb/>
            <p>Die Wirkung hievon ist dreifach.</p><lb/>
            <p>a) Die große Mehrzahl der Gebildeten, an welche<lb/>
die Philosophie wenigstens
               theilweise gelangt, zieht die ab-<lb/>
gesonderten Begriffe wieder zurück zu den
               Dingen. Die Er-<lb/>
fahrung wird geordnet, wissenschaftlich behandelt; und in<lb/>
den Wissenschaften setzen sich Streitpunkte vest, worin ge-<lb/>
fragt wird, wie die
               Dinge durch Begriffe richtig zu denken<lb/>
und durch Worte zu bezeichnen seyen.</p><lb/>
            <p>b) Die Philosophen gerathen durch die Anstrengung,<lb/>
theils in sich selbst,
               theils weit mehr noch in Andern, Be-<lb/>
griffe als Objecte des Denkens vestzuhalten,
               auf die Ueber-<lb/>
treibung, daß sie die Begriffe in die Zahl der realen Ge-<lb/>
genstände versetzen; wobey ihnen die Eigenthümlichkeit der<lb/>
Sinnendinge, vermöge
               deren sie metaphysische Probleme ent-<lb/>
halten, dergestalt zu Hülfe kommt, daß die
               Begriffe sogar in<lb/>
einem weit höheren Sinne, als die Erfahrungsgegenstände<lb/>
selbst, für real gehalten werden. Dies ist der, noch jetzt<lb/>
wirksame Charakter
               der Platonischen Jdeenlehre. Daher die<lb/>
Verlegenheit des Aristoteles, der die
               Sinnengegenstände, die<lb/>
mathematischen Figuren sammt den Zahlen, und die Jdeen,<lb/>
neben einander vorfand; und über deren Verhältniß nie recht<lb/>
mit sich einig
               scheint geworden zu seyn.</p><lb/>
            <p>c) Eine andere Täuschung ist die eigenthümliche der<lb/>
Kantischen Schule, in den
               Kategorien Stammbegriffe des<lb/>
Verstandes, als eines Seelenvermögens, zu
               erblicken; wo-<lb/>
von die Spuren schon beym Platon, dann bey Descartes<lb/>
und bey
               Leibnitz vorkommen.</p><lb/>
            <p>Dadurch verdunkelt sich die Verwandschaft der Katego-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[152/0160] Philosophie; indem die Begriffe sich als ein Gegebenes an die in der Sprache vorgefundenen Worte gebunden zeigen. Aristoteles, ebenfalls eine Pythagoräische Spur verfolgend, suchte die Kategorien, d. h. die allgemeinsten Hauptbegriffe, in der Sprache. Die Wirkung hievon ist dreifach. a) Die große Mehrzahl der Gebildeten, an welche die Philosophie wenigstens theilweise gelangt, zieht die ab- gesonderten Begriffe wieder zurück zu den Dingen. Die Er- fahrung wird geordnet, wissenschaftlich behandelt; und in den Wissenschaften setzen sich Streitpunkte vest, worin ge- fragt wird, wie die Dinge durch Begriffe richtig zu denken und durch Worte zu bezeichnen seyen. b) Die Philosophen gerathen durch die Anstrengung, theils in sich selbst, theils weit mehr noch in Andern, Be- griffe als Objecte des Denkens vestzuhalten, auf die Ueber- treibung, daß sie die Begriffe in die Zahl der realen Ge- genstände versetzen; wobey ihnen die Eigenthümlichkeit der Sinnendinge, vermöge deren sie metaphysische Probleme ent- halten, dergestalt zu Hülfe kommt, daß die Begriffe sogar in einem weit höheren Sinne, als die Erfahrungsgegenstände selbst, für real gehalten werden. Dies ist der, noch jetzt wirksame Charakter der Platonischen Jdeenlehre. Daher die Verlegenheit des Aristoteles, der die Sinnengegenstände, die mathematischen Figuren sammt den Zahlen, und die Jdeen, neben einander vorfand; und über deren Verhältniß nie recht mit sich einig scheint geworden zu seyn. c) Eine andere Täuschung ist die eigenthümliche der Kantischen Schule, in den Kategorien Stammbegriffe des Verstandes, als eines Seelenvermögens, zu erblicken; wo- von die Spuren schon beym Platon, dann bey Descartes und bey Leibnitz vorkommen. Dadurch verdunkelt sich die Verwandschaft der Katego-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-07-05T12:13:38Z)
Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-07-05T12:13:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Hannah Sophia Glaum: Umwandlung in DTABf-konformes Markup. (2013-07-05T12:13:38Z)
Stefanie Seim: Nachkorrekturen. (2013-07-05T12:13:38Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/160
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/160>, abgerufen am 22.11.2024.