nen müssen. Einige Bemerkungen werden jedoch nützlich seyn, um die Zusammenfassung des Vorgetragenen zu erleich- tern, bevor wir den
menschlichen Geist in seinen wandelba- ren Zustanden näher betrachten.
121. Nächst den äußern Sinnen, deren Unentbehr- lichkeit beym ersten Blick
einleuchtet (was wäre ein Mensch, blind, taub, und ohne Hände geboren?), ist
ohne Zweifel die Reproduction, in ihren beyden Formen als Gedächtniß und
Einbildungskraft, der Hauptsitz des geistigen Lebens. Der einzelne Augenblick
giebt durch die Sinne sehr wenig; und wir würden thierisch beschränkt seyn,
bliebe uns nicht die Vergangenheit, als ein Schatz, in den wir unaufhörlich
zurückgreifen. -- Jn den Stunden, wo der Zufluß unge- suchter Gedanken
schwächer ist oder gar stockt, spürt man am besten die Armuth der Gefühle, die
Rohheit der Be- gierden, die Unthätigkeit oder vergebliche Bemühung des Verstandes und der Vernunft ohne die Einbildungskraft.
Bis zu vesten Producten reift das Werk der Einbil- dungskraft in Mythen und
Sagenkreisen, welche als Gegen- stände des Glaubens von der Kunst der Darstellung
er- griffen werden.
122. Hier ist der.Ort, der Uebungen und Fer- tigkeiten zu erwähnen. Dieser ist die Reproduction vor- zugsweise fähig; und man kann sie nirgends sonst mit Sicherheit nachweisen, was
auch von Uebung des Verstan- des, der Vernunft, von sittlicher Fertigkeit u. s.
w. mag gesagt werden. Denn die Thatsachen, welche man dafür anführen mag,
bezeugen gerade, daß früher gebildete Be- griffe, Urtheile, Gefühle, Entschlüsse,
eben so wohl als sinn- liche Vorstellungen, reproducirt und hiemit in neue
Wirk- samkeit gesetzt werden; sie bezeugen, daß dies desto schneller, sicherer und umfassender geschieht, je öfter und sorgfältiger
nen müssen. Einige Bemerkungen werden jedoch nützlich seyn, um die Zusammenfassung des Vorgetragenen zu erleich- tern, bevor wir den
menschlichen Geist in seinen wandelba- ren Zustanden näher betrachten.
121. Nächst den äußern Sinnen, deren Unentbehr- lichkeit beym ersten Blick
einleuchtet (was wäre ein Mensch, blind, taub, und ohne Hände geboren?), ist
ohne Zweifel die Reproduction, in ihren beyden Formen als Gedächtniß und
Einbildungskraft, der Hauptsitz des geistigen Lebens. Der einzelne Augenblick
giebt durch die Sinne sehr wenig; und wir würden thierisch beschränkt seyn,
bliebe uns nicht die Vergangenheit, als ein Schatz, in den wir unaufhörlich
zurückgreifen. — Jn den Stunden, wo der Zufluß unge- suchter Gedanken
schwächer ist oder gar stockt, spürt man am besten die Armuth der Gefühle, die
Rohheit der Be- gierden, die Unthätigkeit oder vergebliche Bemühung des Verstandes und der Vernunft ohne die Einbildungskraft.
Bis zu vesten Producten reift das Werk der Einbil- dungskraft in Mythen und
Sagenkreisen, welche als Gegen- stände des Glaubens von der Kunst der Darstellung
er- griffen werden.
122. Hier ist der.Ort, der Uebungen und Fer- tigkeiten zu erwähnen. Dieser ist die Reproduction vor- zugsweise fähig; und man kann sie nirgends sonst mit Sicherheit nachweisen, was
auch von Uebung des Verstan- des, der Vernunft, von sittlicher Fertigkeit u. s.
w. mag gesagt werden. Denn die Thatsachen, welche man dafür anführen mag,
bezeugen gerade, daß früher gebildete Be- griffe, Urtheile, Gefühle, Entschlüsse,
eben so wohl als sinn- liche Vorstellungen, reproducirt und hiemit in neue
Wirk- samkeit gesetzt werden; sie bezeugen, daß dies desto schneller, sicherer und umfassender geschieht, je öfter und sorgfältiger
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0103"n="95"/>
nen müssen. Einige Bemerkungen werden jedoch nützlich<lb/>
seyn, um die Zusammenfassung des Vorgetragenen zu erleich-<lb/>
tern, bevor wir den
menschlichen Geist in seinen wandelba-<lb/>
ren Zustanden näher betrachten.</p><lb/><p>121. Nächst den äußern Sinnen, deren Unentbehr-<lb/>
lichkeit beym ersten Blick
einleuchtet (was wäre ein Mensch,<lb/>
blind, taub, und ohne Hände geboren?), ist
ohne Zweifel<lb/>
die Reproduction, in ihren beyden Formen als Gedächtniß<lb/>
und
Einbildungskraft, der Hauptsitz des geistigen Lebens.<lb/>
Der einzelne Augenblick
giebt durch die Sinne sehr wenig;<lb/>
und wir würden thierisch beschränkt seyn,
bliebe uns nicht<lb/>
die Vergangenheit, als ein Schatz, in den wir unaufhörlich<lb/>
zurückgreifen. — Jn den Stunden, wo der Zufluß unge-<lb/>
suchter Gedanken
schwächer ist oder gar stockt, spürt man<lb/>
am besten die Armuth der Gefühle, die
Rohheit der Be-<lb/>
gierden, die Unthätigkeit oder vergebliche Bemühung des<lb/>
Verstandes und der Vernunft ohne die Einbildungskraft. </p><lb/><p>Bis zu vesten Producten reift das Werk der Einbil-<lb/>
dungskraft in Mythen und
Sagenkreisen, welche als Gegen-<lb/>
stände des Glaubens von der Kunst der Darstellung
er-<lb/>
griffen werden.</p><lb/><p>122. Hier ist der.Ort, der <hirendition="#g">Uebungen</hi> und <hirendition="#g">Fer-<lb/>
tigkeiten</hi> zu erwähnen. Dieser ist die Reproduction vor-<lb/>
zugsweise fähig; und man kann sie nirgends sonst mit<lb/>
Sicherheit nachweisen, was
auch von Uebung des Verstan-<lb/>
des, der Vernunft, von sittlicher Fertigkeit u. s.
w. mag<lb/>
gesagt werden. Denn die Thatsachen, welche man dafür<lb/>
anführen mag,
bezeugen gerade, daß früher gebildete Be-<lb/>
griffe, Urtheile, Gefühle, Entschlüsse,
eben so wohl als sinn-<lb/>
liche Vorstellungen, reproducirt und hiemit in neue
Wirk-<lb/>
samkeit gesetzt werden; sie bezeugen, daß dies desto schneller,<lb/>
sicherer und umfassender geschieht, je öfter und sorgfältiger<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[95/0103]
nen müssen. Einige Bemerkungen werden jedoch nützlich
seyn, um die Zusammenfassung des Vorgetragenen zu erleich-
tern, bevor wir den menschlichen Geist in seinen wandelba-
ren Zustanden näher betrachten.
121. Nächst den äußern Sinnen, deren Unentbehr-
lichkeit beym ersten Blick einleuchtet (was wäre ein Mensch,
blind, taub, und ohne Hände geboren?), ist ohne Zweifel
die Reproduction, in ihren beyden Formen als Gedächtniß
und Einbildungskraft, der Hauptsitz des geistigen Lebens.
Der einzelne Augenblick giebt durch die Sinne sehr wenig;
und wir würden thierisch beschränkt seyn, bliebe uns nicht
die Vergangenheit, als ein Schatz, in den wir unaufhörlich
zurückgreifen. — Jn den Stunden, wo der Zufluß unge-
suchter Gedanken schwächer ist oder gar stockt, spürt man
am besten die Armuth der Gefühle, die Rohheit der Be-
gierden, die Unthätigkeit oder vergebliche Bemühung des
Verstandes und der Vernunft ohne die Einbildungskraft.
Bis zu vesten Producten reift das Werk der Einbil-
dungskraft in Mythen und Sagenkreisen, welche als Gegen-
stände des Glaubens von der Kunst der Darstellung er-
griffen werden.
122. Hier ist der.Ort, der Uebungen und Fer-
tigkeiten zu erwähnen. Dieser ist die Reproduction vor-
zugsweise fähig; und man kann sie nirgends sonst mit
Sicherheit nachweisen, was auch von Uebung des Verstan-
des, der Vernunft, von sittlicher Fertigkeit u. s. w. mag
gesagt werden. Denn die Thatsachen, welche man dafür
anführen mag, bezeugen gerade, daß früher gebildete Be-
griffe, Urtheile, Gefühle, Entschlüsse, eben so wohl als sinn-
liche Vorstellungen, reproducirt und hiemit in neue Wirk-
samkeit gesetzt werden; sie bezeugen, daß dies desto schneller,
sicherer und umfassender geschieht, je öfter und sorgfältiger
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-07-05T12:13:38Z)
Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription.
(2013-07-05T12:13:38Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Hannah Sophia Glaum: Umwandlung in DTABf-konformes Markup.
(2013-07-05T12:13:38Z)
Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/103>, abgerufen am 28.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.