zusammenwirkenden resultirt. Warum lassen sie sich das gefallen? Weil sie nicht anders können. Sie sind selbst im psychologischen Mechanismus mit befangen, und müssen auch leiden, indem die andern Vorstellun- gen von ihnen leiden. Die geschehene Wahl ist der Beschluss, der sich in der neuen Richtung ankündigt, welche nun alle Vorstellungen vermöge der neu gebilde- ten Totalkraft erhalten.
Sind alle diese Beschreibungen noch roh: so liegt es wenigstens zum Theil an der äusserst verwickelten Natur des Gegenstandes, und an seiner weiten Entfernung von den obigen Grundsätzen des synthetischen Theils. -- Indessen können wir doch jetzt auf zwey Puncte einiges Licht werfen; erstlich auf den Unterschied des Wollens vom Begehren, Verlangen, Wünschen; dann auf das Eigenthümliche des sittlichen Wollens.
Wunsch ist wohl der gelindeste Ausdruck für das- jenige Streben, was wir oben mit der allgemeinen Be- nennung des Begehrens belegten. Wenn man aber be- denkt, dass es auch heftige Wünsche giebt: so sieht man leicht, dass beym Verlangen, und vollends beym Wollen, noch etwas anderes, als ein höherer Grad, muss hinzugekommen seyn. Was man verlangt, das glaubt man, aus irgend einem Grunde, erreichen zu können; was man will, dessen Erreichung setzt man be- stimmt voraus. Nun ist klar, warum die praktische Vernunft als ein Mittelding, oder vielmehr als ein Zu- sammengesetztes aus theoretischem und praktischem Ver- mögen erscheint. Bestimmte sich die Wahl bloss nach dem stärkeren Begehren, und durch dessen Uebergewicht über andere Strebungen: so würde sie von keinem hö- heren Erkenntnissvermögen hergeleitet werden. Allein nichts kann beschlossen werden, ohne dass wir es als in unserer Macht stehend angesehen haben. Die Frage, wie weit unser Können reiche, geht schon in die Erwä- gung mit ein, und entfernt daraus alles, wovon nicht we- nigstens das Versuchen in unserer Gewalt zu seyn
D d 2
zusammenwirkenden resultirt. Warum lassen sie sich das gefallen? Weil sie nicht anders können. Sie sind selbst im psychologischen Mechanismus mit befangen, und müssen auch leiden, indem die andern Vorstellun- gen von ihnen leiden. Die geschehene Wahl ist der Beschluſs, der sich in der neuen Richtung ankündigt, welche nun alle Vorstellungen vermöge der neu gebilde- ten Totalkraft erhalten.
Sind alle diese Beschreibungen noch roh: so liegt es wenigstens zum Theil an der äuſserst verwickelten Natur des Gegenstandes, und an seiner weiten Entfernung von den obigen Grundsätzen des synthetischen Theils. — Indessen können wir doch jetzt auf zwey Puncte einiges Licht werfen; erstlich auf den Unterschied des Wollens vom Begehren, Verlangen, Wünschen; dann auf das Eigenthümliche des sittlichen Wollens.
Wunsch ist wohl der gelindeste Ausdruck für das- jenige Streben, was wir oben mit der allgemeinen Be- nennung des Begehrens belegten. Wenn man aber be- denkt, daſs es auch heftige Wünsche giebt: so sieht man leicht, daſs beym Verlangen, und vollends beym Wollen, noch etwas anderes, als ein höherer Grad, muſs hinzugekommen seyn. Was man verlangt, das glaubt man, aus irgend einem Grunde, erreichen zu können; was man will, dessen Erreichung setzt man be- stimmt voraus. Nun ist klar, warum die praktische Vernunft als ein Mittelding, oder vielmehr als ein Zu- sammengesetztes aus theoretischem und praktischem Ver- mögen erscheint. Bestimmte sich die Wahl bloſs nach dem stärkeren Begehren, und durch dessen Uebergewicht über andere Strebungen: so würde sie von keinem hö- heren Erkenntniſsvermögen hergeleitet werden. Allein nichts kann beschlossen werden, ohne daſs wir es als in unserer Macht stehend angesehen haben. Die Frage, wie weit unser Können reiche, geht schon in die Erwä- gung mit ein, und entfernt daraus alles, wovon nicht we- nigstens das Versuchen in unserer Gewalt zu seyn
D d 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0454"n="419"/>
zusammenwirkenden resultirt. Warum lassen sie sich<lb/>
das gefallen? Weil sie nicht anders können. Sie sind<lb/>
selbst im psychologischen Mechanismus mit befangen,<lb/>
und müssen auch leiden, indem die andern Vorstellun-<lb/>
gen von ihnen leiden. Die geschehene Wahl ist der<lb/>
Beschluſs, der sich in der neuen Richtung ankündigt,<lb/>
welche nun alle Vorstellungen vermöge der neu gebilde-<lb/>
ten Totalkraft erhalten.</p><lb/><p>Sind alle diese Beschreibungen noch roh: so liegt<lb/>
es wenigstens zum Theil an der äuſserst verwickelten<lb/>
Natur des Gegenstandes, und an seiner weiten Entfernung<lb/>
von den obigen Grundsätzen des synthetischen Theils. —<lb/>
Indessen können wir doch jetzt auf zwey Puncte einiges<lb/>
Licht werfen; erstlich auf den Unterschied des Wollens<lb/>
vom Begehren, Verlangen, Wünschen; dann auf das<lb/>
Eigenthümliche des sittlichen Wollens.</p><lb/><p><hirendition="#g">Wunsch</hi> ist wohl der gelindeste Ausdruck für das-<lb/>
jenige Streben, was wir oben mit der allgemeinen Be-<lb/>
nennung des Begehrens belegten. Wenn man aber be-<lb/>
denkt, daſs es auch <hirendition="#g">heftige</hi> Wünsche giebt: so sieht<lb/>
man leicht, daſs beym Verlangen, und vollends beym<lb/>
Wollen, noch etwas anderes, als ein höherer Grad, muſs<lb/>
hinzugekommen seyn. Was man <hirendition="#g">verlangt</hi>, das glaubt<lb/>
man, aus irgend einem Grunde, erreichen zu können;<lb/><hirendition="#g">was man <hirendition="#i">will</hi>, dessen Erreichung setzt man be-<lb/>
stimmt voraus</hi>. Nun ist klar, warum die praktische<lb/>
Vernunft als ein Mittelding, oder vielmehr als ein Zu-<lb/>
sammengesetztes aus theoretischem und praktischem Ver-<lb/>
mögen erscheint. Bestimmte sich die Wahl bloſs nach<lb/>
dem stärkeren Begehren, und durch dessen Uebergewicht<lb/>
über andere Strebungen: so würde sie von keinem hö-<lb/>
heren <hirendition="#g">Erkenntniſsv</hi>ermögen hergeleitet werden. Allein<lb/>
nichts kann beschlossen werden, ohne daſs wir es als in<lb/>
unserer Macht stehend angesehen haben. Die Frage,<lb/>
wie weit unser Können reiche, geht schon in die Erwä-<lb/>
gung mit ein, und entfernt daraus alles, wovon nicht we-<lb/>
nigstens das <hirendition="#g">Versuchen</hi> in unserer Gewalt zu seyn<lb/><fwplace="bottom"type="sig">D d 2</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[419/0454]
zusammenwirkenden resultirt. Warum lassen sie sich
das gefallen? Weil sie nicht anders können. Sie sind
selbst im psychologischen Mechanismus mit befangen,
und müssen auch leiden, indem die andern Vorstellun-
gen von ihnen leiden. Die geschehene Wahl ist der
Beschluſs, der sich in der neuen Richtung ankündigt,
welche nun alle Vorstellungen vermöge der neu gebilde-
ten Totalkraft erhalten.
Sind alle diese Beschreibungen noch roh: so liegt
es wenigstens zum Theil an der äuſserst verwickelten
Natur des Gegenstandes, und an seiner weiten Entfernung
von den obigen Grundsätzen des synthetischen Theils. —
Indessen können wir doch jetzt auf zwey Puncte einiges
Licht werfen; erstlich auf den Unterschied des Wollens
vom Begehren, Verlangen, Wünschen; dann auf das
Eigenthümliche des sittlichen Wollens.
Wunsch ist wohl der gelindeste Ausdruck für das-
jenige Streben, was wir oben mit der allgemeinen Be-
nennung des Begehrens belegten. Wenn man aber be-
denkt, daſs es auch heftige Wünsche giebt: so sieht
man leicht, daſs beym Verlangen, und vollends beym
Wollen, noch etwas anderes, als ein höherer Grad, muſs
hinzugekommen seyn. Was man verlangt, das glaubt
man, aus irgend einem Grunde, erreichen zu können;
was man will, dessen Erreichung setzt man be-
stimmt voraus. Nun ist klar, warum die praktische
Vernunft als ein Mittelding, oder vielmehr als ein Zu-
sammengesetztes aus theoretischem und praktischem Ver-
mögen erscheint. Bestimmte sich die Wahl bloſs nach
dem stärkeren Begehren, und durch dessen Uebergewicht
über andere Strebungen: so würde sie von keinem hö-
heren Erkenntniſsvermögen hergeleitet werden. Allein
nichts kann beschlossen werden, ohne daſs wir es als in
unserer Macht stehend angesehen haben. Die Frage,
wie weit unser Können reiche, geht schon in die Erwä-
gung mit ein, und entfernt daraus alles, wovon nicht we-
nigstens das Versuchen in unserer Gewalt zu seyn
D d 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/454>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.