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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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so würde sogleich einleuchten, dass man sich hüten
müsse, das Unbedingte wiederum als eine Complexion
von Merkmalen vorzustellen. Geschieht dies, so fällt es
in das vorige Schmelzfeuer der zerlegenden Urtheile zu-
rück; welches z. B. Spinozas unendliche Substanz, die
aus Denken und Ausdehnung bestehn soll, auf keine
Weise vermeiden kann. -- Wir erinnern uns freylich
hier einer zum Schutze der spinozistischen Ansicht erson-
nenen Spielerey, die Manchen, der hiedurch nicht seine
Denkkraft, sondern seine Trägheit zum Denken bewies,
getäuscht hat; die Spielerey mit einer vorgeblichen Ein-
heit des Gegensatzes, und wiederum einer höhern Ein-
heit der Einheit und des Gegensatzes. Da wir einmal
darauf gekommen sind, wollen wir das Manoeuvre nur
gleich ins Unendliche fortsetzen. Also:
für zwey Entgegengesetzte a, b, heisse
ihr Gegensatz, a; ihre Einheit b;
für die Entgegengesetzten a, b, heisse
ihr Gegensatz A, ihre Einheit, B.
für die Entgegengesetzten A, B, heisse
ihr Gegensatz x; ihre Einheit, y; u. s. w.

Man sieht, dass dies ins Unendliche geht. Die Lehre,
worauf sich die gemachte Construction bezieht, vergisst
klüglich A, x, y, und alles folgende; sie thut daran sehr
wohl, denn der Fortgang ins Unendliche würde sogleich
verrathen, dass nichts vereinigt, sondern eben nur mit
Worten gespielt wurde; indem man sich erlaubte, Ein-
heiten und höhere Einheiten nach Belieben zu setzen,
anstatt sie zu beweisen, oder begreiflich zu machen; wäh-
rend schon der allererste Anfangspunct, der vorgebliche
reale Gegensatz, eben deshalb ein Unding ist, weil
er in Einem und ebendemselben gesetzt seyn müsste,
welches der klare Widerspruch selbst seyn würde *).

*) Schellings Bruno, S. 38. u. f. Aber hier will ich die Be-
merkung nicht zurückhalten, dass in meinen Augen der Urheber des
Irrthums weit weniger verantwortlich ist, als die, welche ihn begün-

so würde sogleich einleuchten, daſs man sich hüten
müsse, das Unbedingte wiederum als eine Complexion
von Merkmalen vorzustellen. Geschieht dies, so fällt es
in das vorige Schmelzfeuer der zerlegenden Urtheile zu-
rück; welches z. B. Spinozas unendliche Substanz, die
aus Denken und Ausdehnung bestehn soll, auf keine
Weise vermeiden kann. — Wir erinnern uns freylich
hier einer zum Schutze der spinozistischen Ansicht erson-
nenen Spielerey, die Manchen, der hiedurch nicht seine
Denkkraft, sondern seine Trägheit zum Denken bewies,
getäuscht hat; die Spielerey mit einer vorgeblichen Ein-
heit des Gegensatzes, und wiederum einer höhern Ein-
heit der Einheit und des Gegensatzes. Da wir einmal
darauf gekommen sind, wollen wir das Manoeuvre nur
gleich ins Unendliche fortsetzen. Also:
für zwey Entgegengesetzte a, b, heiſse
ihr Gegensatz, α; ihre Einheit β;
für die Entgegengesetzten α, β, heiſse
ihr Gegensatz A, ihre Einheit, B.
für die Entgegengesetzten A, B, heiſse
ihr Gegensatz x; ihre Einheit, y; u. s. w.

Man sieht, daſs dies ins Unendliche geht. Die Lehre,
worauf sich die gemachte Construction bezieht, vergiſst
klüglich A, x, y, und alles folgende; sie thut daran sehr
wohl, denn der Fortgang ins Unendliche würde sogleich
verrathen, daſs nichts vereinigt, sondern eben nur mit
Worten gespielt wurde; indem man sich erlaubte, Ein-
heiten und höhere Einheiten nach Belieben zu setzen,
anstatt sie zu beweisen, oder begreiflich zu machen; wäh-
rend schon der allererste Anfangspunct, der vorgebliche
reale Gegensatz, eben deshalb ein Unding ist, weil
er in Einem und ebendemselben gesetzt seyn müſste,
welches der klare Widerspruch selbst seyn würde *).

*) Schellings Bruno, S. 38. u. f. Aber hier will ich die Be-
merkung nicht zurückhalten, daſs in meinen Augen der Urheber des
Irrthums weit weniger verantwortlich ist, als die, welche ihn begün-
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[390/0425] so würde sogleich einleuchten, daſs man sich hüten müsse, das Unbedingte wiederum als eine Complexion von Merkmalen vorzustellen. Geschieht dies, so fällt es in das vorige Schmelzfeuer der zerlegenden Urtheile zu- rück; welches z. B. Spinozas unendliche Substanz, die aus Denken und Ausdehnung bestehn soll, auf keine Weise vermeiden kann. — Wir erinnern uns freylich hier einer zum Schutze der spinozistischen Ansicht erson- nenen Spielerey, die Manchen, der hiedurch nicht seine Denkkraft, sondern seine Trägheit zum Denken bewies, getäuscht hat; die Spielerey mit einer vorgeblichen Ein- heit des Gegensatzes, und wiederum einer höhern Ein- heit der Einheit und des Gegensatzes. Da wir einmal darauf gekommen sind, wollen wir das Manoeuvre nur gleich ins Unendliche fortsetzen. Also: für zwey Entgegengesetzte a, b, heiſse ihr Gegensatz, α; ihre Einheit β; für die Entgegengesetzten α, β, heiſse ihr Gegensatz A, ihre Einheit, B. für die Entgegengesetzten A, B, heiſse ihr Gegensatz x; ihre Einheit, y; u. s. w. Man sieht, daſs dies ins Unendliche geht. Die Lehre, worauf sich die gemachte Construction bezieht, vergiſst klüglich A, x, y, und alles folgende; sie thut daran sehr wohl, denn der Fortgang ins Unendliche würde sogleich verrathen, daſs nichts vereinigt, sondern eben nur mit Worten gespielt wurde; indem man sich erlaubte, Ein- heiten und höhere Einheiten nach Belieben zu setzen, anstatt sie zu beweisen, oder begreiflich zu machen; wäh- rend schon der allererste Anfangspunct, der vorgebliche reale Gegensatz, eben deshalb ein Unding ist, weil er in Einem und ebendemselben gesetzt seyn müſste, welches der klare Widerspruch selbst seyn würde *). *) Schellings Bruno, S. 38. u. f. Aber hier will ich die Be- merkung nicht zurückhalten, daſs in meinen Augen der Urheber des Irrthums weit weniger verantwortlich ist, als die, welche ihn begün-

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/425>, abgerufen am 22.11.2024.