setzen, als die Zwecke der Macht, von der das Letzte wie das Erste abhängt!
Zweytens: ein ähnliches Resultat ergiebt unsre Auf- fassung der Dinge im Raume. Wir kennen die Materie als theilbar; sie giebt sich uns massenweise, und wir be- trachten wirklich, so wie Kant will, die Massen als das- jenige, worin wir nach Belieben Theile machen können. Dem fortgesetzten Theilen stellt sich in blossen Grössen- begriffen nichts entgegen; in der Erfahrung widerspricht kein augenscheinlicher Versuch; die Philosophen lassen sich von der Geometrie überreden, mit der Materie zu schalten, wie mit dem Raume; was die bestimmten Ver- dichtungen, die bestimmten Krystallformen dagegen ein- wenden, wird nicht beachtet und noch weniger verstan- den. Die Substanz soll zwar in den Theilen liegen; aber mit ein paar idealistischen Behauptungen schlüpfen wir darüber leichtfüssig hinweg; und im Nothfalle würden wir wohl gar jenes Hülfmittel Kants gebrauchen, die Sub- stanz wieder in ein Prädicat zu verwandeln, um sie der- gestalt in die Flucht zu schlagen, dass sie nur im Un- endlichen ein Asyl finden können.
Soviel Mühe brauchen wir uns nicht zu geben. Denn zu der ganzen bisherigen Betrachtung kommt nun noch der Umstand hinzu, dass ohnehin schon die Substanz das Unbekannte ist, was hinter den Erscheinungen gesucht wird (§. 141.). Liegt nun hinter den Erschei- nungen auch das Unendliche: so fällt es schon dadurch, in gewöhnlicher und gemeiner Verwechselung, mit der Substanz zusammen. Und so haben wir denn eine un- endliche Substanz, ohne zu fragen, ob der Begriff des Seyn sich mit dem des Unendlichen vertrage oder nicht. Nun mögen die Schulen ihre Kampfplätze ebnen; denn die Vermählung des Endlichen mit dem Unendli- chen kann ohne Streit nicht abgehn. Aber davon mag die Geschichte der Philosophie ihren tragisch-komischen Bericht abstatten; wir können uns hier nicht darauf ein- lassen; besonders da wir zu der unerfreulichen Naturge-
setzen, als die Zwecke der Macht, von der das Letzte wie das Erste abhängt!
Zweytens: ein ähnliches Resultat ergiebt unsre Auf- fassung der Dinge im Raume. Wir kennen die Materie als theilbar; sie giebt sich uns massenweise, und wir be- trachten wirklich, so wie Kant will, die Massen als das- jenige, worin wir nach Belieben Theile machen können. Dem fortgesetzten Theilen stellt sich in bloſsen Gröſsen- begriffen nichts entgegen; in der Erfahrung widerspricht kein augenscheinlicher Versuch; die Philosophen lassen sich von der Geometrie überreden, mit der Materie zu schalten, wie mit dem Raume; was die bestimmten Ver- dichtungen, die bestimmten Krystallformen dagegen ein- wenden, wird nicht beachtet und noch weniger verstan- den. Die Substanz soll zwar in den Theilen liegen; aber mit ein paar idealistischen Behauptungen schlüpfen wir darüber leichtfüſsig hinweg; und im Nothfalle würden wir wohl gar jenes Hülfmittel Kants gebrauchen, die Sub- stanz wieder in ein Prädicat zu verwandeln, um sie der- gestalt in die Flucht zu schlagen, daſs sie nur im Un- endlichen ein Asyl finden können.
Soviel Mühe brauchen wir uns nicht zu geben. Denn zu der ganzen bisherigen Betrachtung kommt nun noch der Umstand hinzu, daſs ohnehin schon die Substanz das Unbekannte ist, was hinter den Erscheinungen gesucht wird (§. 141.). Liegt nun hinter den Erschei- nungen auch das Unendliche: so fällt es schon dadurch, in gewöhnlicher und gemeiner Verwechselung, mit der Substanz zusammen. Und so haben wir denn eine un- endliche Substanz, ohne zu fragen, ob der Begriff des Seyn sich mit dem des Unendlichen vertrage oder nicht. Nun mögen die Schulen ihre Kampfplätze ebnen; denn die Vermählung des Endlichen mit dem Unendli- chen kann ohne Streit nicht abgehn. Aber davon mag die Geschichte der Philosophie ihren tragisch-komischen Bericht abstatten; wir können uns hier nicht darauf ein- lassen; besonders da wir zu der unerfreulichen Naturge-
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setzen, als die Zwecke der Macht, von der das Letzte
wie das Erste abhängt!
Zweytens: ein ähnliches Resultat ergiebt unsre Auf-
fassung der Dinge im Raume. Wir kennen die Materie
als theilbar; sie giebt sich uns massenweise, und wir be-
trachten wirklich, so wie Kant will, die Massen als das-
jenige, worin wir nach Belieben Theile machen können.
Dem fortgesetzten Theilen stellt sich in bloſsen Gröſsen-
begriffen nichts entgegen; in der Erfahrung widerspricht
kein augenscheinlicher Versuch; die Philosophen lassen
sich von der Geometrie überreden, mit der Materie zu
schalten, wie mit dem Raume; was die bestimmten Ver-
dichtungen, die bestimmten Krystallformen dagegen ein-
wenden, wird nicht beachtet und noch weniger verstan-
den. Die Substanz soll zwar in den Theilen liegen; aber
mit ein paar idealistischen Behauptungen schlüpfen wir
darüber leichtfüſsig hinweg; und im Nothfalle würden wir
wohl gar jenes Hülfmittel Kants gebrauchen, die Sub-
stanz wieder in ein Prädicat zu verwandeln, um sie der-
gestalt in die Flucht zu schlagen, daſs sie nur im Un-
endlichen ein Asyl finden können.
Soviel Mühe brauchen wir uns nicht zu geben. Denn
zu der ganzen bisherigen Betrachtung kommt nun noch
der Umstand hinzu, daſs ohnehin schon die Substanz
das Unbekannte ist, was hinter den Erscheinungen
gesucht wird (§. 141.). Liegt nun hinter den Erschei-
nungen auch das Unendliche: so fällt es schon dadurch,
in gewöhnlicher und gemeiner Verwechselung, mit der
Substanz zusammen. Und so haben wir denn eine un-
endliche Substanz, ohne zu fragen, ob der Begriff
des Seyn sich mit dem des Unendlichen vertrage oder
nicht. Nun mögen die Schulen ihre Kampfplätze ebnen;
denn die Vermählung des Endlichen mit dem Unendli-
chen kann ohne Streit nicht abgehn. Aber davon mag
die Geschichte der Philosophie ihren tragisch-komischen
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/421>, abgerufen am 22.11.2024.
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