Wir müssen zurückkehren zu unserer Hauptsache: der logischen Cultur unserer Begriffe.
Diese wird bekanntlich erst vollendet durch Defini- tionen und Divisionen. Und man kann leicht be- merken, dass in dem Bemühen, eine Definition zu fin- den, der Begriff gleichsam angeschaut, betrachtet, meh- reren Versuchen unterworfen wird; dass er wie ein Object, welches wir zu fixiren suchen, vor uns schwebt. Also wird das, was eben zuvor von der fixirenden Anschauung gesagt wurde, hier zur Grundlage unserer Ueberlegung dienen könne. Die Aehnlichkeit in beyden Fällen ist um so grösser, da, wie vorhin gezeigt, die Empfindung beym Anschauen nicht als Vermehrung der Masse unse- rer Vorstellung, sondern nur als Reiz, und als formen- des Princip für unseren schon gesammelten Vorrath in Betracht kommt. Statt der Empfindung muss nun in dem Falle, wo eine Definition gesucht wird, der Gesammt- Eindruck, oder der noch rohe Begriff dienen, welchen wir definiren wollen; dieser muss mit hinreichender Ener- gie im Bewusstseyn hervortreten, oder durch wiederhohlte Fragen, was er sey? hervorgehoben werden. Ferner ist hier nicht bloss nach einerley Richtung hin die Apper- ception nöthig, sondern nach zweyen entgegengesetzten Richtungen. Nämlich auf der einen Seite müssen die untergeordneten Vorstellungen, auf der andern die hö- hern Begriffe hervortreten. Wie wenn die Definition des Vogels gesucht würde: so müssten erstlich Vögel mancherley Art, zweytens die Begriffe vom Thier über- haupt, von der Bewegung im Raume, und hier insbe- sondere vom Umherfahren in der Luft, ins Bewusstseyn treten. Denn die Definition, mag sie, der Kürze wegen, per genus proximum et differentiam specificam geleistet werden, -- muss erstlich den Begriff aus mehrern höhe- ren suchen zusammenzusetzen. (Auch die Differenz ist in der Regel ein höherer Begriff, da sie noch mehrern Begriffen zukommen kann, und folglich der, welchen wir mit ihrer Hülfe definiren wollen, sich zu ihr wie die Art
Wir müssen zurückkehren zu unserer Hauptsache: der logischen Cultur unserer Begriffe.
Diese wird bekanntlich erst vollendet durch Defini- tionen und Divisionen. Und man kann leicht be- merken, daſs in dem Bemühen, eine Definition zu fin- den, der Begriff gleichsam angeschaut, betrachtet, meh- reren Versuchen unterworfen wird; daſs er wie ein Object, welches wir zu fixiren suchen, vor uns schwebt. Also wird das, was eben zuvor von der fixirenden Anschauung gesagt wurde, hier zur Grundlage unserer Ueberlegung dienen könne. Die Aehnlichkeit in beyden Fällen ist um so gröſser, da, wie vorhin gezeigt, die Empfindung beym Anschauen nicht als Vermehrung der Masse unse- rer Vorstellung, sondern nur als Reiz, und als formen- des Princip für unseren schon gesammelten Vorrath in Betracht kommt. Statt der Empfindung muſs nun in dem Falle, wo eine Definition gesucht wird, der Gesammt- Eindruck, oder der noch rohe Begriff dienen, welchen wir definiren wollen; dieser muſs mit hinreichender Ener- gie im Bewuſstseyn hervortreten, oder durch wiederhohlte Fragen, was er sey? hervorgehoben werden. Ferner ist hier nicht bloſs nach einerley Richtung hin die Apper- ception nöthig, sondern nach zweyen entgegengesetzten Richtungen. Nämlich auf der einen Seite müssen die untergeordneten Vorstellungen, auf der andern die hö- hern Begriffe hervortreten. Wie wenn die Definition des Vogels gesucht würde: so müſsten erstlich Vögel mancherley Art, zweytens die Begriffe vom Thier über- haupt, von der Bewegung im Raume, und hier insbe- sondere vom Umherfahren in der Luft, ins Bewuſstseyn treten. Denn die Definition, mag sie, der Kürze wegen, per genus proximum et differentiam ſpecificam geleistet werden, — muſs erstlich den Begriff aus mehrern höhe- ren suchen zusammenzusetzen. (Auch die Differenz ist in der Regel ein höherer Begriff, da sie noch mehrern Begriffen zukommen kann, und folglich der, welchen wir mit ihrer Hülfe definiren wollen, sich zu ihr wie die Art
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Wir müssen zurückkehren zu unserer Hauptsache: der
logischen Cultur unserer Begriffe.
Diese wird bekanntlich erst vollendet durch Defini-
tionen und Divisionen. Und man kann leicht be-
merken, daſs in dem Bemühen, eine Definition zu fin-
den, der Begriff gleichsam angeschaut, betrachtet, meh-
reren Versuchen unterworfen wird; daſs er wie ein Object,
welches wir zu fixiren suchen, vor uns schwebt. Also
wird das, was eben zuvor von der fixirenden Anschauung
gesagt wurde, hier zur Grundlage unserer Ueberlegung
dienen könne. Die Aehnlichkeit in beyden Fällen ist
um so gröſser, da, wie vorhin gezeigt, die Empfindung
beym Anschauen nicht als Vermehrung der Masse unse-
rer Vorstellung, sondern nur als Reiz, und als formen-
des Princip für unseren schon gesammelten Vorrath in
Betracht kommt. Statt der Empfindung muſs nun in dem
Falle, wo eine Definition gesucht wird, der Gesammt-
Eindruck, oder der noch rohe Begriff dienen, welchen
wir definiren wollen; dieser muſs mit hinreichender Ener-
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Fragen, was er sey? hervorgehoben werden. Ferner
ist hier nicht bloſs nach einerley Richtung hin die Apper-
ception nöthig, sondern nach zweyen entgegengesetzten
Richtungen. Nämlich auf der einen Seite müssen die
untergeordneten Vorstellungen, auf der andern die hö-
hern Begriffe hervortreten. Wie wenn die Definition
des Vogels gesucht würde: so müſsten erstlich Vögel
mancherley Art, zweytens die Begriffe vom Thier über-
haupt, von der Bewegung im Raume, und hier insbe-
sondere vom Umherfahren in der Luft, ins Bewuſstseyn
treten. Denn die Definition, mag sie, der Kürze wegen,
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werden, — muſs erstlich den Begriff aus mehrern höhe-
ren suchen zusammenzusetzen. (Auch die Differenz ist
in der Regel ein höherer Begriff, da sie noch mehrern
Begriffen zukommen kann, und folglich der, welchen wir
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/405>, abgerufen am 22.11.2024.
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