sich auf menschliche Erfahrung und innere Wahrneh- mung stützt. Es ist sehr wohl denkbar, dass für andre Wesen ein anderes Zeitmaass statt findet, während gleich- wohl die Untersuchungen der Mechanik des Geistes, und die allgemeine Erklärung des Vorstellens der Succession, sich auf sie nicht minder als auf den Menschen be- ziehn. --
Wir spüren es im gemeinen Leben nur gar zu sehr, wie unzuverlässig das unmittelbare Gefühl des Zeitver- laufs sey; und es liegt uns nicht wenig daran, unsre Ge- schäffte nach einem vesten Zeitmaasse ordnen zu können. Wie helfen wir uns? Durch Beobachtung solcher Bewe- gungen, von denen wir annehmen, dass sie mit gleich- förmiger Geschwindigkeit geschehn. Die Umstände, un- ter denen diese Annahme irrig oder wahr seyn möge, können hier bey Seite gesetzt bleiben; ist sie aber auch wahr, so beruhet alles auf der Voraussetzung, dass mit gleichen Geschwindigkeiten in gleichen Zeiten gleiche Räume durchlaufen werden. In der That ein ganz evi- denter Grundsatz; denn er ist rein analytisch. Der Be- griff der Geschwindigkeit, der unmittelbar aus der Wahr- nehmung nicht entstehen kann, weil die Geschwindigkeit etwas intensives, und doch ausser uns ist, -- bildet sich durch dasjenige Denken, was die Gleichung
[Formel 1]
aus- sagt. Es ist der allgemeine Begriff der Bewegung in jedem Puncte; entstanden durch Abstraction von der Bewegung durch einen kleinen, unbestimmten Raum, bey deren Beobachtung wir die Vorstellung des Räumlichen und Zeitlichen zugleich produciren. Der Begriff der Ge- schwindigkeit ist also darauf eingerichtet, mit Raum und Zeit nach dem obigen Grundsatze verknüpft zu werden; welchem gemäss wir nicht bloss unsre unmittelbare Schät- zung der verflossenen Zeit unbedenklich eines Irrthums beschuldigen, sobald uns dieselbe länger oder kürzer dünkt als unsre Zeitmesser angeben: sondern über wel- chen wir auch alle die Schwierigkeiten zu übersehen pfle-
sich auf menschliche Erfahrung und innere Wahrneh- mung stützt. Es ist sehr wohl denkbar, daſs für andre Wesen ein anderes Zeitmaaſs statt findet, während gleich- wohl die Untersuchungen der Mechanik des Geistes, und die allgemeine Erklärung des Vorstellens der Succession, sich auf sie nicht minder als auf den Menschen be- ziehn. —
Wir spüren es im gemeinen Leben nur gar zu sehr, wie unzuverlässig das unmittelbare Gefühl des Zeitver- laufs sey; und es liegt uns nicht wenig daran, unsre Ge- schäffte nach einem vesten Zeitmaaſse ordnen zu können. Wie helfen wir uns? Durch Beobachtung solcher Bewe- gungen, von denen wir annehmen, daſs sie mit gleich- förmiger Geschwindigkeit geschehn. Die Umstände, un- ter denen diese Annahme irrig oder wahr seyn möge, können hier bey Seite gesetzt bleiben; ist sie aber auch wahr, so beruhet alles auf der Voraussetzung, daſs mit gleichen Geschwindigkeiten in gleichen Zeiten gleiche Räume durchlaufen werden. In der That ein ganz evi- denter Grundsatz; denn er ist rein analytisch. Der Be- griff der Geschwindigkeit, der unmittelbar aus der Wahr- nehmung nicht entstehen kann, weil die Geschwindigkeit etwas intensives, und doch auſser uns ist, — bildet sich durch dasjenige Denken, was die Gleichung
[Formel 1]
aus- sagt. Es ist der allgemeine Begriff der Bewegung in jedem Puncte; entstanden durch Abstraction von der Bewegung durch einen kleinen, unbestimmten Raum, bey deren Beobachtung wir die Vorstellung des Räumlichen und Zeitlichen zugleich produciren. Der Begriff der Ge- schwindigkeit ist also darauf eingerichtet, mit Raum und Zeit nach dem obigen Grundsatze verknüpft zu werden; welchem gemäſs wir nicht bloſs unsre unmittelbare Schät- zung der verflossenen Zeit unbedenklich eines Irrthums beschuldigen, sobald uns dieselbe länger oder kürzer dünkt als unsre Zeitmesser angeben: sondern über wel- chen wir auch alle die Schwierigkeiten zu übersehen pfle-
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sich auf menschliche Erfahrung und innere Wahrneh-
mung stützt. Es ist sehr wohl denkbar, daſs für andre
Wesen ein anderes Zeitmaaſs statt findet, während gleich-
wohl die Untersuchungen der Mechanik des Geistes, und
die allgemeine Erklärung des Vorstellens der Succession,
sich auf sie nicht minder als auf den Menschen be-
ziehn. —
Wir spüren es im gemeinen Leben nur gar zu sehr,
wie unzuverlässig das unmittelbare Gefühl des Zeitver-
laufs sey; und es liegt uns nicht wenig daran, unsre Ge-
schäffte nach einem vesten Zeitmaaſse ordnen zu können.
Wie helfen wir uns? Durch Beobachtung solcher Bewe-
gungen, von denen wir annehmen, daſs sie mit gleich-
förmiger Geschwindigkeit geschehn. Die Umstände, un-
ter denen diese Annahme irrig oder wahr seyn möge,
können hier bey Seite gesetzt bleiben; ist sie aber auch
wahr, so beruhet alles auf der Voraussetzung, daſs mit
gleichen Geschwindigkeiten in gleichen Zeiten gleiche
Räume durchlaufen werden. In der That ein ganz evi-
denter Grundsatz; denn er ist rein analytisch. Der Be-
griff der Geschwindigkeit, der unmittelbar aus der Wahr-
nehmung nicht entstehen kann, weil die Geschwindigkeit
etwas intensives, und doch auſser uns ist, — bildet sich
durch dasjenige Denken, was die Gleichung [FORMEL] aus-
sagt. Es ist der allgemeine Begriff der Bewegung in
jedem Puncte; entstanden durch Abstraction von der
Bewegung durch einen kleinen, unbestimmten Raum, bey
deren Beobachtung wir die Vorstellung des Räumlichen
und Zeitlichen zugleich produciren. Der Begriff der Ge-
schwindigkeit ist also darauf eingerichtet, mit Raum und
Zeit nach dem obigen Grundsatze verknüpft zu werden;
welchem gemäſs wir nicht bloſs unsre unmittelbare Schät-
zung der verflossenen Zeit unbedenklich eines Irrthums
beschuldigen, sobald uns dieselbe länger oder kürzer
dünkt als unsre Zeitmesser angeben: sondern über wel-
chen wir auch alle die Schwierigkeiten zu übersehen pfle-
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/392>, abgerufen am 27.11.2024.
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