fung auf den gemeinen Menschenverstand zurückgewiesen zu haben, er dem Reid, Oswald, Beattie, Priest- ley, zum grossen Vorwurfe anrechnet?
Offen will ich es aussprechen. Es ist -- der ge- sunde Menschenverstand, und nichts weiter. Dieser soll nicht um seine Erfahrung kommen, an welcher zu zwei- feln er nicht erträgt.
Dass die Erfahrung objective Gültigkeit habe, die in sich eine absolute Vestigkeit besitze, und über den Rang einer allgemeinen, gleichförmigen Gewöhnung der Men- schen sich weit erhebe: behauptete Kant, und leugnete Hume. Stark und gross, -- grösser als er war, würde der letztere erschienen seyn, hätte er Gelegenheit gehabt, die kaum verhüllte petitio principii, die ihm Kant ent- gegensetzte, selbst aufzudecken.
Aber welchen Zorn wird diese meine Behauptung noch heute aufregen! -- Ich muss wohl bitten, mir ge- lassen zuzuhören. Was ich hier sage, ist gar nicht neu. Zufällig geräth mir ein älteres Buch in die Hände, wel- ches mir bequeme Gelegenheit giebt, einen Theil meines jetzigen Vortrags daran zu knüpfen.
Das Buch, was vor mir liegt, hat folgenden Titel: Grundriss der allgemeinen Logik, und kritische Anfangsgründe zu einer allgemeinen Metaphy- sik von L. H. Jakob, Prof. der Philosoph. zu Halle. 1788.
Darin steht S. 135., folgende Anmerkung: "Ich glaube, dass hier der rechte Ort sey, einer Schwie- rigkeit zu begegnen, die wichtig ist, und welche Herr Mag. Schmid schon (Kritik der r. V. 1786. S. 220. etc.) berührt hat. Sie lautet nämlich in ihrer ganzen Stärke so: "Wer weiss, ob es überall nothwendig ist, "dass Erscheinungen durch den Verstand ver- "knüpft werden sollen? Erscheinungen können ja "wohl auch ganz andern Gesetzen unterworfen seyn, "als Verstandesgesetzen. Es könnte seyn, dass die "Uebereinstimmung der Natur mit einigen Verstan-
fung auf den gemeinen Menschenverstand zurückgewiesen zu haben, er dem Reid, Oswald, Beattie, Priest- ley, zum groſsen Vorwurfe anrechnet?
Offen will ich es aussprechen. Es ist — der ge- sunde Menschenverstand, und nichts weiter. Dieser soll nicht um seine Erfahrung kommen, an welcher zu zwei- feln er nicht erträgt.
Daſs die Erfahrung objective Gültigkeit habe, die in sich eine absolute Vestigkeit besitze, und über den Rang einer allgemeinen, gleichförmigen Gewöhnung der Men- schen sich weit erhebe: behauptete Kant, und leugnete Hume. Stark und groſs, — gröſser als er war, würde der letztere erschienen seyn, hätte er Gelegenheit gehabt, die kaum verhüllte petitio principii, die ihm Kant ent- gegensetzte, selbst aufzudecken.
Aber welchen Zorn wird diese meine Behauptung noch heute aufregen! — Ich muſs wohl bitten, mir ge- lassen zuzuhören. Was ich hier sage, ist gar nicht neu. Zufällig geräth mir ein älteres Buch in die Hände, wel- ches mir bequeme Gelegenheit giebt, einen Theil meines jetzigen Vortrags daran zu knüpfen.
Das Buch, was vor mir liegt, hat folgenden Titel: Grundriſs der allgemeinen Logik, und kritische Anfangsgründe zu einer allgemeinen Metaphy- sik von L. H. Jakob, Prof. der Philosoph. zu Halle. 1788.
Darin steht S. 135., folgende Anmerkung: „Ich glaube, daſs hier der rechte Ort sey, einer Schwie- rigkeit zu begegnen, die wichtig ist, und welche Herr Mag. Schmid schon (Kritik der r. V. 1786. S. 220. etc.) berührt hat. Sie lautet nämlich in ihrer ganzen Stärke so: „Wer weiſs, ob es überall nothwendig ist, „daſs Erscheinungen durch den Verstand ver- „knüpft werden sollen? Erscheinungen können ja „wohl auch ganz andern Gesetzen unterworfen seyn, „als Verstandesgesetzen. Es könnte seyn, daſs die „Uebereinstimmung der Natur mit einigen Verstan-
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fung auf den gemeinen Menschenverstand zurückgewiesen
zu haben, er dem Reid, Oswald, Beattie, Priest-
ley, zum groſsen Vorwurfe anrechnet?
Offen will ich es aussprechen. Es ist — der ge-
sunde Menschenverstand, und nichts weiter. Dieser soll
nicht um seine Erfahrung kommen, an welcher zu zwei-
feln er nicht erträgt.
Daſs die Erfahrung objective Gültigkeit habe, die in
sich eine absolute Vestigkeit besitze, und über den Rang
einer allgemeinen, gleichförmigen Gewöhnung der Men-
schen sich weit erhebe: behauptete Kant, und leugnete
Hume. Stark und groſs, — gröſser als er war, würde
der letztere erschienen seyn, hätte er Gelegenheit gehabt,
die kaum verhüllte petitio principii, die ihm Kant ent-
gegensetzte, selbst aufzudecken.
Aber welchen Zorn wird diese meine Behauptung
noch heute aufregen! — Ich muſs wohl bitten, mir ge-
lassen zuzuhören. Was ich hier sage, ist gar nicht neu.
Zufällig geräth mir ein älteres Buch in die Hände, wel-
ches mir bequeme Gelegenheit giebt, einen Theil meines
jetzigen Vortrags daran zu knüpfen.
Das Buch, was vor mir liegt, hat folgenden Titel:
Grundriſs der allgemeinen Logik, und kritische
Anfangsgründe zu einer allgemeinen Metaphy-
sik von L. H. Jakob, Prof. der Philosoph. zu
Halle. 1788.
Darin steht S. 135., folgende Anmerkung:
„Ich glaube, daſs hier der rechte Ort sey, einer Schwie-
rigkeit zu begegnen, die wichtig ist, und welche Herr
Mag. Schmid schon (Kritik der r. V. 1786. S. 220. etc.)
berührt hat. Sie lautet nämlich in ihrer ganzen Stärke
so: „Wer weiſs, ob es überall nothwendig ist,
„daſs Erscheinungen durch den Verstand ver-
„knüpft werden sollen? Erscheinungen können ja
„wohl auch ganz andern Gesetzen unterworfen seyn,
„als Verstandesgesetzen. Es könnte seyn, daſs die
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/363>, abgerufen am 24.11.2024.
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