Gebiete, weil die Sinne von der realen Einheit keine Kunde geben. -- Dennoch dauert der nämliche psycho- logische Mechanismus fort; und spielt selbst den Philo- sophen gar üble und seltsame Streiche. Sie fragen sich, ob sie die Substanz des Dinges kennen? und antworten sich ganz ernsthaft, dass zwar die innere Beschaffenheit des specifischen Wesens unbekannt seyn möge, (hier reflectiren sie auf die übersinnliche Einheit der Substanz), dass aber dennoch die bekannten Eigenschaften in demselben Wesen, (soll heissen: in der Complexion von sinnlichen Merkmalen, die nur der psychologische Mechanismus zusammenhält) als Grund-Eigenschaf- ten enthalten seyen, (vermuthlich wie in einem Ge- fässe; dessen eigene Natur wohl gar am Ende völlig bekannt werden würde, wenn man auch noch die übri- gen Eigenschaften wüsste, die in dasselbe Gefäss hin- einkommen, indem der Physiker dem Dinge neue Merkmale giebt durch neue Umstände, in die er es versetzt!) -- Wer da meint, dass ich Andern Ungereimt- heiten zur Last lege die sie nicht begehen, der erinnere sich, dass die Ausdrücke von der unbekannten in- nern Beschaffenheit, die gleichwohl sinnlich bekannte Grund-Eigenschaften enthält, nur so eben zuvor aus Leibnitzens Werke abgeschrieben wurden. Diejenigen aber, welche in den neuern Wer- ken von Kant, Fichte, Schelling, besser orientirt sind, als bey Leibnitz und Locke, würde ich wohl hitten dürfen, sich doch das Nachschlagen jener älteren Bücher empfohlen seyn zu lassen.
§. 140.
Die Erwähnung der Irrthümer, unter denen man sich bisher bewegt hat, kann fürs erste dazu dienen, uns auf einem empirisch psychologischen Standpuncte vester zu stellen, den gerade diejenigen am wenigsten zu benutzen scheinen, die von der empirischen Psychologie aus die Vernunft, oder vielmehr die Metaphysik zu kritisiren ge- denken. Denn die Mannigfaltigkeit der Irrthümer
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Gebiete, weil die Sinne von der realen Einheit keine Kunde geben. — Dennoch dauert der nämliche psycho- logische Mechanismus fort; und spielt selbst den Philo- sophen gar üble und seltsame Streiche. Sie fragen sich, ob sie die Substanz des Dinges kennen? und antworten sich ganz ernsthaft, daſs zwar die innere Beschaffenheit des specifischen Wesens unbekannt seyn möge, (hier reflectiren sie auf die übersinnliche Einheit der Substanz), daſs aber dennoch die bekannten Eigenschaften in demselben Wesen, (soll heiſsen: in der Complexion von sinnlichen Merkmalen, die nur der psychologische Mechanismus zusammenhält) als Grund-Eigenschaf- ten enthalten seyen, (vermuthlich wie in einem Ge- fäſse; dessen eigene Natur wohl gar am Ende völlig bekannt werden würde, wenn man auch noch die übri- gen Eigenschaften wüſste, die in dasselbe Gefäſs hin- einkommen, indem der Physiker dem Dinge neue Merkmale giebt durch neue Umstände, in die er es versetzt!) — Wer da meint, daſs ich Andern Ungereimt- heiten zur Last lege die sie nicht begehen, der erinnere sich, daſs die Ausdrücke von der unbekannten in- nern Beschaffenheit, die gleichwohl sinnlich bekannte Grund-Eigenschaften enthält, nur so eben zuvor aus Leibnitzens Werke abgeschrieben wurden. Diejenigen aber, welche in den neuern Wer- ken von Kant, Fichte, Schelling, besser orientirt sind, als bey Leibnitz und Locke, würde ich wohl hitten dürfen, sich doch das Nachschlagen jener älteren Bücher empfohlen seyn zu lassen.
§. 140.
Die Erwähnung der Irrthümer, unter denen man sich bisher bewegt hat, kann fürs erste dazu dienen, uns auf einem empirisch psychologischen Standpuncte vester zu stellen, den gerade diejenigen am wenigsten zu benutzen scheinen, die von der empirischen Psychologie aus die Vernunft, oder vielmehr die Metaphysik zu kritisiren ge- denken. Denn die Mannigfaltigkeit der Irrthümer
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Gebiete, weil die Sinne von der realen Einheit keine
Kunde geben. — Dennoch dauert der nämliche psycho-
logische Mechanismus fort; und spielt selbst den Philo-
sophen gar üble und seltsame Streiche. Sie fragen sich,
ob sie die Substanz des Dinges kennen? und antworten
sich ganz ernsthaft, daſs zwar die innere Beschaffenheit
des specifischen Wesens unbekannt seyn möge, (hier
reflectiren sie auf die übersinnliche Einheit der Substanz),
daſs aber dennoch die bekannten Eigenschaften in
demselben Wesen, (soll heiſsen: in der Complexion
von sinnlichen Merkmalen, die nur der psychologische
Mechanismus zusammenhält) als Grund-Eigenschaf-
ten enthalten seyen, (vermuthlich wie in einem Ge-
fäſse; dessen eigene Natur wohl gar am Ende völlig
bekannt werden würde, wenn man auch noch die übri-
gen Eigenschaften wüſste, die in dasselbe Gefäſs hin-
einkommen, indem der Physiker dem Dinge neue
Merkmale giebt durch neue Umstände, in die er es
versetzt!) — Wer da meint, daſs ich Andern Ungereimt-
heiten zur Last lege die sie nicht begehen, der erinnere
sich, daſs die Ausdrücke von der unbekannten in-
nern Beschaffenheit, die gleichwohl sinnlich
bekannte Grund-Eigenschaften enthält, nur so
eben zuvor aus Leibnitzens Werke abgeschrieben
wurden. Diejenigen aber, welche in den neuern Wer-
ken von Kant, Fichte, Schelling, besser orientirt
sind, als bey Leibnitz und Locke, würde ich wohl
hitten dürfen, sich doch das Nachschlagen jener älteren
Bücher empfohlen seyn zu lassen.
§. 140.
Die Erwähnung der Irrthümer, unter denen man sich
bisher bewegt hat, kann fürs erste dazu dienen, uns auf
einem empirisch psychologischen Standpuncte vester zu
stellen, den gerade diejenigen am wenigsten zu benutzen
scheinen, die von der empirischen Psychologie aus die
Vernunft, oder vielmehr die Metaphysik zu kritisiren ge-
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/342>, abgerufen am 25.11.2024.
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