nem Ausdrucke: es fühlt sich selbst, noch ehe es sich denkt, wenigstens ein leidlicher Sinn unterlegen. In dem Mechanismus der Vorstellungen entsteht jedesmal eine Veränderung, indem die Vorstellungsreihen in sich selbst zurücklaufen. Die gleichartigen, zusammentreffen- den und verschmelzenden Elemente bilden eine Total- kraft, welche sich ins Bewusstseyn höher hebt. Dabey wird überdies der schon durch frühere ähnliche Ereignisse entstandene Begriff von dem eignen Selbst wieder her- vorgerufen, und erhält hiemit eine neue Verstärkung. Das Ganze dieser Gemüthsbewegung, da dieselbe kein einzelnes, bestimmtes Object ins Bewusstseyn bringt, wohl aber vielerley Vorstellungsreihen in eine, wiewohl schwache, Aufregung versetzt, -- kann allerdings ein Gefühl genannt werden; wie man so oft sagt, man habe etwas dunkel gefühlt, wenn irgend eine Verbindung von Vorstellungen vorgeht, die zu schwach, um sich beträcht- lich über die Schwelle des Bewusstseyns zu erheben, den- noch unter den übrigen, vorhandenen Vorstellungen auf einen Augenblick das Gleichgewicht verrücken. Dieser Gegenstand muss durch fortgesetzte Untersuchungen der Mechanik des Geistes auch fernere Aufklärungen erhal- ten. Soviel aber ist gleich hier offenbar, wie in der Vorstellung des Menschen von sich selbst, nothwendig das Selbst den Kern des Sich abgeben müsse; indem fast alle die gemeinsten Wahrnehmungen und Gefühle des eigenen Leibes in dem Kreise der Reciprocität um- laufen. Man denke sich ein paar Kinder, die um ein Stück Brod streiten: jedes will das Brod für sich; und so ist ihm das eigne Selbst, und auch das Selbst des Anderen, vollkommen klar.
Anmerkung.
Der Begriff der Selbstheit, und wenn man will, der Selbstbestimmung, hätte weit eher einen Platz unter den Kategorien verdient, als der Begriff der Gemeinschaft, welches Wort, ganz wider den Sprachgebrauch, bey
nem Ausdrucke: es fühlt sich selbst, noch ehe es sich denkt, wenigstens ein leidlicher Sinn unterlegen. In dem Mechanismus der Vorstellungen entsteht jedesmal eine Veränderung, indem die Vorstellungsreihen in sich selbst zurücklaufen. Die gleichartigen, zusammentreffen- den und verschmelzenden Elemente bilden eine Total- kraft, welche sich ins Bewuſstseyn höher hebt. Dabey wird überdies der schon durch frühere ähnliche Ereignisse entstandene Begriff von dem eignen Selbst wieder her- vorgerufen, und erhält hiemit eine neue Verstärkung. Das Ganze dieser Gemüthsbewegung, da dieselbe kein einzelnes, bestimmtes Object ins Bewuſstseyn bringt, wohl aber vielerley Vorstellungsreihen in eine, wiewohl schwache, Aufregung versetzt, — kann allerdings ein Gefühl genannt werden; wie man so oft sagt, man habe etwas dunkel gefühlt, wenn irgend eine Verbindung von Vorstellungen vorgeht, die zu schwach, um sich beträcht- lich über die Schwelle des Bewuſstseyns zu erheben, den- noch unter den übrigen, vorhandenen Vorstellungen auf einen Augenblick das Gleichgewicht verrücken. Dieser Gegenstand muſs durch fortgesetzte Untersuchungen der Mechanik des Geistes auch fernere Aufklärungen erhal- ten. Soviel aber ist gleich hier offenbar, wie in der Vorstellung des Menschen von sich selbst, nothwendig das Selbst den Kern des Sich abgeben müsse; indem fast alle die gemeinsten Wahrnehmungen und Gefühle des eigenen Leibes in dem Kreise der Reciprocität um- laufen. Man denke sich ein paar Kinder, die um ein Stück Brod streiten: jedes will das Brod für sich; und so ist ihm das eigne Selbst, und auch das Selbst des Anderen, vollkommen klar.
Anmerkung.
Der Begriff der Selbstheit, und wenn man will, der Selbstbestimmung, hätte weit eher einen Platz unter den Kategorien verdient, als der Begriff der Gemeinschaft, welches Wort, ganz wider den Sprachgebrauch, bey
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0304"n="269"/>
nem Ausdrucke: <hirendition="#g">es fühlt sich selbst</hi>, noch ehe es<lb/><hirendition="#g">sich denkt</hi>, wenigstens ein leidlicher Sinn unterlegen.<lb/>
In dem Mechanismus der Vorstellungen entsteht jedesmal<lb/>
eine Veränderung, indem die Vorstellungsreihen in sich<lb/>
selbst zurücklaufen. Die gleichartigen, zusammentreffen-<lb/>
den und verschmelzenden Elemente bilden eine Total-<lb/>
kraft, welche sich ins Bewuſstseyn höher hebt. Dabey<lb/>
wird überdies der schon durch frühere ähnliche Ereignisse<lb/>
entstandene Begriff von dem eignen Selbst wieder her-<lb/>
vorgerufen, und erhält hiemit eine neue Verstärkung.<lb/>
Das Ganze dieser Gemüthsbewegung, da dieselbe kein<lb/>
einzelnes, bestimmtes Object ins Bewuſstseyn bringt,<lb/>
wohl aber vielerley Vorstellungsreihen in eine, wiewohl<lb/>
schwache, Aufregung versetzt, — kann allerdings ein<lb/><hirendition="#g">Gefühl</hi> genannt werden; wie man so oft sagt, man habe<lb/>
etwas dunkel gefühlt, wenn irgend eine Verbindung von<lb/>
Vorstellungen vorgeht, die zu schwach, um sich beträcht-<lb/>
lich über die Schwelle des Bewuſstseyns zu erheben, den-<lb/>
noch unter den übrigen, vorhandenen Vorstellungen auf<lb/>
einen Augenblick das Gleichgewicht verrücken. Dieser<lb/>
Gegenstand muſs durch fortgesetzte Untersuchungen der<lb/>
Mechanik des Geistes auch fernere Aufklärungen erhal-<lb/>
ten. Soviel aber ist gleich hier offenbar, wie in der<lb/>
Vorstellung des Menschen von sich selbst, nothwendig<lb/>
das <hirendition="#g">Selbst</hi> den Kern des <hirendition="#g">Sich</hi> abgeben müsse; indem<lb/>
fast alle die gemeinsten Wahrnehmungen und Gefühle<lb/>
des eigenen Leibes in dem Kreise der Reciprocität um-<lb/>
laufen. Man denke sich ein paar Kinder, die um ein<lb/>
Stück Brod streiten: jedes will das Brod <hirendition="#g">für sich</hi>; und<lb/>
so ist ihm das eigne Selbst, und auch das Selbst des<lb/>
Anderen, vollkommen klar.</p></div><lb/><divn="4"><head><hirendition="#g">Anmerkung</hi>.</head><lb/><p>Der Begriff der Selbstheit, und wenn man will, der<lb/>
Selbstbestimmung, hätte weit eher einen Platz unter den<lb/>
Kategorien verdient, als der Begriff der <hirendition="#g">Gemeinschaft</hi>,<lb/>
welches Wort, ganz wider den Sprachgebrauch, bey<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[269/0304]
nem Ausdrucke: es fühlt sich selbst, noch ehe es
sich denkt, wenigstens ein leidlicher Sinn unterlegen.
In dem Mechanismus der Vorstellungen entsteht jedesmal
eine Veränderung, indem die Vorstellungsreihen in sich
selbst zurücklaufen. Die gleichartigen, zusammentreffen-
den und verschmelzenden Elemente bilden eine Total-
kraft, welche sich ins Bewuſstseyn höher hebt. Dabey
wird überdies der schon durch frühere ähnliche Ereignisse
entstandene Begriff von dem eignen Selbst wieder her-
vorgerufen, und erhält hiemit eine neue Verstärkung.
Das Ganze dieser Gemüthsbewegung, da dieselbe kein
einzelnes, bestimmtes Object ins Bewuſstseyn bringt,
wohl aber vielerley Vorstellungsreihen in eine, wiewohl
schwache, Aufregung versetzt, — kann allerdings ein
Gefühl genannt werden; wie man so oft sagt, man habe
etwas dunkel gefühlt, wenn irgend eine Verbindung von
Vorstellungen vorgeht, die zu schwach, um sich beträcht-
lich über die Schwelle des Bewuſstseyns zu erheben, den-
noch unter den übrigen, vorhandenen Vorstellungen auf
einen Augenblick das Gleichgewicht verrücken. Dieser
Gegenstand muſs durch fortgesetzte Untersuchungen der
Mechanik des Geistes auch fernere Aufklärungen erhal-
ten. Soviel aber ist gleich hier offenbar, wie in der
Vorstellung des Menschen von sich selbst, nothwendig
das Selbst den Kern des Sich abgeben müsse; indem
fast alle die gemeinsten Wahrnehmungen und Gefühle
des eigenen Leibes in dem Kreise der Reciprocität um-
laufen. Man denke sich ein paar Kinder, die um ein
Stück Brod streiten: jedes will das Brod für sich; und
so ist ihm das eigne Selbst, und auch das Selbst des
Anderen, vollkommen klar.
Anmerkung.
Der Begriff der Selbstheit, und wenn man will, der
Selbstbestimmung, hätte weit eher einen Platz unter den
Kategorien verdient, als der Begriff der Gemeinschaft,
welches Wort, ganz wider den Sprachgebrauch, bey
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/304>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.