Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

Person, leihen auch dem Abwesenden eine Art von Ge-
genwart; und das Abweichende der zusammenstossenden
Vorstellungsarten nöthigen einen Jeden zu einer neuen
Bearbeitung der eigenen Gedanken.

Hiebey leistet sowohl das Aussprechen und Heraus-
sagen, als die Absicht, dem Andern etwas mitzutheilen,
wesentliche Dienste.

In dem Augenblick des Aussprechens hebt sich die
Vorstellung gerade dessen, was eben jetzt ausgesprochen
wird, zu einer Höhe im Bewusstseyn, auf der sie allein
steht, indem sie für diesen Augenblick allem Uebrigen
den Zugang zum Worte versperrt. Auf dieser Höhe
kann sie sich nicht nur nicht halten, sondern sie sinkt
auch unfehlbar um so tiefer zurück, je mehr Gewalt sie
gegen die übrigen Vorstellungen ausgeübt, oder je mehr
sie nach unserm gewohnten Ausdrucke, dieselben in
Spannung gesetzt hat. Nach ihr erhebt sich die jezt am
meisten gespannte, oder durch den herrschenden Haupt-
gedanken hervorgetriebene, nun um so freyer, da das
vorige Steigen jener, sie nicht mehr hindert. So kommt
nach und nach an alle die Reihe, ausgesprochen zu wer-
den. Und die ganze Reihe wird Gegenstand der innern
Wahrnehmung, indem die ausgesprochenen Worte und
der Sinn, den sie als Worte geben können, gleichsam
wieder aufgefangen wird von der nämlichen Vorstellungs-
masse, welche in diesen Worten, passender oder un-
passender, vollständiger oder unvollständiger, ihren Aus-
druck gefunden hat.

Die Absicht, dem Andern etwas mitzutheilen, bringt
vollends Ordnung in die Rede, und unterscheidet sie von
zerstreut ausgestossenen Lauten. Gerade so, wie über-
haupt jede Arbeit dadurch in einen regelmässig fortlau-
fenden Zug gebracht wird, dass in jedem Augenblick das
Schon-Vollführte unterschieden wird von dem noch zu
Vollbringenden. Indessen wegen der Voraussetzung, dass
der Andere, dem etwas mitgetheilt werden soll, schon
als Person aufgefasst sey, können wir an diesem

Person, leihen auch dem Abwesenden eine Art von Ge-
genwart; und das Abweichende der zusammenstoſsenden
Vorstellungsarten nöthigen einen Jeden zu einer neuen
Bearbeitung der eigenen Gedanken.

Hiebey leistet sowohl das Aussprechen und Heraus-
sagen, als die Absicht, dem Andern etwas mitzutheilen,
wesentliche Dienste.

In dem Augenblick des Aussprechens hebt sich die
Vorstellung gerade dessen, was eben jetzt ausgesprochen
wird, zu einer Höhe im Bewuſstseyn, auf der sie allein
steht, indem sie für diesen Augenblick allem Uebrigen
den Zugang zum Worte versperrt. Auf dieser Höhe
kann sie sich nicht nur nicht halten, sondern sie sinkt
auch unfehlbar um so tiefer zurück, je mehr Gewalt sie
gegen die übrigen Vorstellungen ausgeübt, oder je mehr
sie nach unserm gewohnten Ausdrucke, dieselben in
Spannung gesetzt hat. Nach ihr erhebt sich die jezt am
meisten gespannte, oder durch den herrschenden Haupt-
gedanken hervorgetriebene, nun um so freyer, da das
vorige Steigen jener, sie nicht mehr hindert. So kommt
nach und nach an alle die Reihe, ausgesprochen zu wer-
den. Und die ganze Reihe wird Gegenstand der innern
Wahrnehmung, indem die ausgesprochenen Worte und
der Sinn, den sie als Worte geben können, gleichsam
wieder aufgefangen wird von der nämlichen Vorstellungs-
masse, welche in diesen Worten, passender oder un-
passender, vollständiger oder unvollständiger, ihren Aus-
druck gefunden hat.

Die Absicht, dem Andern etwas mitzutheilen, bringt
vollends Ordnung in die Rede, und unterscheidet sie von
zerstreut ausgestoſsenen Lauten. Gerade so, wie über-
haupt jede Arbeit dadurch in einen regelmäſsig fortlau-
fenden Zug gebracht wird, daſs in jedem Augenblick das
Schon-Vollführte unterschieden wird von dem noch zu
Vollbringenden. Indessen wegen der Voraussetzung, daſs
der Andere, dem etwas mitgetheilt werden soll, schon
als Person aufgefaſst sey, können wir an diesem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0270" n="235"/>
Person, leihen auch dem Abwesenden eine Art von Ge-<lb/>
genwart; und das Abweichende der zusammensto&#x017F;senden<lb/>
Vorstellungsarten nöthigen einen Jeden zu einer neuen<lb/>
Bearbeitung der eigenen Gedanken.</p><lb/>
              <p>Hiebey leistet sowohl das Aussprechen und Heraus-<lb/>
sagen, als die Absicht, dem Andern etwas mitzutheilen,<lb/>
wesentliche Dienste.</p><lb/>
              <p>In dem Augenblick des Aussprechens hebt sich die<lb/>
Vorstellung gerade dessen, was eben jetzt ausgesprochen<lb/>
wird, zu einer Höhe im Bewu&#x017F;stseyn, auf der sie allein<lb/>
steht, indem sie für diesen Augenblick allem Uebrigen<lb/>
den Zugang zum Worte versperrt. Auf dieser Höhe<lb/>
kann sie sich nicht nur nicht halten, sondern sie sinkt<lb/>
auch unfehlbar um so tiefer zurück, je mehr Gewalt sie<lb/>
gegen die übrigen Vorstellungen ausgeübt, oder je mehr<lb/>
sie nach unserm gewohnten Ausdrucke, dieselben in<lb/>
Spannung gesetzt hat. Nach ihr erhebt sich die jezt am<lb/>
meisten gespannte, oder durch den herrschenden Haupt-<lb/>
gedanken hervorgetriebene, nun um so freyer, da das<lb/>
vorige Steigen jener, sie nicht mehr hindert. So kommt<lb/>
nach und nach an alle die Reihe, ausgesprochen zu wer-<lb/>
den. Und die ganze Reihe wird Gegenstand der innern<lb/>
Wahrnehmung, indem die ausgesprochenen Worte und<lb/>
der Sinn, den sie als Worte geben können, gleichsam<lb/>
wieder aufgefangen wird von der nämlichen Vorstellungs-<lb/>
masse, welche in diesen Worten, passender oder un-<lb/>
passender, vollständiger oder unvollständiger, ihren Aus-<lb/>
druck gefunden hat.</p><lb/>
              <p>Die Absicht, dem Andern etwas mitzutheilen, bringt<lb/>
vollends Ordnung in die Rede, und unterscheidet sie von<lb/>
zerstreut ausgesto&#x017F;senen Lauten. Gerade so, wie über-<lb/>
haupt jede Arbeit dadurch in einen regelmä&#x017F;sig fortlau-<lb/>
fenden Zug gebracht wird, da&#x017F;s in jedem Augenblick das<lb/>
Schon-Vollführte unterschieden wird von dem noch zu<lb/>
Vollbringenden. Indessen wegen der Voraussetzung, da&#x017F;s<lb/>
der Andere, dem etwas mitgetheilt werden soll, schon<lb/><hi rendition="#g">als Person aufgefa&#x017F;st</hi> sey, können wir an diesem<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[235/0270] Person, leihen auch dem Abwesenden eine Art von Ge- genwart; und das Abweichende der zusammenstoſsenden Vorstellungsarten nöthigen einen Jeden zu einer neuen Bearbeitung der eigenen Gedanken. Hiebey leistet sowohl das Aussprechen und Heraus- sagen, als die Absicht, dem Andern etwas mitzutheilen, wesentliche Dienste. In dem Augenblick des Aussprechens hebt sich die Vorstellung gerade dessen, was eben jetzt ausgesprochen wird, zu einer Höhe im Bewuſstseyn, auf der sie allein steht, indem sie für diesen Augenblick allem Uebrigen den Zugang zum Worte versperrt. Auf dieser Höhe kann sie sich nicht nur nicht halten, sondern sie sinkt auch unfehlbar um so tiefer zurück, je mehr Gewalt sie gegen die übrigen Vorstellungen ausgeübt, oder je mehr sie nach unserm gewohnten Ausdrucke, dieselben in Spannung gesetzt hat. Nach ihr erhebt sich die jezt am meisten gespannte, oder durch den herrschenden Haupt- gedanken hervorgetriebene, nun um so freyer, da das vorige Steigen jener, sie nicht mehr hindert. So kommt nach und nach an alle die Reihe, ausgesprochen zu wer- den. Und die ganze Reihe wird Gegenstand der innern Wahrnehmung, indem die ausgesprochenen Worte und der Sinn, den sie als Worte geben können, gleichsam wieder aufgefangen wird von der nämlichen Vorstellungs- masse, welche in diesen Worten, passender oder un- passender, vollständiger oder unvollständiger, ihren Aus- druck gefunden hat. Die Absicht, dem Andern etwas mitzutheilen, bringt vollends Ordnung in die Rede, und unterscheidet sie von zerstreut ausgestoſsenen Lauten. Gerade so, wie über- haupt jede Arbeit dadurch in einen regelmäſsig fortlau- fenden Zug gebracht wird, daſs in jedem Augenblick das Schon-Vollführte unterschieden wird von dem noch zu Vollbringenden. Indessen wegen der Voraussetzung, daſs der Andere, dem etwas mitgetheilt werden soll, schon als Person aufgefaſst sey, können wir an diesem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/270
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/270>, abgerufen am 25.11.2024.