Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Vergleichung dieser ästhetischen Urtheile mit
den Gefühlen des Angenehmen und Unangenehmen wirft,
wie schon oben gezeigt worden, ein Licht auf die Natur
der letztern; nämlich iu Rücksicht auf die Frage: was
doch bey ihnen das Gefühlte vor einem blossen Vorge-
stellten auszeichnen möge? Worin der Grund des Vor-
ziehens und Verwerfens liegen möge, welches bey ihnen
Angenehmes vom Unangenehmen, so wie dieses beydes
vom Gleichgültigen, dem blossen Vorgestellten, -- un-
terscheide? Wir kennen schon folgende Antwort: Das
Vorgestellte im Gefühl des Angenehmen oder
seines Gegentheils, ist nicht einfach, sondern
zusammengesetzt aus Partial-Vorstellungen,
die sich von einander im Bewusstseyn nicht ab-
sondern lassen, die aber unter einander in ähn-
lichen Verhältnissen stehn, wie die Partial-
Vorstellungen bey ästhetischen Gegenständen
.
Kennt man daher die letzteren, so wird man sich einen
Begriff machen können von jenen. Dem gemäss wird
sich auch über die, anfangs aufgeworfene Frage wegen
des Cirkels, worin das Angenehme und das Begehrte
sich zu drehen scheinen, etwas bestimmteres sagen las-
sen. Nämlich das eigentlich Angenehme und sein
Gegentheil gehen der darauf sich richtenden
Begierde voran
; (abgesehen davon, dass auch dieses,
so wie jedes Gleichgültige, zufälliger Weise ein Ge-
genstand der Begierde werden kann, wobey zu bemerken,
dass der Erfahrung gemäss gar nicht selten sogar das an
sich Unangenehme begehrt wird, z. B. wenn es den Reiz
der Neuheit hat.) -- Allein das bey weitem grösste Quan-
tum der Lust und Unlust, die im menschlichen Leben
vorkommt, hängt nur in geringem Grade ab von dem
eigentlich Angenehmen und Unangenehmen; indem dar-
über viel öfter die im §. 104. unter Nro. 1. 2. 3. bezeich-
neten Gemüthslagen entscheiden; aus denen Gefühle
und Begierden zugleich
entspringen, welche an
gar keine Qualität des Vorgestellten gebunden

Die Vergleichung dieser ästhetischen Urtheile mit
den Gefühlen des Angenehmen und Unangenehmen wirft,
wie schon oben gezeigt worden, ein Licht auf die Natur
der letztern; nämlich iu Rücksicht auf die Frage: was
doch bey ihnen das Gefühlte vor einem bloſsen Vorge-
stellten auszeichnen möge? Worin der Grund des Vor-
ziehens und Verwerfens liegen möge, welches bey ihnen
Angenehmes vom Unangenehmen, so wie dieses beydes
vom Gleichgültigen, dem bloſsen Vorgestellten, — un-
terscheide? Wir kennen schon folgende Antwort: Das
Vorgestellte im Gefühl des Angenehmen oder
seines Gegentheils, ist nicht einfach, sondern
zusammengesetzt aus Partial-Vorstellungen,
die sich von einander im Bewuſstseyn nicht ab-
sondern lassen, die aber unter einander in ähn-
lichen Verhältnissen stehn, wie die Partial-
Vorstellungen bey ästhetischen Gegenständen
.
Kennt man daher die letzteren, so wird man sich einen
Begriff machen können von jenen. Dem gemäſs wird
sich auch über die, anfangs aufgeworfene Frage wegen
des Cirkels, worin das Angenehme und das Begehrte
sich zu drehen scheinen, etwas bestimmteres sagen las-
sen. Nämlich das eigentlich Angenehme und sein
Gegentheil gehen der darauf sich richtenden
Begierde voran
; (abgesehen davon, daſs auch dieses,
so wie jedes Gleichgültige, zufälliger Weise ein Ge-
genstand der Begierde werden kann, wobey zu bemerken,
daſs der Erfahrung gemäſs gar nicht selten sogar das an
sich Unangenehme begehrt wird, z. B. wenn es den Reiz
der Neuheit hat.) — Allein das bey weitem gröſste Quan-
tum der Lust und Unlust, die im menschlichen Leben
vorkommt, hängt nur in geringem Grade ab von dem
eigentlich Angenehmen und Unangenehmen; indem dar-
über viel öfter die im §. 104. unter Nro. 1. 2. 3. bezeich-
neten Gemüthslagen entscheiden; aus denen Gefühle
und Begierden zugleich
entspringen, welche an
gar keine Qualität des Vorgestellten gebunden

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0149" n="114"/>
              <p>Die Vergleichung dieser ästhetischen Urtheile mit<lb/>
den Gefühlen des Angenehmen und Unangenehmen wirft,<lb/>
wie schon oben gezeigt worden, ein Licht auf die Natur<lb/>
der letztern; nämlich iu Rücksicht auf die Frage: was<lb/>
doch bey ihnen das Gefühlte vor einem blo&#x017F;sen Vorge-<lb/>
stellten auszeichnen möge? Worin der Grund des Vor-<lb/>
ziehens und Verwerfens liegen möge, welches bey ihnen<lb/>
Angenehmes vom Unangenehmen, so wie dieses beydes<lb/>
vom Gleichgültigen, dem <hi rendition="#g">blo&#x017F;sen</hi> Vorgestellten, &#x2014; un-<lb/>
terscheide? Wir kennen schon folgende Antwort: <hi rendition="#g">Das<lb/>
Vorgestellte im Gefühl des Angenehmen oder<lb/>
seines Gegentheils, ist nicht einfach, sondern<lb/>
zusammengesetzt aus Partial-Vorstellungen,<lb/>
die sich von einander im Bewu&#x017F;stseyn nicht ab-<lb/>
sondern lassen, die aber unter einander in ähn-<lb/>
lichen Verhältnissen stehn, wie die Partial-<lb/>
Vorstellungen bey ästhetischen Gegenständen</hi>.<lb/>
Kennt man daher die letzteren, so wird man sich einen<lb/>
Begriff machen können von jenen. Dem gemä&#x017F;s wird<lb/>
sich auch über die, anfangs aufgeworfene Frage wegen<lb/>
des Cirkels, worin das Angenehme und das Begehrte<lb/>
sich zu drehen scheinen, etwas bestimmteres sagen las-<lb/>
sen. Nämlich <hi rendition="#g">das eigentlich Angenehme und sein<lb/>
Gegentheil gehen der darauf sich richtenden<lb/>
Begierde voran</hi>; (abgesehen davon, da&#x017F;s auch dieses,<lb/>
so wie jedes Gleichgültige, <hi rendition="#g">zufälliger Weise</hi> ein Ge-<lb/>
genstand der Begierde werden kann, wobey zu bemerken,<lb/>
da&#x017F;s der Erfahrung gemä&#x017F;s gar nicht selten sogar das an<lb/>
sich Unangenehme begehrt wird, z. B. wenn es den Reiz<lb/>
der Neuheit hat.) &#x2014; Allein das bey weitem grö&#x017F;ste Quan-<lb/>
tum der Lust und Unlust, die im menschlichen Leben<lb/>
vorkommt, hängt nur in geringem Grade ab von dem<lb/>
eigentlich Angenehmen und Unangenehmen; indem dar-<lb/>
über viel öfter die im §. 104. unter Nro. 1. 2. 3. bezeich-<lb/>
neten Gemüthslagen entscheiden; aus denen <hi rendition="#g">Gefühle<lb/>
und Begierden zugleich</hi> entspringen, <hi rendition="#g">welche an<lb/>
gar keine Qualität des Vorgestellten gebunden<lb/></hi></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[114/0149] Die Vergleichung dieser ästhetischen Urtheile mit den Gefühlen des Angenehmen und Unangenehmen wirft, wie schon oben gezeigt worden, ein Licht auf die Natur der letztern; nämlich iu Rücksicht auf die Frage: was doch bey ihnen das Gefühlte vor einem bloſsen Vorge- stellten auszeichnen möge? Worin der Grund des Vor- ziehens und Verwerfens liegen möge, welches bey ihnen Angenehmes vom Unangenehmen, so wie dieses beydes vom Gleichgültigen, dem bloſsen Vorgestellten, — un- terscheide? Wir kennen schon folgende Antwort: Das Vorgestellte im Gefühl des Angenehmen oder seines Gegentheils, ist nicht einfach, sondern zusammengesetzt aus Partial-Vorstellungen, die sich von einander im Bewuſstseyn nicht ab- sondern lassen, die aber unter einander in ähn- lichen Verhältnissen stehn, wie die Partial- Vorstellungen bey ästhetischen Gegenständen. Kennt man daher die letzteren, so wird man sich einen Begriff machen können von jenen. Dem gemäſs wird sich auch über die, anfangs aufgeworfene Frage wegen des Cirkels, worin das Angenehme und das Begehrte sich zu drehen scheinen, etwas bestimmteres sagen las- sen. Nämlich das eigentlich Angenehme und sein Gegentheil gehen der darauf sich richtenden Begierde voran; (abgesehen davon, daſs auch dieses, so wie jedes Gleichgültige, zufälliger Weise ein Ge- genstand der Begierde werden kann, wobey zu bemerken, daſs der Erfahrung gemäſs gar nicht selten sogar das an sich Unangenehme begehrt wird, z. B. wenn es den Reiz der Neuheit hat.) — Allein das bey weitem gröſste Quan- tum der Lust und Unlust, die im menschlichen Leben vorkommt, hängt nur in geringem Grade ab von dem eigentlich Angenehmen und Unangenehmen; indem dar- über viel öfter die im §. 104. unter Nro. 1. 2. 3. bezeich- neten Gemüthslagen entscheiden; aus denen Gefühle und Begierden zugleich entspringen, welche an gar keine Qualität des Vorgestellten gebunden

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/149
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/149>, abgerufen am 03.05.2024.