telbar an die allgemeinen Begriffe vom Begehren und Fühlen wenden dürfen. Denn diese Begriffe sind aus Erfahrungen durch eine weit fortgesetzte Abstraction gewonnen worden. Sondern die Wissenschaft würde von unten auf steigend, zuerst die ganz speciellen Arten der Begierden und Gefühle aus den unmittelbar ge- gebenen Thatsachen, den ächten Erfahrungs-Prin- cipien, zu erkennen suchen; und alsdann die höhern abstracten Begriffe allmählig bilden, nicht aber dieses Geschäfft als vom gemeinen Verstande schon vollbracht, voraussetzen, wobey mancherley Fehler können mit un- tergelaufen seyn, wenigstens die Begriffe selbst keine völlige Bestimmtheit erlangen werden. Dies ist der Gang, der ganz besonders die weitläuftigen, ins Einzelne ge- henden, Abhandlungen ziemen würde, dergleichen jener zuvor genannte Psychologe über die Leidenschaften und über die Gefühle geschrieben hat; dies das Verfahren, woraus man das Streben nach einer ächt analytischen Methode erkennen sollte, die vor allem Anderen dahin sehen muss, dass sie die zu analysirenden Be- griffe unmittelbar aus der Quelle schöpfe. Ein- gestreute Beyspiele machen den Fehler nicht gut, der in der ganzen Anlage steckt, wenn die Analyse, anstatt ge- bührender Maassen von den eigentlichen Thatsachen zu den Begriffen und allgemeinen Sätzen, vielmehr ge- rade verkehrt vom Allgemeinen zum Besondern hin, gleich einer synthetischen Nachforschung über Gegen- stände des reinen Denkens, ihre Richtung nimmt. --
Aber die Auffassung der einzelnen Thatsachen, wor- aus die allgemeinen Begriffe von Begierden und Gefüh- len erhalten werden, ist vermischt mit physiologischen Beobachtungen; ja diese Thatsachen sind eben sowohl physiologische als psychologische Thatsachen, in so fern wir sie als Erkenntnissgründe gebrauchen, und von ihnen auf ihre realen Bedingungen und Ursachen schliessen wollen. Daher führen sie in einen dichten Wald der mannigfaltigsten Nachforschungen; der schwerlich wird
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telbar an die allgemeinen Begriffe vom Begehren und Fühlen wenden dürfen. Denn diese Begriffe sind aus Erfahrungen durch eine weit fortgesetzte Abstraction gewonnen worden. Sondern die Wissenschaft würde von unten auf steigend, zuerst die ganz speciellen Arten der Begierden und Gefühle aus den unmittelbar ge- gebenen Thatsachen, den ächten Erfahrungs-Prin- cipien, zu erkennen suchen; und alsdann die höhern abstracten Begriffe allmählig bilden, nicht aber dieses Geschäfft als vom gemeinen Verstande schon vollbracht, voraussetzen, wobey mancherley Fehler können mit un- tergelaufen seyn, wenigstens die Begriffe selbst keine völlige Bestimmtheit erlangen werden. Dies ist der Gang, der ganz besonders die weitläuftigen, ins Einzelne ge- henden, Abhandlungen ziemen würde, dergleichen jener zuvor genannte Psychologe über die Leidenschaften und über die Gefühle geschrieben hat; dies das Verfahren, woraus man das Streben nach einer ächt analytischen Methode erkennen sollte, die vor allem Anderen dahin sehen muſs, daſs sie die zu analysirenden Be- griffe unmittelbar aus der Quelle schöpfe. Ein- gestreute Beyspiele machen den Fehler nicht gut, der in der ganzen Anlage steckt, wenn die Analyse, anstatt ge- bührender Maaſsen von den eigentlichen Thatsachen zu den Begriffen und allgemeinen Sätzen, vielmehr ge- rade verkehrt vom Allgemeinen zum Besondern hin, gleich einer synthetischen Nachforschung über Gegen- stände des reinen Denkens, ihre Richtung nimmt. —
Aber die Auffassung der einzelnen Thatsachen, wor- aus die allgemeinen Begriffe von Begierden und Gefüh- len erhalten werden, ist vermischt mit physiologischen Beobachtungen; ja diese Thatsachen sind eben sowohl physiologische als psychologische Thatsachen, in so fern wir sie als Erkenntniſsgründe gebrauchen, und von ihnen auf ihre realen Bedingungen und Ursachen schlieſsen wollen. Daher führen sie in einen dichten Wald der mannigfaltigsten Nachforschungen; der schwerlich wird
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telbar an die allgemeinen Begriffe vom Begehren und
Fühlen wenden dürfen. Denn diese Begriffe sind aus
Erfahrungen durch eine weit fortgesetzte Abstraction
gewonnen worden. Sondern die Wissenschaft würde
von unten auf steigend, zuerst die ganz speciellen Arten
der Begierden und Gefühle aus den unmittelbar ge-
gebenen Thatsachen, den ächten Erfahrungs-Prin-
cipien, zu erkennen suchen; und alsdann die höhern
abstracten Begriffe allmählig bilden, nicht aber dieses
Geschäfft als vom gemeinen Verstande schon vollbracht,
voraussetzen, wobey mancherley Fehler können mit un-
tergelaufen seyn, wenigstens die Begriffe selbst keine
völlige Bestimmtheit erlangen werden. Dies ist der Gang,
der ganz besonders die weitläuftigen, ins Einzelne ge-
henden, Abhandlungen ziemen würde, dergleichen jener
zuvor genannte Psychologe über die Leidenschaften und
über die Gefühle geschrieben hat; dies das Verfahren,
woraus man das Streben nach einer ächt analytischen
Methode erkennen sollte, die vor allem Anderen dahin
sehen muſs, daſs sie die zu analysirenden Be-
griffe unmittelbar aus der Quelle schöpfe. Ein-
gestreute Beyspiele machen den Fehler nicht gut, der in
der ganzen Anlage steckt, wenn die Analyse, anstatt ge-
bührender Maaſsen von den eigentlichen Thatsachen
zu den Begriffen und allgemeinen Sätzen, vielmehr ge-
rade verkehrt vom Allgemeinen zum Besondern hin,
gleich einer synthetischen Nachforschung über Gegen-
stände des reinen Denkens, ihre Richtung nimmt. —
Aber die Auffassung der einzelnen Thatsachen, wor-
aus die allgemeinen Begriffe von Begierden und Gefüh-
len erhalten werden, ist vermischt mit physiologischen
Beobachtungen; ja diese Thatsachen sind eben sowohl
physiologische als psychologische Thatsachen, in so fern
wir sie als Erkenntniſsgründe gebrauchen, und von ihnen
auf ihre realen Bedingungen und Ursachen schlieſsen
wollen. Daher führen sie in einen dichten Wald der
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/134>, abgerufen am 16.02.2025.
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