sie je ein wahrhaft Einfaches dargeboten haben. War nicht schon der saure Geschmack, und eben so, der süsse, ein Zusammengesetztes? Desgleichen der Geruch der Lilie ein Gemisch aus Empfindungen, die wir nicht scheiden können; und der Duft der Nelke ein anderes Gemisch? -- Diese Frage lässt sich aus einem metaphy- sischen Grunde bestimmt bejahen. Alle einfachen Selbst- erhaltungen der Seele müssen gerade so einfach seyn, wie sie selbst. Dafür nun kann man wohl den einfachen Ton, die reine Farbe, annehmen; allein nicht den Ge- ruch und Geschmack, sobald sie sich nicht mehr begnü- gen, irgend ein Empfundenes als dieses oder jenes, das man wieder zu erkennen und von andern zu unter- scheiden vermöge, darzustellen, sondern es uns auch noch obendrein als ein Angenehmes oder Unan- genehmes aufdringen. Hier ist schon Ueberfluss, schon keine reine Einfachheit, sondern Mischung aus anderm Einfachen, das wir nicht kennen. -- Wie aber, wenn es uns bekannt würde? Dann ohne Zweifel wür- den wir die Gesetze der Verschmelzung vor der Hem- mung darauf anwenden. Dann würden, wie bey den Tönen, und minder deutlich bey den Farben, einige Zu- sammensetzungen uns gefallen, andre misfallen. -- Dür- fen wir uns denn wundern, wenn die Mischungen, welche Geruch und Geschmack aus unbekannten Ingredienzien zusammensetzen, uns bald angenehm sind, bald unange- nehm? Was wir erwarten mussten, trifft zu. Es fehlt bloss die Möglichkeit, die Bestandtheile der Mischungen einzeln zu betrachten, die Hemmungsgrade derselben zu untersuchen, und darnach, wie in der Musik, mit eigner Wahl die Zusammensetzung anzuordnen. Darum ver- schmilzt bey diesem Angenehmen, und seinem Gegen- theil, die Summe der einfachen Empfindungen mit dem Gefühl der Annehmlichkeit oder Unan- nehmlichkeit*). Und da wir das Gefühl nicht Uns
*) Man vergleiche hier meine praktische Philosophie, in der Ein- leitung, S. 32--37.
sie je ein wahrhaft Einfaches dargeboten haben. War nicht schon der saure Geschmack, und eben so, der süſse, ein Zusammengesetztes? Desgleichen der Geruch der Lilie ein Gemisch aus Empfindungen, die wir nicht scheiden können; und der Duft der Nelke ein anderes Gemisch? — Diese Frage läſst sich aus einem metaphy- sischen Grunde bestimmt bejahen. Alle einfachen Selbst- erhaltungen der Seele müssen gerade so einfach seyn, wie sie selbst. Dafür nun kann man wohl den einfachen Ton, die reine Farbe, annehmen; allein nicht den Ge- ruch und Geschmack, sobald sie sich nicht mehr begnü- gen, irgend ein Empfundenes als dieses oder jenes, das man wieder zu erkennen und von andern zu unter- scheiden vermöge, darzustellen, sondern es uns auch noch obendrein als ein Angenehmes oder Unan- genehmes aufdringen. Hier ist schon Ueberfluſs, schon keine reine Einfachheit, sondern Mischung aus anderm Einfachen, das wir nicht kennen. — Wie aber, wenn es uns bekannt würde? Dann ohne Zweifel wür- den wir die Gesetze der Verschmelzung vor der Hem- mung darauf anwenden. Dann würden, wie bey den Tönen, und minder deutlich bey den Farben, einige Zu- sammensetzungen uns gefallen, andre misfallen. — Dür- fen wir uns denn wundern, wenn die Mischungen, welche Geruch und Geschmack aus unbekannten Ingredienzien zusammensetzen, uns bald angenehm sind, bald unange- nehm? Was wir erwarten muſsten, trifft zu. Es fehlt bloſs die Möglichkeit, die Bestandtheile der Mischungen einzeln zu betrachten, die Hemmungsgrade derselben zu untersuchen, und darnach, wie in der Musik, mit eigner Wahl die Zusammensetzung anzuordnen. Darum ver- schmilzt bey diesem Angenehmen, und seinem Gegen- theil, die Summe der einfachen Empfindungen mit dem Gefühl der Annehmlichkeit oder Unan- nehmlichkeit*). Und da wir das Gefühl nicht Uns
*) Man vergleiche hier meine praktische Philosophie, in der Ein- leitung, S. 32—37.
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sie je ein wahrhaft Einfaches dargeboten haben. War
nicht schon der saure Geschmack, und eben so, der
süſse, ein Zusammengesetztes? Desgleichen der Geruch
der Lilie ein Gemisch aus Empfindungen, die wir nicht
scheiden können; und der Duft der Nelke ein anderes
Gemisch? — Diese Frage läſst sich aus einem metaphy-
sischen Grunde bestimmt bejahen. Alle einfachen Selbst-
erhaltungen der Seele müssen gerade so einfach seyn,
wie sie selbst. Dafür nun kann man wohl den einfachen
Ton, die reine Farbe, annehmen; allein nicht den Ge-
ruch und Geschmack, sobald sie sich nicht mehr begnü-
gen, irgend ein Empfundenes als dieses oder jenes,
das man wieder zu erkennen und von andern zu unter-
scheiden vermöge, darzustellen, sondern es uns auch
noch obendrein als ein Angenehmes oder Unan-
genehmes aufdringen. Hier ist schon Ueberfluſs, schon
keine reine Einfachheit, sondern Mischung aus anderm
Einfachen, das wir nicht kennen. — Wie aber,
wenn es uns bekannt würde? Dann ohne Zweifel wür-
den wir die Gesetze der Verschmelzung vor der Hem-
mung darauf anwenden. Dann würden, wie bey den
Tönen, und minder deutlich bey den Farben, einige Zu-
sammensetzungen uns gefallen, andre misfallen. — Dür-
fen wir uns denn wundern, wenn die Mischungen, welche
Geruch und Geschmack aus unbekannten Ingredienzien
zusammensetzen, uns bald angenehm sind, bald unange-
nehm? Was wir erwarten muſsten, trifft zu. Es fehlt
bloſs die Möglichkeit, die Bestandtheile der Mischungen
einzeln zu betrachten, die Hemmungsgrade derselben zu
untersuchen, und darnach, wie in der Musik, mit eigner
Wahl die Zusammensetzung anzuordnen. Darum ver-
schmilzt bey diesem Angenehmen, und seinem Gegen-
theil, die Summe der einfachen Empfindungen
mit dem Gefühl der Annehmlichkeit oder Unan-
nehmlichkeit *). Und da wir das Gefühl nicht Uns
*) Man vergleiche hier meine praktische Philosophie, in der Ein-
leitung, S. 32—37.
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/127>, abgerufen am 21.11.2024.
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