b) Wir versetzen jetzo wiederum das äussere Ver- hältniss ins Innere. Wir wissen schon, dass es im In- nern verschiedene Vorstellungsmassen giebt, und Jeder kann sich dies durch Beobachtung seiner selbst leicht näher bestimmen. Wer im Begriff ist, irgend eine gei- stige Arbeit (etwa des Rechnens, oder des Denkens, oder des Dichtens,) zu unternehmen: der wartet nun auf die Gedanken, welche ihm kommen werden. Er hat sich im Allgemeinen durch den Zweckbegriff von seiner Arbeit bestimmt, zu welcher Klasse die Gedanken gehören sol- len; er weiss im Allgemeinen, wie und wozu er sie ge- brauchen will. Dieses Wissen ist eine Vorstel- lungsmasse für sich allein. Nun kommen die Ge- danken, oder sie bleiben aus. Das Kommen an sich, so fern es lediglich nach den Reproductionsgesetzen geschieht, ohne nähere Bestimmung, wird eben so wenig gefühlt, als das Ausbleiben. Aber aus den gesammelten und ge- fügten Gedanken entsteht allmählig ein Ganzes, welches den Umriss ausfüllt, den der Zweckbegriff bestimmte. Dies geschieht mit bestimmten Graden von Geschwindig- keit und Genauigkeit. Dadurch befriedigt sich das Be- gehren, was im Zweckbegriffe lag. Der Mensch fühlt, dass er in seinem Innern weiter kommt. Er wird es desto mehr fühlen, je weiter er zurück schaut, je mehr er sich in den Zustand seines frühern Wartens auf sich, seiner Ansprüche an sich, zurückversetzt. Ja er trägt oft ge- nug ein solches Begehren, und solche Ansprüche, in späterer Zeit auf eine frühere hinüber, als ob er sie da- mals schon gemacht hätte, und sie nunmehr erfüllt fände. -- Im Zusammenwirken mit Andern, und schon im Gespräch, wodurch auch eine Art von gemeinschaft- lichem Werke entsteht, geht Alles schneller und leich- ter; das gesellige Lebensgefühl hat daher weit mehr In- tensität als das des Einzelnen, allein das Phänomen ist mehr zusammengesetzt.
D. Sowohl für jene, unter A und B erwähnten Gefühle der Klemmung, als für diese, unter C bezeich-
b) Wir versetzen jetzo wiederum das äuſsere Ver- hältniſs ins Innere. Wir wissen schon, daſs es im In- nern verschiedene Vorstellungsmassen giebt, und Jeder kann sich dies durch Beobachtung seiner selbst leicht näher bestimmen. Wer im Begriff ist, irgend eine gei- stige Arbeit (etwa des Rechnens, oder des Denkens, oder des Dichtens,) zu unternehmen: der wartet nun auf die Gedanken, welche ihm kommen werden. Er hat sich im Allgemeinen durch den Zweckbegriff von seiner Arbeit bestimmt, zu welcher Klasse die Gedanken gehören sol- len; er weiſs im Allgemeinen, wie und wozu er sie ge- brauchen will. Dieses Wissen ist eine Vorstel- lungsmasse für sich allein. Nun kommen die Ge- danken, oder sie bleiben aus. Das Kommen an sich, so fern es lediglich nach den Reproductionsgesetzen geschieht, ohne nähere Bestimmung, wird eben so wenig gefühlt, als das Ausbleiben. Aber aus den gesammelten und ge- fügten Gedanken entsteht allmählig ein Ganzes, welches den Umriſs ausfüllt, den der Zweckbegriff bestimmte. Dies geschieht mit bestimmten Graden von Geschwindig- keit und Genauigkeit. Dadurch befriedigt sich das Be- gehren, was im Zweckbegriffe lag. Der Mensch fühlt, daſs er in seinem Innern weiter kommt. Er wird es desto mehr fühlen, je weiter er zurück schaut, je mehr er sich in den Zustand seines frühern Wartens auf sich, seiner Ansprüche an sich, zurückversetzt. Ja er trägt oft ge- nug ein solches Begehren, und solche Ansprüche, in späterer Zeit auf eine frühere hinüber, als ob er sie da- mals schon gemacht hätte, und sie nunmehr erfüllt fände. — Im Zusammenwirken mit Andern, und schon im Gespräch, wodurch auch eine Art von gemeinschaft- lichem Werke entsteht, geht Alles schneller und leich- ter; das gesellige Lebensgefühl hat daher weit mehr In- tensität als das des Einzelnen, allein das Phänomen ist mehr zusammengesetzt.
D. Sowohl für jene, unter A und B erwähnten Gefühle der Klemmung, als für diese, unter C bezeich-
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b) Wir versetzen jetzo wiederum das äuſsere Ver-
hältniſs ins Innere. Wir wissen schon, daſs es im In-
nern verschiedene Vorstellungsmassen giebt, und Jeder
kann sich dies durch Beobachtung seiner selbst leicht
näher bestimmen. Wer im Begriff ist, irgend eine gei-
stige Arbeit (etwa des Rechnens, oder des Denkens,
oder des Dichtens,) zu unternehmen: der wartet nun auf
die Gedanken, welche ihm kommen werden. Er hat sich
im Allgemeinen durch den Zweckbegriff von seiner Arbeit
bestimmt, zu welcher Klasse die Gedanken gehören sol-
len; er weiſs im Allgemeinen, wie und wozu er sie ge-
brauchen will. Dieses Wissen ist eine Vorstel-
lungsmasse für sich allein. Nun kommen die Ge-
danken, oder sie bleiben aus. Das Kommen an sich, so
fern es lediglich nach den Reproductionsgesetzen geschieht,
ohne nähere Bestimmung, wird eben so wenig gefühlt,
als das Ausbleiben. Aber aus den gesammelten und ge-
fügten Gedanken entsteht allmählig ein Ganzes, welches
den Umriſs ausfüllt, den der Zweckbegriff bestimmte.
Dies geschieht mit bestimmten Graden von Geschwindig-
keit und Genauigkeit. Dadurch befriedigt sich das Be-
gehren, was im Zweckbegriffe lag. Der Mensch fühlt,
daſs er in seinem Innern weiter kommt. Er wird es desto
mehr fühlen, je weiter er zurück schaut, je mehr er sich
in den Zustand seines frühern Wartens auf sich, seiner
Ansprüche an sich, zurückversetzt. Ja er trägt oft ge-
nug ein solches Begehren, und solche Ansprüche, in
späterer Zeit auf eine frühere hinüber, als ob er sie da-
mals schon gemacht hätte, und sie nunmehr erfüllt
fände. — Im Zusammenwirken mit Andern, und schon
im Gespräch, wodurch auch eine Art von gemeinschaft-
lichem Werke entsteht, geht Alles schneller und leich-
ter; das gesellige Lebensgefühl hat daher weit mehr In-
tensität als das des Einzelnen, allein das Phänomen ist
mehr zusammengesetzt.
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/121>, abgerufen am 24.11.2024.
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