Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

wusstseyn. Denn von den vier möglichen Bestimmungen
der Vorstellungen, dass sie entweder im Bewusstseyn ste-
hen, oder sich im gehemmten Zustande befinden, oder
dass sie steigen, oder dass sie sinken, -- hievon sind
zwey abgewiesen; und wir müssen nun nachsehn, was
die übrigen beyden leisten können.

Dass eine Vorstellung im Bewusstseyn bestehe, heisst
bekanntlich nichts anderes, als nur, dass sie eben jetzt
ihr Object wirklich vorstellt. Besteht eine Vorstellung
des Blauen im Bewusstseyn, so wird das Blaue nun
wirklich vorgestellt. Desgleichen, dass eine Vorstellung
steige, heisst nichts anderes, als, dass sie ihr Vorgestell-
tes jetzo klärer, mit mehr Intension vorbilde, als unmit-
telbar zuvor, da sie noch in einem mehr gehemmten Zu-
stande war.

Offenbar bezieht sich dieses alles bloss auf das soge-
nannte Vorstellungsvermögen; und es möchte bald schei-
nen, als müssten wir doch am Ende noch auf ein eignes
Vermögen des Begehrens und Fühlens zurückkommen.
Doch die scheinbare Verlegenheit verschwindet durch
folgende Bemerkungen:

1) Wenn eine Vorstellung steht im Bewusstseyn,
so ist ein Unterschied, ob sie selbst mit den hemmen-
den Kräften im Gleichgewichte ruht, oder aber ob sich
an ihr eine hemmende und eine emportreibende Kraft
das Gleichgewicht halten. Im ersten Falle befindet sie
sich in Hinsicht des vorhandenen Grades von wirklichem
Vorstellen, in einem unangefochtenen Zustande; denn
da sie im Gleichgewichte ruht, so muss die Hemmungs-
summe gesunken, das heisst, der Nöthigung zum Sinken
Genüge geleistet seyn. -- Hingegen im zweyten Falle
ist der Nöthigung zum Sinken keinesweges Genüge ge-
schehn; die Vorstellung besteht vielmehr wider diese
Nöthigung, und trotz derselben, indem eine andre mit-
wirkende Kraft, z. B. eine Verschmelzungshülfe, oder
eine ganze Summe solcher Hülfen, ihr nicht erlaubt, dem
Drucke, von dem sie getroffen wird, nachzugeben. --

wuſstseyn. Denn von den vier möglichen Bestimmungen
der Vorstellungen, daſs sie entweder im Bewuſstseyn ste-
hen, oder sich im gehemmten Zustande befinden, oder
daſs sie steigen, oder daſs sie sinken, — hievon sind
zwey abgewiesen; und wir müssen nun nachsehn, was
die übrigen beyden leisten können.

Daſs eine Vorstellung im Bewuſstseyn bestehe, heiſst
bekanntlich nichts anderes, als nur, daſs sie eben jetzt
ihr Object wirklich vorstellt. Besteht eine Vorstellung
des Blauen im Bewuſstseyn, so wird das Blaue nun
wirklich vorgestellt. Desgleichen, daſs eine Vorstellung
steige, heiſst nichts anderes, als, daſs sie ihr Vorgestell-
tes jetzo klärer, mit mehr Intension vorbilde, als unmit-
telbar zuvor, da sie noch in einem mehr gehemmten Zu-
stande war.

Offenbar bezieht sich dieses alles bloſs auf das soge-
nannte Vorstellungsvermögen; und es möchte bald schei-
nen, als müſsten wir doch am Ende noch auf ein eignes
Vermögen des Begehrens und Fühlens zurückkommen.
Doch die scheinbare Verlegenheit verschwindet durch
folgende Bemerkungen:

1) Wenn eine Vorstellung steht im Bewuſstseyn,
so ist ein Unterschied, ob sie selbst mit den hemmen-
den Kräften im Gleichgewichte ruht, oder aber ob sich
an ihr eine hemmende und eine emportreibende Kraft
das Gleichgewicht halten. Im ersten Falle befindet sie
sich in Hinsicht des vorhandenen Grades von wirklichem
Vorstellen, in einem unangefochtenen Zustande; denn
da sie im Gleichgewichte ruht, so muſs die Hemmungs-
summe gesunken, das heiſst, der Nöthigung zum Sinken
Genüge geleistet seyn. — Hingegen im zweyten Falle
ist der Nöthigung zum Sinken keinesweges Genüge ge-
schehn; die Vorstellung besteht vielmehr wider diese
Nöthigung, und trotz derselben, indem eine andre mit-
wirkende Kraft, z. B. eine Verschmelzungshülfe, oder
eine ganze Summe solcher Hülfen, ihr nicht erlaubt, dem
Drucke, von dem sie getroffen wird, nachzugeben. —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0106" n="71"/>
wu&#x017F;stseyn. Denn von den vier möglichen Bestimmungen<lb/>
der Vorstellungen, da&#x017F;s sie entweder im Bewu&#x017F;stseyn ste-<lb/>
hen, oder sich im gehemmten Zustande befinden, oder<lb/>
da&#x017F;s sie steigen, oder da&#x017F;s sie sinken, &#x2014; hievon sind<lb/>
zwey abgewiesen; und wir müssen nun nachsehn, was<lb/>
die übrigen beyden leisten können.</p><lb/>
              <p>Da&#x017F;s eine Vorstellung im Bewu&#x017F;stseyn bestehe, hei&#x017F;st<lb/>
bekanntlich nichts anderes, als nur, da&#x017F;s sie eben jetzt<lb/>
ihr Object wirklich vorstellt. Besteht eine Vorstellung<lb/>
des Blauen im Bewu&#x017F;stseyn, so wird das Blaue nun<lb/>
wirklich vorgestellt. Desgleichen, da&#x017F;s eine Vorstellung<lb/>
steige, hei&#x017F;st nichts anderes, als, da&#x017F;s sie ihr Vorgestell-<lb/>
tes jetzo klärer, mit mehr Intension vorbilde, als unmit-<lb/>
telbar zuvor, da sie noch in einem mehr gehemmten Zu-<lb/>
stande war.</p><lb/>
              <p>Offenbar bezieht sich dieses alles blo&#x017F;s auf das soge-<lb/>
nannte Vorstellungsvermögen; und es möchte bald schei-<lb/>
nen, als mü&#x017F;sten wir doch am Ende noch auf ein eignes<lb/>
Vermögen des Begehrens und Fühlens zurückkommen.<lb/>
Doch die scheinbare Verlegenheit verschwindet durch<lb/>
folgende Bemerkungen:</p><lb/>
              <p>1) Wenn eine Vorstellung <hi rendition="#g">steht</hi> im Bewu&#x017F;stseyn,<lb/>
so ist ein Unterschied, ob sie selbst mit den hemmen-<lb/>
den Kräften im Gleichgewichte ruht, oder aber ob sich<lb/>
an ihr eine hemmende und eine emportreibende Kraft<lb/>
das Gleichgewicht halten. Im ersten Falle befindet sie<lb/>
sich in Hinsicht des vorhandenen Grades von wirklichem<lb/>
Vorstellen, in einem unangefochtenen Zustande; denn<lb/>
da sie im Gleichgewichte ruht, so mu&#x017F;s die Hemmungs-<lb/>
summe gesunken, das hei&#x017F;st, der Nöthigung zum Sinken<lb/>
Genüge geleistet seyn. &#x2014; Hingegen im zweyten Falle<lb/>
ist der Nöthigung zum Sinken keinesweges Genüge ge-<lb/>
schehn; die Vorstellung besteht vielmehr <hi rendition="#g">wider</hi> diese<lb/>
Nöthigung, und <hi rendition="#g">trotz</hi> derselben, indem eine andre mit-<lb/>
wirkende Kraft, z. B. eine Verschmelzungshülfe, oder<lb/>
eine ganze Summe solcher Hülfen, ihr nicht erlaubt, dem<lb/>
Drucke, von dem sie getroffen wird, nachzugeben. &#x2014;<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[71/0106] wuſstseyn. Denn von den vier möglichen Bestimmungen der Vorstellungen, daſs sie entweder im Bewuſstseyn ste- hen, oder sich im gehemmten Zustande befinden, oder daſs sie steigen, oder daſs sie sinken, — hievon sind zwey abgewiesen; und wir müssen nun nachsehn, was die übrigen beyden leisten können. Daſs eine Vorstellung im Bewuſstseyn bestehe, heiſst bekanntlich nichts anderes, als nur, daſs sie eben jetzt ihr Object wirklich vorstellt. Besteht eine Vorstellung des Blauen im Bewuſstseyn, so wird das Blaue nun wirklich vorgestellt. Desgleichen, daſs eine Vorstellung steige, heiſst nichts anderes, als, daſs sie ihr Vorgestell- tes jetzo klärer, mit mehr Intension vorbilde, als unmit- telbar zuvor, da sie noch in einem mehr gehemmten Zu- stande war. Offenbar bezieht sich dieses alles bloſs auf das soge- nannte Vorstellungsvermögen; und es möchte bald schei- nen, als müſsten wir doch am Ende noch auf ein eignes Vermögen des Begehrens und Fühlens zurückkommen. Doch die scheinbare Verlegenheit verschwindet durch folgende Bemerkungen: 1) Wenn eine Vorstellung steht im Bewuſstseyn, so ist ein Unterschied, ob sie selbst mit den hemmen- den Kräften im Gleichgewichte ruht, oder aber ob sich an ihr eine hemmende und eine emportreibende Kraft das Gleichgewicht halten. Im ersten Falle befindet sie sich in Hinsicht des vorhandenen Grades von wirklichem Vorstellen, in einem unangefochtenen Zustande; denn da sie im Gleichgewichte ruht, so muſs die Hemmungs- summe gesunken, das heiſst, der Nöthigung zum Sinken Genüge geleistet seyn. — Hingegen im zweyten Falle ist der Nöthigung zum Sinken keinesweges Genüge ge- schehn; die Vorstellung besteht vielmehr wider diese Nöthigung, und trotz derselben, indem eine andre mit- wirkende Kraft, z. B. eine Verschmelzungshülfe, oder eine ganze Summe solcher Hülfen, ihr nicht erlaubt, dem Drucke, von dem sie getroffen wird, nachzugeben. —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/106
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/106>, abgerufen am 04.05.2024.