ab una perceptione ad alteram, appetitus appellari potest. Verum quidem est, quod appetitus non semper prorsus perve- nire possit ad omnem perceptionem, ad quam tendit; semper tamen aliquid eius obtinet, atque ad novas perceptiones per- venit*). Die Seele, in stetiger Entwickelung fortschrei- tend, erzeugt Vorstellungen; die Erzeugung selbst, die Handlung des innern Princips, als noch nicht vollendet sondern eben jetzt im Streben zum Vorstellen begriffen, ist das Begehren. Hier ist zwar leicht zu sehen, dass noch genauere Bestimmungen fehlen; denn das blosse Aufstreben einer Vorstellung, für sich allein, und wenn es ungehindert vollzogen werden kann, giebt so zu sagen die Befriedigung vor der Begehrung, und eben darum weder eins noch das andre; indem in jedem Augenblicke dem Streben vorzustellen auch das realisirte Vorstellen entspricht. Es muss also noch eine Hemmung hinzukom- men, welche das Streben zu überwinden habe; -- doch an diesem Orte ist es uns nicht um eine Theorie der Be- gierde, sondern darum zu thun, dass man den Keim ei- ner solchen Theorie bemerke, welcher gemäss die Bezie- hung des Begehrens auf das Vorstellen (§. 12.) begreif- lich, und der Uebelstand vermieden werde, dass dieser of- fenbaren Beziehung ungeachtet, die Psychologien das Be- gehrungsvermögen neben dem Erkenntnissvermögen hin- stellen, und jedes besonders abhandeln, ohne sich um die Umstände zu bekümmern, unter denen das Vorstellen un- fehlbar in ein Begehren übergehen muss. Leibnizens richtigen Gedanken hoffe ich am gehörigen Orte bestä- tigen und ausführen zu können; obgleich die dahin ge- hörigen Ueberzeugungen viel früher, bevor ich die Werke jenes Philosophen studirte, bey mir vest standen. Es ist die Untersuchung über das Ich, welche mich hier, wie
*) A. a. O. S. 22. Mit Hülfe dieser Stelle des Leibniz wür- den vielleicht Einige das besser verstanden haben, was ich in mei- ner praktischen Philosophie S. 28--31. über das Begehren gesagt habe.
ab una perceptione ad alteram, appetitus appellari potest. Verum quidem est, quod appetitus non semper prorsus perve- nire possit ad omnem perceptionem, ad quam tendit; semper tamen aliquid eius obtinet, atque ad novas perceptiones per- venit*). Die Seele, in stetiger Entwickelung fortschrei- tend, erzeugt Vorstellungen; die Erzeugung selbst, die Handlung des innern Princips, als noch nicht vollendet sondern eben jetzt im Streben zum Vorstellen begriffen, ist das Begehren. Hier ist zwar leicht zu sehen, daſs noch genauere Bestimmungen fehlen; denn das bloſse Aufstreben einer Vorstellung, für sich allein, und wenn es ungehindert vollzogen werden kann, giebt so zu sagen die Befriedigung vor der Begehrung, und eben darum weder eins noch das andre; indem in jedem Augenblicke dem Streben vorzustellen auch das realisirte Vorstellen entspricht. Es muſs also noch eine Hemmung hinzukom- men, welche das Streben zu überwinden habe; — doch an diesem Orte ist es uns nicht um eine Theorie der Be- gierde, sondern darum zu thun, daſs man den Keim ei- ner solchen Theorie bemerke, welcher gemäſs die Bezie- hung des Begehrens auf das Vorstellen (§. 12.) begreif- lich, und der Uebelstand vermieden werde, daſs dieser of- fenbaren Beziehung ungeachtet, die Psychologien das Be- gehrungsvermögen neben dem Erkenntniſsvermögen hin- stellen, und jedes besonders abhandeln, ohne sich um die Umstände zu bekümmern, unter denen das Vorstellen un- fehlbar in ein Begehren übergehen muſs. Leibnizens richtigen Gedanken hoffe ich am gehörigen Orte bestä- tigen und ausführen zu können; obgleich die dahin ge- hörigen Ueberzeugungen viel früher, bevor ich die Werke jenes Philosophen studirte, bey mir vest standen. Es ist die Untersuchung über das Ich, welche mich hier, wie
*) A. a. O. S. 22. Mit Hülfe dieser Stelle des Leibniz wür- den vielleicht Einige das besser verstanden haben, was ich in mei- ner praktischen Philosophie S. 28—31. über das Begehren gesagt habe.
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[53/0073]
ab una perceptione ad alteram, appetitus appellari potest.
Verum quidem est, quod appetitus non semper prorsus perve-
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tamen aliquid eius obtinet, atque ad novas perceptiones per-
venit *). Die Seele, in stetiger Entwickelung fortschrei-
tend, erzeugt Vorstellungen; die Erzeugung selbst, die
Handlung des innern Princips, als noch nicht vollendet
sondern eben jetzt im Streben zum Vorstellen begriffen,
ist das Begehren. Hier ist zwar leicht zu sehen, daſs
noch genauere Bestimmungen fehlen; denn das bloſse
Aufstreben einer Vorstellung, für sich allein, und wenn
es ungehindert vollzogen werden kann, giebt so zu sagen
die Befriedigung vor der Begehrung, und eben darum
weder eins noch das andre; indem in jedem Augenblicke
dem Streben vorzustellen auch das realisirte Vorstellen
entspricht. Es muſs also noch eine Hemmung hinzukom-
men, welche das Streben zu überwinden habe; — doch
an diesem Orte ist es uns nicht um eine Theorie der Be-
gierde, sondern darum zu thun, daſs man den Keim ei-
ner solchen Theorie bemerke, welcher gemäſs die Bezie-
hung des Begehrens auf das Vorstellen (§. 12.) begreif-
lich, und der Uebelstand vermieden werde, daſs dieser of-
fenbaren Beziehung ungeachtet, die Psychologien das Be-
gehrungsvermögen neben dem Erkenntniſsvermögen hin-
stellen, und jedes besonders abhandeln, ohne sich um die
Umstände zu bekümmern, unter denen das Vorstellen un-
fehlbar in ein Begehren übergehen muſs. Leibnizens
richtigen Gedanken hoffe ich am gehörigen Orte bestä-
tigen und ausführen zu können; obgleich die dahin ge-
hörigen Ueberzeugungen viel früher, bevor ich die Werke
jenes Philosophen studirte, bey mir vest standen. Es ist
die Untersuchung über das Ich, welche mich hier, wie
*) A. a. O. S. 22. Mit Hülfe dieser Stelle des Leibniz wür-
den vielleicht Einige das besser verstanden haben, was ich in mei-
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/73>, abgerufen am 22.11.2024.
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