des verschmolzen und erweitert. -- Man kann nicht oft genug gegen das Vorurtheil warnen, als gebe es nur Ei- nen Raum, den des sinnlichen Weltalls. Es giebt ganz und gar keinen Raum; aber es giebt Veranlassungen, dass Systeme von Vorstellungen ein Gewebe von Reprodu- ctions-Gesetzen durch ihre Verschmelzung erzeugen, des- sen Vorgestelltes nothwendig ein Räumliches -- näm- lich für den Vorstellenden -- seyn muss, und solcher Veranlassungen finden sich mehrere, die nicht alle glei- chen Erfolg haben; denn manche angefangene Raum-Er- zeugung bleibt unvollendet im Dunkeln liegen. Das Vor- urtheil aber, von dem hier die Rede ist, reicht schon für sich allein zu, alle Metaphysik zu verderben. Dagegen ist jeder Lichtstrahl, der auf die Lehren vom Raume fällt, der Metaphysik im Ganzen wohlthätig. Wie viel hat Kant nicht schon allein dadurch gewirkt, dass er zu neuer Untersuchung über den Raum wenigstens die erste Anregung gab!)
Obgleich wir hier mehr und mehr auf Gegenstände kommen, die sich ohne Hülfe des analytischen Theils der Psychologie kaum deutlich machen lassen: so muss doch wenigstens mit kurzen Worten angemerkt werden, dass die Reihenbildung unter den Vorstellungen auch auf die Hemmung, und auf die Schwellen des Bewusstseyns, einen sehr starken Einfluss ausübt. Im Allgemeinen lässt sich dieses leicht einsehn. Gesetzt, eine Wahrnehmung reproducire eine früher gebildete Reihe, zugleich aber gebe sie Anlass zur Verknüpfung ihrer Partial-Vorstel- lungen in eine andre Reihe: so muss nothwendig eins das andre stören. Allein hier ist an keine vestbestimmte Hemmungssumme, und eben so wenig an ein fixirtes Hemmungsverhältniss, zu denken: denn die Repro- ductions-Gesetze wirken allmählig, und eben so allmäh- lig gerathen sie in Conflict. Damit ist aber nicht gesagt, dass sich Gegenstände dieser Art niemals würden der Rechnung unterwerfen lassen; vielmehr haben wir schon im fünften Capitel sowohl veränderliche Hemmungssum-
des verschmolzen und erweitert. — Man kann nicht oft genug gegen das Vorurtheil warnen, als gebe es nur Ei- nen Raum, den des sinnlichen Weltalls. Es giebt ganz und gar keinen Raum; aber es giebt Veranlassungen, daſs Systeme von Vorstellungen ein Gewebe von Reprodu- ctions-Gesetzen durch ihre Verschmelzung erzeugen, des- sen Vorgestelltes nothwendig ein Räumliches — näm- lich für den Vorstellenden — seyn muſs, und solcher Veranlassungen finden sich mehrere, die nicht alle glei- chen Erfolg haben; denn manche angefangene Raum-Er- zeugung bleibt unvollendet im Dunkeln liegen. Das Vor- urtheil aber, von dem hier die Rede ist, reicht schon für sich allein zu, alle Metaphysik zu verderben. Dagegen ist jeder Lichtstrahl, der auf die Lehren vom Raume fällt, der Metaphysik im Ganzen wohlthätig. Wie viel hat Kant nicht schon allein dadurch gewirkt, daſs er zu neuer Untersuchung über den Raum wenigstens die erste Anregung gab!)
Obgleich wir hier mehr und mehr auf Gegenstände kommen, die sich ohne Hülfe des analytischen Theils der Psychologie kaum deutlich machen lassen: so muſs doch wenigstens mit kurzen Worten angemerkt werden, daſs die Reihenbildung unter den Vorstellungen auch auf die Hemmung, und auf die Schwellen des Bewuſstseyns, einen sehr starken Einfluſs ausübt. Im Allgemeinen läſst sich dieses leicht einsehn. Gesetzt, eine Wahrnehmung reproducire eine früher gebildete Reihe, zugleich aber gebe sie Anlaſs zur Verknüpfung ihrer Partial-Vorstel- lungen in eine andre Reihe: so muſs nothwendig eins das andre stören. Allein hier ist an keine vestbestimmte Hemmungssumme, und eben so wenig an ein fixirtes Hemmungsverhältniſs, zu denken: denn die Repro- ductions-Gesetze wirken allmählig, und eben so allmäh- lig gerathen sie in Conflict. Damit ist aber nicht gesagt, daſs sich Gegenstände dieser Art niemals würden der Rechnung unterwerfen lassen; vielmehr haben wir schon im fünften Capitel sowohl veränderliche Hemmungssum-
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des verschmolzen und erweitert. — Man kann nicht oft
genug gegen das Vorurtheil warnen, als gebe es nur Ei-
nen Raum, den des sinnlichen Weltalls. Es giebt ganz
und gar keinen Raum; aber es giebt Veranlassungen, daſs
Systeme von Vorstellungen ein Gewebe von Reprodu-
ctions-Gesetzen durch ihre Verschmelzung erzeugen, des-
sen Vorgestelltes nothwendig ein Räumliches — näm-
lich für den Vorstellenden — seyn muſs, und solcher
Veranlassungen finden sich mehrere, die nicht alle glei-
chen Erfolg haben; denn manche angefangene Raum-Er-
zeugung bleibt unvollendet im Dunkeln liegen. Das Vor-
urtheil aber, von dem hier die Rede ist, reicht schon für
sich allein zu, alle Metaphysik zu verderben. Dagegen
ist jeder Lichtstrahl, der auf die Lehren vom Raume
fällt, der Metaphysik im Ganzen wohlthätig. Wie viel
hat Kant nicht schon allein dadurch gewirkt, daſs er zu
neuer Untersuchung über den Raum wenigstens die erste
Anregung gab!)
Obgleich wir hier mehr und mehr auf Gegenstände
kommen, die sich ohne Hülfe des analytischen Theils
der Psychologie kaum deutlich machen lassen: so muſs
doch wenigstens mit kurzen Worten angemerkt werden,
daſs die Reihenbildung unter den Vorstellungen auch auf
die Hemmung, und auf die Schwellen des Bewuſstseyns,
einen sehr starken Einfluſs ausübt. Im Allgemeinen läſst
sich dieses leicht einsehn. Gesetzt, eine Wahrnehmung
reproducire eine früher gebildete Reihe, zugleich aber
gebe sie Anlaſs zur Verknüpfung ihrer Partial-Vorstel-
lungen in eine andre Reihe: so muſs nothwendig eins
das andre stören. Allein hier ist an keine vestbestimmte
Hemmungssumme, und eben so wenig an ein fixirtes
Hemmungsverhältniſs, zu denken: denn die Repro-
ductions-Gesetze wirken allmählig, und eben so allmäh-
lig gerathen sie in Conflict. Damit ist aber nicht gesagt,
daſs sich Gegenstände dieser Art niemals würden der
Rechnung unterwerfen lassen; vielmehr haben wir schon
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/381>, abgerufen am 22.11.2024.
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