Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite

mer wird sie dasjenige mitzubringen trachten, was mit ihr
durch irgend welche Verschmelzungen und Complicatio-
nen verbunden ist. Dieses Verschmolzene oder Compli-
cirte wird also mittelbar wiedererweckt; und hier ist der
Ort, auch dieses Phänomen zu untersuchen, da es ge-
wöhnlich die zuvor betrachteten begleiten wird.

Ein ganz einfaches Problem soll zur Vorbereitung
dienen, das zwar in der Wirklichkeit niemals so frey von
Nebenbestimmungen vorkommen kann, das aber die Haupt-
puncte sogleich ins Licht setzen wird.

Von zweyen Vorstellungen P und P seyen verschmol-
zen oder complicirt die Reste r und r; beyde Vorstellun-
gen mögen darnach auf irgend eine Weise zur Schwelle ge-
sunken seyn. Auf einmal verschwinde für P alles Hinderniss:
so richtet sich P ins Bewusstseyn auf nach dem im §. 81.
angegebenen Gesetze. Aber P empfängt von P eine Ver-
schmelzungs- oder Complications-Hülfe = [Formel 1] (§§. 63. 69.).
Diese Hülfe ist eigentlich ein Bestreben der Vorstellung
P (oder der Seele, in so fern sie das Vorstellende von
P ist), welches Streben dahin gerichtet ist, P wieder auf
den Verschmelzungs- oder Complicationspunct zu erhe-
ben, das heisst, von P wiederum das Quantum r ins Be-
wusstseyn zu bringen. So lange dies Ziel nicht erreicht
ist, dauert das nämliche Streben fort. Die eigentliche
Stärke desselben ist = r; aber nur in dem Grade [Formel 2] kann
es wirken auf P, weil es nur in diesem Grade von die-
ser Vorstellung ist angeeignet worden. Ueberdas nimmt
das Bestreben ab in dem Grade wie ihm Genüge ge-
schieht; worüber die Betrachtungen der §§. 74. und 81.
zu wiederhohlen sind.

Wäre es nun möglich, dass die Vorstellung P für
sich allein wirkte, nicht gehindert und nicht begünstigt
von andern Kräften: wie würde das, aus dieser Wirk-
samkeit entspringende Ereigniss beschaffen seyn?

Erstlich, wie schon erwähnt, P würde sich selbst ins

mer wird sie dasjenige mitzubringen trachten, was mit ihr
durch irgend welche Verschmelzungen und Complicatio-
nen verbunden ist. Dieses Verschmolzene oder Compli-
cirte wird also mittelbar wiedererweckt; und hier ist der
Ort, auch dieses Phänomen zu untersuchen, da es ge-
wöhnlich die zuvor betrachteten begleiten wird.

Ein ganz einfaches Problem soll zur Vorbereitung
dienen, das zwar in der Wirklichkeit niemals so frey von
Nebenbestimmungen vorkommen kann, das aber die Haupt-
puncte sogleich ins Licht setzen wird.

Von zweyen Vorstellungen P und Π seyen verschmol-
zen oder complicirt die Reste r und ρ; beyde Vorstellun-
gen mögen darnach auf irgend eine Weise zur Schwelle ge-
sunken seyn. Auf einmal verschwinde für P alles Hinderniſs:
so richtet sich P ins Bewuſstseyn auf nach dem im §. 81.
angegebenen Gesetze. Aber Π empfängt von P eine Ver-
schmelzungs- oder Complications-Hülfe = [Formel 1] (§§. 63. 69.).
Diese Hülfe ist eigentlich ein Bestreben der Vorstellung
P (oder der Seele, in so fern sie das Vorstellende von
P ist), welches Streben dahin gerichtet ist, Π wieder auf
den Verschmelzungs- oder Complicationspunct zu erhe-
ben, das heiſst, von Π wiederum das Quantum ρ ins Be-
wuſstseyn zu bringen. So lange dies Ziel nicht erreicht
ist, dauert das nämliche Streben fort. Die eigentliche
Stärke desselben ist = r; aber nur in dem Grade [Formel 2] kann
es wirken auf Π, weil es nur in diesem Grade von die-
ser Vorstellung ist angeeignet worden. Ueberdas nimmt
das Bestreben ab in dem Grade wie ihm Genüge ge-
schieht; worüber die Betrachtungen der §§. 74. und 81.
zu wiederhohlen sind.

Wäre es nun möglich, daſs die Vorstellung P für
sich allein wirkte, nicht gehindert und nicht begünstigt
von andern Kräften: wie würde das, aus dieser Wirk-
samkeit entspringende Ereigniſs beschaffen seyn?

Erstlich, wie schon erwähnt, P würde sich selbst ins

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0310" n="290"/>
mer wird sie dasjenige mitzubringen trachten, was mit ihr<lb/>
durch irgend welche Verschmelzungen und Complicatio-<lb/>
nen verbunden ist. Dieses Verschmolzene oder Compli-<lb/>
cirte wird also mittelbar wiedererweckt; und hier ist der<lb/>
Ort, auch dieses Phänomen zu untersuchen, da es ge-<lb/>
wöhnlich die zuvor betrachteten begleiten wird.</p><lb/>
              <p>Ein ganz einfaches Problem soll zur Vorbereitung<lb/>
dienen, das zwar in der Wirklichkeit niemals so frey von<lb/>
Nebenbestimmungen vorkommen kann, das aber die Haupt-<lb/>
puncte sogleich ins Licht setzen wird.</p><lb/>
              <p>Von zweyen Vorstellungen <hi rendition="#i">P</hi> und &#x03A0; seyen verschmol-<lb/>
zen oder complicirt die Reste <hi rendition="#i">r</hi> und <hi rendition="#i">&#x03C1;</hi>; beyde Vorstellun-<lb/>
gen mögen darnach auf irgend eine Weise zur Schwelle ge-<lb/>
sunken seyn. Auf einmal verschwinde für <hi rendition="#i">P</hi> alles Hinderni&#x017F;s:<lb/>
so richtet sich <hi rendition="#i">P</hi> ins Bewu&#x017F;stseyn auf nach dem im §. 81.<lb/>
angegebenen Gesetze. Aber &#x03A0; empfängt von <hi rendition="#i">P</hi> eine Ver-<lb/>
schmelzungs- oder Complications-Hülfe = <formula/> (§§. 63. 69.).<lb/>
Diese Hülfe ist eigentlich ein Bestreben der Vorstellung<lb/><hi rendition="#i">P</hi> (oder der Seele, in so fern sie das Vorstellende von<lb/><hi rendition="#i">P</hi> ist), welches Streben dahin gerichtet ist, &#x03A0; wieder auf<lb/>
den Verschmelzungs- oder Complicationspunct zu erhe-<lb/>
ben, das hei&#x017F;st, von &#x03A0; wiederum das Quantum <hi rendition="#i">&#x03C1;</hi> ins Be-<lb/>
wu&#x017F;stseyn zu bringen. So lange dies Ziel nicht erreicht<lb/>
ist, dauert das nämliche Streben fort. Die eigentliche<lb/>
Stärke desselben ist = <hi rendition="#i">r</hi>; aber nur in dem Grade <formula/> kann<lb/>
es wirken auf &#x03A0;, weil es nur in diesem Grade von die-<lb/>
ser Vorstellung ist angeeignet worden. Ueberdas nimmt<lb/>
das Bestreben ab in dem Grade wie ihm Genüge ge-<lb/>
schieht; worüber die Betrachtungen der §§. 74. und 81.<lb/>
zu wiederhohlen sind.</p><lb/>
              <p>Wäre es nun möglich, da&#x017F;s die Vorstellung <hi rendition="#i">P</hi> für<lb/>
sich allein wirkte, nicht gehindert und nicht begünstigt<lb/>
von andern Kräften: wie würde das, aus dieser Wirk-<lb/>
samkeit entspringende Ereigni&#x017F;s beschaffen seyn?</p><lb/>
              <p>Erstlich, wie schon erwähnt, <hi rendition="#i">P</hi> würde sich selbst ins<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[290/0310] mer wird sie dasjenige mitzubringen trachten, was mit ihr durch irgend welche Verschmelzungen und Complicatio- nen verbunden ist. Dieses Verschmolzene oder Compli- cirte wird also mittelbar wiedererweckt; und hier ist der Ort, auch dieses Phänomen zu untersuchen, da es ge- wöhnlich die zuvor betrachteten begleiten wird. Ein ganz einfaches Problem soll zur Vorbereitung dienen, das zwar in der Wirklichkeit niemals so frey von Nebenbestimmungen vorkommen kann, das aber die Haupt- puncte sogleich ins Licht setzen wird. Von zweyen Vorstellungen P und Π seyen verschmol- zen oder complicirt die Reste r und ρ; beyde Vorstellun- gen mögen darnach auf irgend eine Weise zur Schwelle ge- sunken seyn. Auf einmal verschwinde für P alles Hinderniſs: so richtet sich P ins Bewuſstseyn auf nach dem im §. 81. angegebenen Gesetze. Aber Π empfängt von P eine Ver- schmelzungs- oder Complications-Hülfe = [FORMEL] (§§. 63. 69.). Diese Hülfe ist eigentlich ein Bestreben der Vorstellung P (oder der Seele, in so fern sie das Vorstellende von P ist), welches Streben dahin gerichtet ist, Π wieder auf den Verschmelzungs- oder Complicationspunct zu erhe- ben, das heiſst, von Π wiederum das Quantum ρ ins Be- wuſstseyn zu bringen. So lange dies Ziel nicht erreicht ist, dauert das nämliche Streben fort. Die eigentliche Stärke desselben ist = r; aber nur in dem Grade [FORMEL] kann es wirken auf Π, weil es nur in diesem Grade von die- ser Vorstellung ist angeeignet worden. Ueberdas nimmt das Bestreben ab in dem Grade wie ihm Genüge ge- schieht; worüber die Betrachtungen der §§. 74. und 81. zu wiederhohlen sind. Wäre es nun möglich, daſs die Vorstellung P für sich allein wirkte, nicht gehindert und nicht begünstigt von andern Kräften: wie würde das, aus dieser Wirk- samkeit entspringende Ereigniſs beschaffen seyn? Erstlich, wie schon erwähnt, P würde sich selbst ins

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/310
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/310>, abgerufen am 10.05.2024.