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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.

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Aeusserte, was einer Vorstellung begegnen kann, dieses,
dass sie ganz und gar in ein blosses Streben vorzustellen
verwandelt, oder dass der Rest des wirklichen Vorstel-
lens = o werde. Die Gleichung r = o setzt daher der
Anwendbarkeit der vorigen Rechnungsart eine Gränze;
denn ein negatives r ist in unserm Falle so gut als eine
unmögliche Grösse.

Aus r = o folgt [Formel 1] . Wofern c im Ver-
hältniss zu b und a kleiner ist, als nach dieser Formel:
so ist jede nähere Bestimmung seiner Grösse für die obige
Hemmungsrechnung ganz gleichgültig; denn es wird auf
allen Fall ganz gehemmt; daher ist sein Antheil an der
Hemmungssumme gerade gleich seinem Beytrage zu der-
selben, und die stärkeren Vorstellungen theilen ihren
Beytrag gerade so, als ob c gar nicht vorhanden gewe-
sen wäre. Der Zustand des Bewusstseyns also, in wie-
fern er statisch bestimmt werden kann, hängt gar nicht
ab von c; -- noch viel weniger aber von was immer für
noch schwächeren Vorstellungen, deren eine un-
endliche Anzahl vorhanden seyn möchte, ohne
dass sie im geringsten im Bewusstseyn zu spü-
ren seyn würden, so lange dasselbe im Zu-
stande des Gleichgewichts aller Vorstellungen
wäre und bliebe
.

Dieser Satz, der sich hier mit der höchsten mathe-
matischen Evidenz ergiebt, bietet uns nun den Aufschluss
dar über das allgemeinste aller psychologischen Wunder.
Wir alle bemerken an uns, dass von unserm sämmtli-
chen Wissen, Denken, Wünschen, in jedem einzelnen
Augenblicke eine unvergleichbar kleinere Menge uns wirk-
lich beschäfftigt, als diejenige ist, welche auf gehörige
Veranlassung in uns hervortreten könnte. Dieses abwe-
sende, aber nicht entlaufene, sondern in unserm Besitz
gebliebene und verharrende Wissen, in welchem Zu-
stande befindet es sich in uns? Wie geht es zu, dass
es, obschon vorhanden, dennoch nicht eher zur Bestim-

Aeuſserte, was einer Vorstellung begegnen kann, dieses,
daſs sie ganz und gar in ein bloſses Streben vorzustellen
verwandelt, oder daſs der Rest des wirklichen Vorstel-
lens = o werde. Die Gleichung r = o setzt daher der
Anwendbarkeit der vorigen Rechnungsart eine Gränze;
denn ein negatives r ist in unserm Falle so gut als eine
unmögliche Gröſse.

Aus r = o folgt [Formel 1] . Wofern c im Ver-
hältniſs zu b und a kleiner ist, als nach dieser Formel:
so ist jede nähere Bestimmung seiner Gröſse für die obige
Hemmungsrechnung ganz gleichgültig; denn es wird auf
allen Fall ganz gehemmt; daher ist sein Antheil an der
Hemmungssumme gerade gleich seinem Beytrage zu der-
selben, und die stärkeren Vorstellungen theilen ihren
Beytrag gerade so, als ob c gar nicht vorhanden gewe-
sen wäre. Der Zustand des Bewuſstseyns also, in wie-
fern er statisch bestimmt werden kann, hängt gar nicht
ab von c; — noch viel weniger aber von was immer für
noch schwächeren Vorstellungen, deren eine un-
endliche Anzahl vorhanden seyn möchte, ohne
daſs sie im geringsten im Bewuſstseyn zu spü-
ren seyn würden, so lange dasselbe im Zu-
stande des Gleichgewichts aller Vorstellungen
wäre und bliebe
.

Dieser Satz, der sich hier mit der höchsten mathe-
matischen Evidenz ergiebt, bietet uns nun den Aufschluſs
dar über das allgemeinste aller psychologischen Wunder.
Wir alle bemerken an uns, daſs von unserm sämmtli-
chen Wissen, Denken, Wünschen, in jedem einzelnen
Augenblicke eine unvergleichbar kleinere Menge uns wirk-
lich beschäfftigt, als diejenige ist, welche auf gehörige
Veranlassung in uns hervortreten könnte. Dieses abwe-
sende, aber nicht entlaufene, sondern in unserm Besitz
gebliebene und verharrende Wissen, in welchem Zu-
stande befindet es sich in uns? Wie geht es zu, daſs
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[174/0194] Aeuſserte, was einer Vorstellung begegnen kann, dieses, daſs sie ganz und gar in ein bloſses Streben vorzustellen verwandelt, oder daſs der Rest des wirklichen Vorstel- lens = o werde. Die Gleichung r = o setzt daher der Anwendbarkeit der vorigen Rechnungsart eine Gränze; denn ein negatives r ist in unserm Falle so gut als eine unmögliche Gröſse. Aus r = o folgt [FORMEL]. Wofern c im Ver- hältniſs zu b und a kleiner ist, als nach dieser Formel: so ist jede nähere Bestimmung seiner Gröſse für die obige Hemmungsrechnung ganz gleichgültig; denn es wird auf allen Fall ganz gehemmt; daher ist sein Antheil an der Hemmungssumme gerade gleich seinem Beytrage zu der- selben, und die stärkeren Vorstellungen theilen ihren Beytrag gerade so, als ob c gar nicht vorhanden gewe- sen wäre. Der Zustand des Bewuſstseyns also, in wie- fern er statisch bestimmt werden kann, hängt gar nicht ab von c; — noch viel weniger aber von was immer für noch schwächeren Vorstellungen, deren eine un- endliche Anzahl vorhanden seyn möchte, ohne daſs sie im geringsten im Bewuſstseyn zu spü- ren seyn würden, so lange dasselbe im Zu- stande des Gleichgewichts aller Vorstellungen wäre und bliebe. Dieser Satz, der sich hier mit der höchsten mathe- matischen Evidenz ergiebt, bietet uns nun den Aufschluſs dar über das allgemeinste aller psychologischen Wunder. Wir alle bemerken an uns, daſs von unserm sämmtli- chen Wissen, Denken, Wünschen, in jedem einzelnen Augenblicke eine unvergleichbar kleinere Menge uns wirk- lich beschäfftigt, als diejenige ist, welche auf gehörige Veranlassung in uns hervortreten könnte. Dieses abwe- sende, aber nicht entlaufene, sondern in unserm Besitz gebliebene und verharrende Wissen, in welchem Zu- stande befindet es sich in uns? Wie geht es zu, daſs es, obschon vorhanden, dennoch nicht eher zur Bestim-

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/194>, abgerufen am 24.11.2024.