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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.

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stünde auch niemals eine in einem bestimmten Contraste
gegen eine einzelne andre; sondern sie enthielte zugleich
alle die zahllosen möglichen Contraste als Eigenthüm-
lichkeiten in sich; und am Ende wären gar in jede
Vorstellung alle übrigen Vorstellungen, als Bedingungen
dieser sämmtlichen Contraste, mit eingeschlossen, und
die Mannigfaltigkeit und Abwechselung der Vorstellungen
würde unmöglich.

Diesen Hauptgedanken, dass nur im Zusammentref-
fen die entgegenstehenden Vorstellungen Kräfte werden,
wollen wir nun näher bestimmen. Schon die Beyspiele
der Farben, der Töne u. s. w., erinnern uns, dass der
Gegensatz zweyer Vorstellungen gradweise verschieden
seyn könne. Dem Blau steht das Roth, aber weniger
das Violet, in seinen verschiedenen Nüancen, entgegen;
dem Tone c mehr der Ton d, als cis; mehr g, als e.
Die Hemmungen, als unmittelbare Erfolge der Gegen-
sätze, müssen sich wie diese, gradweise abstufen. Dass
also Vorstellungen Kräfte werden, dies hat sein Maass;
und zwar ein veränderliches Maass, weil die Grösse
des Gegensatzes Veränderungen zulässt.

Neben dieser Grössenbestimmung werden wir sogleich
noch eine andre als möglich erkennen. -- Der Erfolg der
Hemmung ist Verdunkelung des Objects, und Verwand-
lung des Vorstellens in ein Streben vorzustellen. Kann
ein gewisser Grad des Gegensatzes totale Verdunkelung
eines Objects bewirken: so wird ein geringerer Gegensatz
nur partielle Verdunkelung zur Folge haben; gradweise
verschieden nach den Graden der minderen Gegensätze.
Diese partielle Verdunkelung lässt also noch einen Grad
des Vorstellens übrig. Auch das Vorstellen der Objecte
also hat Grade, wie die Erfahrung bestätigt.

Offenbar aber ist nicht nöthig anzunehmen, dass
ein gewisses Vorstellen, um, verglichen mit einem an-
dern, ein schwächeres zu seyn, erst eine partielle Ver-
dunkelung erlitten haben müsse: auch ohne alle Hem-
mung kann es ursprünglich ein schwächeres oder stärke-

stünde auch niemals eine in einem bestimmten Contraste
gegen eine einzelne andre; sondern sie enthielte zugleich
alle die zahllosen möglichen Contraste als Eigenthüm-
lichkeiten in sich; und am Ende wären gar in jede
Vorstellung alle übrigen Vorstellungen, als Bedingungen
dieser sämmtlichen Contraste, mit eingeschlossen, und
die Mannigfaltigkeit und Abwechselung der Vorstellungen
würde unmöglich.

Diesen Hauptgedanken, daſs nur im Zusammentref-
fen die entgegenstehenden Vorstellungen Kräfte werden,
wollen wir nun näher bestimmen. Schon die Beyspiele
der Farben, der Töne u. s. w., erinnern uns, daſs der
Gegensatz zweyer Vorstellungen gradweise verschieden
seyn könne. Dem Blau steht das Roth, aber weniger
das Violet, in seinen verschiedenen Nüancen, entgegen;
dem Tone c mehr der Ton d, als cis; mehr g, als e.
Die Hemmungen, als unmittelbare Erfolge der Gegen-
sätze, müssen sich wie diese, gradweise abstufen. Daſs
also Vorstellungen Kräfte werden, dies hat sein Maaſs;
und zwar ein veränderliches Maaſs, weil die Gröſse
des Gegensatzes Veränderungen zuläſst.

Neben dieser Gröſsenbestimmung werden wir sogleich
noch eine andre als möglich erkennen. — Der Erfolg der
Hemmung ist Verdunkelung des Objects, und Verwand-
lung des Vorstellens in ein Streben vorzustellen. Kann
ein gewisser Grad des Gegensatzes totale Verdunkelung
eines Objects bewirken: so wird ein geringerer Gegensatz
nur partielle Verdunkelung zur Folge haben; gradweise
verschieden nach den Graden der minderen Gegensätze.
Diese partielle Verdunkelung läſst also noch einen Grad
des Vorstellens übrig. Auch das Vorstellen der Objecte
also hat Grade, wie die Erfahrung bestätigt.

Offenbar aber ist nicht nöthig anzunehmen, daſs
ein gewisses Vorstellen, um, verglichen mit einem an-
dern, ein schwächeres zu seyn, erst eine partielle Ver-
dunkelung erlitten haben müsse: auch ohne alle Hem-
mung kann es ursprünglich ein schwächeres oder stärke-

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[154/0174] stünde auch niemals eine in einem bestimmten Contraste gegen eine einzelne andre; sondern sie enthielte zugleich alle die zahllosen möglichen Contraste als Eigenthüm- lichkeiten in sich; und am Ende wären gar in jede Vorstellung alle übrigen Vorstellungen, als Bedingungen dieser sämmtlichen Contraste, mit eingeschlossen, und die Mannigfaltigkeit und Abwechselung der Vorstellungen würde unmöglich. Diesen Hauptgedanken, daſs nur im Zusammentref- fen die entgegenstehenden Vorstellungen Kräfte werden, wollen wir nun näher bestimmen. Schon die Beyspiele der Farben, der Töne u. s. w., erinnern uns, daſs der Gegensatz zweyer Vorstellungen gradweise verschieden seyn könne. Dem Blau steht das Roth, aber weniger das Violet, in seinen verschiedenen Nüancen, entgegen; dem Tone c mehr der Ton d, als cis; mehr g, als e. Die Hemmungen, als unmittelbare Erfolge der Gegen- sätze, müssen sich wie diese, gradweise abstufen. Daſs also Vorstellungen Kräfte werden, dies hat sein Maaſs; und zwar ein veränderliches Maaſs, weil die Gröſse des Gegensatzes Veränderungen zuläſst. Neben dieser Gröſsenbestimmung werden wir sogleich noch eine andre als möglich erkennen. — Der Erfolg der Hemmung ist Verdunkelung des Objects, und Verwand- lung des Vorstellens in ein Streben vorzustellen. Kann ein gewisser Grad des Gegensatzes totale Verdunkelung eines Objects bewirken: so wird ein geringerer Gegensatz nur partielle Verdunkelung zur Folge haben; gradweise verschieden nach den Graden der minderen Gegensätze. Diese partielle Verdunkelung läſst also noch einen Grad des Vorstellens übrig. Auch das Vorstellen der Objecte also hat Grade, wie die Erfahrung bestätigt. Offenbar aber ist nicht nöthig anzunehmen, daſs ein gewisses Vorstellen, um, verglichen mit einem an- dern, ein schwächeres zu seyn, erst eine partielle Ver- dunkelung erlitten haben müsse: auch ohne alle Hem- mung kann es ursprünglich ein schwächeres oder stärke-

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/174>, abgerufen am 21.11.2024.