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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.

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der Wesen höchstens die Folge haben, dass sie demsel-
ben innerlich widerstehen, und sich selbst er-
halten
; wobey die Art des Widerstandes sich nach der
Art der Anfechtung, oder Störung, richtet, und deshalb
eben so mannigfaltig ist, als diese nur immer seyn mag.
Dass aber der Gegensatz der Wesen (der keinesweges
ein reales Prädicat derselben ist) die bezeichnete Folge
oftmals (obschon bey weitem nicht immer) wirklich habe,
dieses und nichts anderes macht den Begriff des Zu-
sammen
der Wesen aus; welches, wo es vorkommt,
nicht aus den Wesen, denen es zufällig ist, sondern aus
den Erscheinungen geschlossen wird, zu deren Erklärung
es muss vorausgesetzt werden.

sinn in die Frage nach dem Ursprunge der Form unserer Erkenntniss
versenkt, wie wenig er dagegen die eigenthümliche Bedeutung man-
cher Hauptbegriffe, und besonders des Begriffs vom Seyn, erwogen
hatte. (Ein paar andre Beyspiele haben wir oben an den Begriffen von
Substanz und Ursache gehabt.) Dem Seyenden eine reale Mehrheit
von Graden beyzulegen, welche wirklich ab- und zunehmen könnten;
oder ihm eine reale Mehrheit von Attributen beylegen, die sich (wie
in Spinoza's Gott) unabhängig von einander entwickeln könnten;
oder ihm eine Ausdehnung durch wirklich verschiedene Theile des
Raums, oder eine reale Dauer in der Zeit, oder endlich gar eine Ver-
änderlichkeit in der Zeit zuschreiben: alles dies sind gleich arge, klare
Ungereimtheiten; denn sie setzen immer Ein Seyendes als ein Mehre-
res, und das Mehrere wiederum durch wer weiss welches Band zu ei-
ner unbekannten Einheit verbunden; von welcher Einheit gleichwohl
so viel bekannt ist, dass eben sie die wahre Qualität jenes Seyenden
ausmachen würde (indem von dem Mehrern nur als von Einem ge-
sagt wird, dass es sey); womit denn das Geständniss abgelegt wäre,
dass die vorgebliche Mehrheit, in ihrem Gegensatze gegen die Einheit,
nicht real, nicht die wahre Qualität des Wesens sey, sondern aufs
Höchste (falls sie sich dazu schickt) für eine zufällige Ansicht
des Wesens gelten könne. -- Wie dergleichen zufällige Ansichten als
Hülfsmittel unseres Denkens
gebraucht werden müssen, wenn
Wir von den Störungen und Selbsterhaltungen der Wesen eine Theo-
rie
aufstellen wollen (so wie der Astronom seine Logarithmen und
Integralformeln beym Rechnen braucht, ohne dergleichen für reale
Prädicate der Gestirne zu halten), dies ist in meinen Hauptpuncten
der Metaphysik a. a. O. angegeben worden.

der Wesen höchstens die Folge haben, daſs sie demsel-
ben innerlich widerstehen, und sich selbst er-
halten
; wobey die Art des Widerstandes sich nach der
Art der Anfechtung, oder Störung, richtet, und deshalb
eben so mannigfaltig ist, als diese nur immer seyn mag.
Daſs aber der Gegensatz der Wesen (der keinesweges
ein reales Prädicat derselben ist) die bezeichnete Folge
oftmals (obschon bey weitem nicht immer) wirklich habe,
dieses und nichts anderes macht den Begriff des Zu-
sammen
der Wesen aus; welches, wo es vorkommt,
nicht aus den Wesen, denen es zufällig ist, sondern aus
den Erscheinungen geschlossen wird, zu deren Erklärung
es muſs vorausgesetzt werden.

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versenkt, wie wenig er dagegen die eigenthümliche Bedeutung man-
cher Hauptbegriffe, und besonders des Begriffs vom Seyn, erwogen
hatte. (Ein paar andre Beyspiele haben wir oben an den Begriffen von
Substanz und Ursache gehabt.) Dem Seyenden eine reale Mehrheit
von Graden beyzulegen, welche wirklich ab- und zunehmen könnten;
oder ihm eine reale Mehrheit von Attributen beylegen, die sich (wie
in Spinoza’s Gott) unabhängig von einander entwickeln könnten;
oder ihm eine Ausdehnung durch wirklich verschiedene Theile des
Raums, oder eine reale Dauer in der Zeit, oder endlich gar eine Ver-
änderlichkeit in der Zeit zuschreiben: alles dies sind gleich arge, klare
Ungereimtheiten; denn sie setzen immer Ein Seyendes als ein Mehre-
res, und das Mehrere wiederum durch wer weiſs welches Band zu ei-
ner unbekannten Einheit verbunden; von welcher Einheit gleichwohl
so viel bekannt ist, daſs eben sie die wahre Qualität jenes Seyenden
ausmachen würde (indem von dem Mehrern nur als von Einem ge-
sagt wird, daſs es sey); womit denn das Geständniſs abgelegt wäre,
daſs die vorgebliche Mehrheit, in ihrem Gegensatze gegen die Einheit,
nicht real, nicht die wahre Qualität des Wesens sey, sondern aufs
Höchste (falls sie sich dazu schickt) für eine zufällige Ansicht
des Wesens gelten könne. — Wie dergleichen zufällige Ansichten als
Hülfsmittel unseres Denkens
gebraucht werden müssen, wenn
Wir von den Störungen und Selbsterhaltungen der Wesen eine Theo-
rie
aufstellen wollen (so wie der Astronom seine Logarithmen und
Integralformeln beym Rechnen braucht, ohne dergleichen für reale
Prädicate der Gestirne zu halten), dies ist in meinen Hauptpuncten
der Metaphysik a. a. O. angegeben worden.
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[140/0160] der Wesen höchstens die Folge haben, daſs sie demsel- ben innerlich widerstehen, und sich selbst er- halten; wobey die Art des Widerstandes sich nach der Art der Anfechtung, oder Störung, richtet, und deshalb eben so mannigfaltig ist, als diese nur immer seyn mag. Daſs aber der Gegensatz der Wesen (der keinesweges ein reales Prädicat derselben ist) die bezeichnete Folge oftmals (obschon bey weitem nicht immer) wirklich habe, dieses und nichts anderes macht den Begriff des Zu- sammen der Wesen aus; welches, wo es vorkommt, nicht aus den Wesen, denen es zufällig ist, sondern aus den Erscheinungen geschlossen wird, zu deren Erklärung es muſs vorausgesetzt werden. **) **) sinn in die Frage nach dem Ursprunge der Form unserer Erkenntniſs versenkt, wie wenig er dagegen die eigenthümliche Bedeutung man- cher Hauptbegriffe, und besonders des Begriffs vom Seyn, erwogen hatte. (Ein paar andre Beyspiele haben wir oben an den Begriffen von Substanz und Ursache gehabt.) Dem Seyenden eine reale Mehrheit von Graden beyzulegen, welche wirklich ab- und zunehmen könnten; oder ihm eine reale Mehrheit von Attributen beylegen, die sich (wie in Spinoza’s Gott) unabhängig von einander entwickeln könnten; oder ihm eine Ausdehnung durch wirklich verschiedene Theile des Raums, oder eine reale Dauer in der Zeit, oder endlich gar eine Ver- änderlichkeit in der Zeit zuschreiben: alles dies sind gleich arge, klare Ungereimtheiten; denn sie setzen immer Ein Seyendes als ein Mehre- res, und das Mehrere wiederum durch wer weiſs welches Band zu ei- ner unbekannten Einheit verbunden; von welcher Einheit gleichwohl so viel bekannt ist, daſs eben sie die wahre Qualität jenes Seyenden ausmachen würde (indem von dem Mehrern nur als von Einem ge- sagt wird, daſs es sey); womit denn das Geständniſs abgelegt wäre, daſs die vorgebliche Mehrheit, in ihrem Gegensatze gegen die Einheit, nicht real, nicht die wahre Qualität des Wesens sey, sondern aufs Höchste (falls sie sich dazu schickt) für eine zufällige Ansicht des Wesens gelten könne. — Wie dergleichen zufällige Ansichten als Hülfsmittel unseres Denkens gebraucht werden müssen, wenn Wir von den Störungen und Selbsterhaltungen der Wesen eine Theo- rie aufstellen wollen (so wie der Astronom seine Logarithmen und Integralformeln beym Rechnen braucht, ohne dergleichen für reale Prädicate der Gestirne zu halten), dies ist in meinen Hauptpuncten der Metaphysik a. a. O. angegeben worden.

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/160>, abgerufen am 24.11.2024.