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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.

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so weit, dass er fragte: warum vielmehr Etwas sey als
Nichts? *) Wir wollen uns beschränken, vom zureichen-
den Grunde der Veränderungen zu reden; und als-
dann wird sich die Nothwendigkeit, einen solchen Grund
anzunehmen, und damit der gesuchte Beweis jenes Satzes,
in dem Widerspruche finden, der nach §. 33. in dem
Begriffe eines veränderlichen Dinges enthalten ist.

Wenn eine Sache, die man als eine solche und
keine andre zu kennen glaubte, sich vor unsern Augen
verändert: so bleibt schon der gemeine Verstand nicht
bey dem Ungedanken stehn, dieses Neue und jenes Alte
sey Eins und dasselbe; sondern er nimmt an, ein Zu-
sammen der Sache mit irgend einer andern Sache sey
entweder eingetreten oder aufgehoben. Das flüssige Was-
ser, in Eis verwandelt, habe Wärme verloren; dasselbe
als Dampf verflüchtigt, habe Wärme in sich genommen.
So wird die Schuld des anscheinenden Widerspruchs auf
etwas Fremdes geschoben. Dieses Fremde wird gedacht
als eingreifend, als sich verbindend mit dem, was
die Veränderung leidet; es wird also gedacht, wegen
einer Nothwendigkeit, die im Denken entsteht; es wird
nicht angeschaut, denn die Erfahrung begnügt sich viel-
mehr, uns in der sinnlichen Erscheinung das widerspre-
chende veränderliche Ding vor die Augen zu stellen. Uns
selbst bleibt es überlassen, getrieben vom Bedürfniss des
Denkens, unter den begleitenden Umständen der Erschei-
nung dasjenige aufzusuchen, auf welches wir die Schuld
des Widerspruchs abladen, welches wir als das Hinzu-
kommende oder Entweichende ansehen können.

Eine völlig fertige Kategorie der Ursache aber
ist hier eben so wenig zu finden, als vorhin eine Kate-
gorie der Substanz. Vielmehr wird das Zusammen der
Mehrern, in so fern daraus eine neue Erscheinung an
einem sonst wohlbekannten Gegenstande soll verstanden
werden, uns sogleich zum Räthsel, sobald wir uns fra-

*) Leibnit. op. ed. Dutens. Tom. II. pag. 35. §. 7.

so weit, daſs er fragte: warum vielmehr Etwas sey als
Nichts? *) Wir wollen uns beschränken, vom zureichen-
den Grunde der Veränderungen zu reden; und als-
dann wird sich die Nothwendigkeit, einen solchen Grund
anzunehmen, und damit der gesuchte Beweis jenes Satzes,
in dem Widerspruche finden, der nach §. 33. in dem
Begriffe eines veränderlichen Dinges enthalten ist.

Wenn eine Sache, die man als eine solche und
keine andre zu kennen glaubte, sich vor unsern Augen
verändert: so bleibt schon der gemeine Verstand nicht
bey dem Ungedanken stehn, dieses Neue und jenes Alte
sey Eins und dasselbe; sondern er nimmt an, ein Zu-
sammen der Sache mit irgend einer andern Sache sey
entweder eingetreten oder aufgehoben. Das flüssige Was-
ser, in Eis verwandelt, habe Wärme verloren; dasselbe
als Dampf verflüchtigt, habe Wärme in sich genommen.
So wird die Schuld des anscheinenden Widerspruchs auf
etwas Fremdes geschoben. Dieses Fremde wird gedacht
als eingreifend, als sich verbindend mit dem, was
die Veränderung leidet; es wird also gedacht, wegen
einer Nothwendigkeit, die im Denken entsteht; es wird
nicht angeschaut, denn die Erfahrung begnügt sich viel-
mehr, uns in der sinnlichen Erscheinung das widerspre-
chende veränderliche Ding vor die Augen zu stellen. Uns
selbst bleibt es überlassen, getrieben vom Bedürfniſs des
Denkens, unter den begleitenden Umständen der Erschei-
nung dasjenige aufzusuchen, auf welches wir die Schuld
des Widerspruchs abladen, welches wir als das Hinzu-
kommende oder Entweichende ansehen können.

Eine völlig fertige Kategorie der Ursache aber
ist hier eben so wenig zu finden, als vorhin eine Kate-
gorie der Substanz. Vielmehr wird das Zusammen der
Mehrern, in so fern daraus eine neue Erscheinung an
einem sonst wohlbekannten Gegenstande soll verstanden
werden, uns sogleich zum Räthsel, sobald wir uns fra-

*) Leibnit. op. ed. Dutens. Tom. II. pag. 35. §. 7.
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[136/0156] so weit, daſs er fragte: warum vielmehr Etwas sey als Nichts? *) Wir wollen uns beschränken, vom zureichen- den Grunde der Veränderungen zu reden; und als- dann wird sich die Nothwendigkeit, einen solchen Grund anzunehmen, und damit der gesuchte Beweis jenes Satzes, in dem Widerspruche finden, der nach §. 33. in dem Begriffe eines veränderlichen Dinges enthalten ist. Wenn eine Sache, die man als eine solche und keine andre zu kennen glaubte, sich vor unsern Augen verändert: so bleibt schon der gemeine Verstand nicht bey dem Ungedanken stehn, dieses Neue und jenes Alte sey Eins und dasselbe; sondern er nimmt an, ein Zu- sammen der Sache mit irgend einer andern Sache sey entweder eingetreten oder aufgehoben. Das flüssige Was- ser, in Eis verwandelt, habe Wärme verloren; dasselbe als Dampf verflüchtigt, habe Wärme in sich genommen. So wird die Schuld des anscheinenden Widerspruchs auf etwas Fremdes geschoben. Dieses Fremde wird gedacht als eingreifend, als sich verbindend mit dem, was die Veränderung leidet; es wird also gedacht, wegen einer Nothwendigkeit, die im Denken entsteht; es wird nicht angeschaut, denn die Erfahrung begnügt sich viel- mehr, uns in der sinnlichen Erscheinung das widerspre- chende veränderliche Ding vor die Augen zu stellen. Uns selbst bleibt es überlassen, getrieben vom Bedürfniſs des Denkens, unter den begleitenden Umständen der Erschei- nung dasjenige aufzusuchen, auf welches wir die Schuld des Widerspruchs abladen, welches wir als das Hinzu- kommende oder Entweichende ansehen können. Eine völlig fertige Kategorie der Ursache aber ist hier eben so wenig zu finden, als vorhin eine Kate- gorie der Substanz. Vielmehr wird das Zusammen der Mehrern, in so fern daraus eine neue Erscheinung an einem sonst wohlbekannten Gegenstande soll verstanden werden, uns sogleich zum Räthsel, sobald wir uns fra- *) Leibnit. op. ed. Dutens. Tom. II. pag. 35. §. 7.

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/156>, abgerufen am 24.11.2024.