Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite

lungen eingriffe, und sie dadurch in Spiegel seiner selbst
aus eigner Macht verwandelte, -- keinesweges bekannt.
Der Begriff des Ich setzt nicht das Subject als ein Thä-
tiges dem Selbstbewusstseyn voran: sondern er setzt es
in das Selbstbewusstseyn hinein, und bindet es an die
Identität mit dem Objecte. Wenn wir aber gleichwohl
in der Auflösung ein Subject überhaupt vorauszusetzen
scheinen: so geschieht dieses in dem Sinne, als wir bey
jedem Object ein Subject voraussetzen, für jedes Vorge-
stellte ein Vorstellendes annehmen müssen. Diesen Be-
griff würden wir überschreiten, wenn wir dem nämlichen
Subject, welchem irgend ein Bild vorschwebt, nun noch
ausser dem Vorstellen dieses Bildes sprungweise das Mo-
dificiren desselben Bildes zuschreiben wollten, wodurch
es bey Gelegenheit desselben seiner selbst gewahr wer-
den sollte. Ein solches Gewahr-werden ereignet sich
zwar wirklich, es geschieht aber nicht sprungweise, son-
dern im natürlichen Laufe objectiver Vorstellungen. Be-
sässe hingegen das Subject erstlich eine Thätigkeit al-
lerley Fremdes vorzustellen, und zweytens eine andre
Thätigkeit, sich selbst absolut über dem Vorstellen zu
ertappen: so geriethe es in den allgemeinen Wider-
spruch des Dinges mit mehrern Merkmalen hinein, wel-
chen wir in der letztern Hälfte des §. 33. entwickelt
haben.

Fragt man nun endlich noch, was für eine Gewiss-
heit unserer Methode denn eigen sey, dass vermöge ihrer
Bearbeitung die Widersprüche weichen müssten? so ist
die Antwort: eine solche Gewissheit ist der Methode ganz
und gar nicht eigen, und eben so wenig ihr jemals zu-
geschrieben worden. Die Gewissheit der Auflösbarkeit
müssen die Probleme selbst mit sich führen; und das ist
allemal der Fall, wenn ein gegebener Begriff, durch
welchen ein Reales gedacht werden soll
, einen
Widerspruch verräth. Dass im Begriff des Ich keine
Widersprüche stecken bleiben dürfen, fordert das Selbst-
bewusstseyn; und es verbürgt den Erfolg der Untersu-

lungen eingriffe, und sie dadurch in Spiegel seiner selbst
aus eigner Macht verwandelte, — keinesweges bekannt.
Der Begriff des Ich setzt nicht das Subject als ein Thä-
tiges dem Selbstbewuſstseyn voran: sondern er setzt es
in das Selbstbewuſstseyn hinein, und bindet es an die
Identität mit dem Objecte. Wenn wir aber gleichwohl
in der Auflösung ein Subject überhaupt vorauszusetzen
scheinen: so geschieht dieses in dem Sinne, als wir bey
jedem Object ein Subject voraussetzen, für jedes Vorge-
stellte ein Vorstellendes annehmen müssen. Diesen Be-
griff würden wir überschreiten, wenn wir dem nämlichen
Subject, welchem irgend ein Bild vorschwebt, nun noch
auſser dem Vorstellen dieses Bildes sprungweise das Mo-
dificiren desselben Bildes zuschreiben wollten, wodurch
es bey Gelegenheit desselben seiner selbst gewahr wer-
den sollte. Ein solches Gewahr-werden ereignet sich
zwar wirklich, es geschieht aber nicht sprungweise, son-
dern im natürlichen Laufe objectiver Vorstellungen. Be-
säſse hingegen das Subject erstlich eine Thätigkeit al-
lerley Fremdes vorzustellen, und zweytens eine andre
Thätigkeit, sich selbst absolut über dem Vorstellen zu
ertappen: so geriethe es in den allgemeinen Wider-
spruch des Dinges mit mehrern Merkmalen hinein, wel-
chen wir in der letztern Hälfte des §. 33. entwickelt
haben.

Fragt man nun endlich noch, was für eine Gewiſs-
heit unserer Methode denn eigen sey, daſs vermöge ihrer
Bearbeitung die Widersprüche weichen müſsten? so ist
die Antwort: eine solche Gewiſsheit ist der Methode ganz
und gar nicht eigen, und eben so wenig ihr jemals zu-
geschrieben worden. Die Gewiſsheit der Auflösbarkeit
müssen die Probleme selbst mit sich führen; und das ist
allemal der Fall, wenn ein gegebener Begriff, durch
welchen ein Reales gedacht werden soll
, einen
Widerspruch verräth. Daſs im Begriff des Ich keine
Widersprüche stecken bleiben dürfen, fordert das Selbst-
bewuſstseyn; und es verbürgt den Erfolg der Untersu-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0154" n="134"/>
lungen eingriffe, und sie dadurch in Spiegel seiner selbst<lb/>
aus eigner Macht verwandelte, &#x2014; keinesweges bekannt.<lb/>
Der Begriff des Ich setzt nicht das Subject als ein Thä-<lb/>
tiges dem Selbstbewu&#x017F;stseyn <hi rendition="#g">voran</hi>: sondern er setzt es<lb/>
in das Selbstbewu&#x017F;stseyn <hi rendition="#g">hinein</hi>, und bindet es an die<lb/>
Identität mit dem Objecte. Wenn wir aber gleichwohl<lb/>
in der Auflösung ein Subject überhaupt vorauszusetzen<lb/>
scheinen: so geschieht dieses in dem Sinne, als wir bey<lb/>
jedem Object ein Subject voraussetzen, für jedes Vorge-<lb/>
stellte ein Vorstellendes annehmen müssen. Diesen Be-<lb/>
griff würden wir überschreiten, wenn wir dem nämlichen<lb/>
Subject, welchem irgend ein Bild vorschwebt, nun noch<lb/>
au&#x017F;ser dem Vorstellen dieses Bildes sprungweise das Mo-<lb/>
dificiren desselben Bildes zuschreiben wollten, wodurch<lb/>
es bey Gelegenheit desselben seiner selbst gewahr wer-<lb/>
den sollte. Ein solches Gewahr-werden ereignet sich<lb/>
zwar wirklich, es geschieht aber nicht sprungweise, son-<lb/>
dern im natürlichen Laufe objectiver Vorstellungen. Be-<lb/>&#x017F;se hingegen das Subject erstlich <hi rendition="#g">eine</hi> Thätigkeit al-<lb/>
lerley Fremdes vorzustellen, und zweytens <hi rendition="#g">eine andre</hi><lb/>
Thätigkeit, sich selbst absolut über dem Vorstellen zu<lb/>
ertappen: so geriethe es in den allgemeinen Wider-<lb/>
spruch des Dinges mit mehrern Merkmalen hinein, wel-<lb/>
chen wir in der letztern Hälfte des §. 33. entwickelt<lb/>
haben.</p><lb/>
              <p>Fragt man nun endlich noch, was für eine Gewi&#x017F;s-<lb/>
heit unserer Methode denn eigen sey, da&#x017F;s vermöge ihrer<lb/>
Bearbeitung die Widersprüche weichen mü&#x017F;sten? so ist<lb/>
die Antwort: eine solche Gewi&#x017F;sheit ist der Methode ganz<lb/>
und gar nicht eigen, und eben so wenig ihr jemals zu-<lb/>
geschrieben worden. Die Gewi&#x017F;sheit der Auflösbarkeit<lb/>
müssen die Probleme selbst mit sich führen; und das ist<lb/>
allemal der Fall, wenn ein <hi rendition="#g">gegebener</hi> Begriff, <hi rendition="#g">durch<lb/>
welchen ein <hi rendition="#i">Reales</hi> gedacht werden soll</hi>, einen<lb/>
Widerspruch verräth. Da&#x017F;s im Begriff des Ich keine<lb/>
Widersprüche stecken bleiben dürfen, fordert das Selbst-<lb/>
bewu&#x017F;stseyn; und es verbürgt den Erfolg der Untersu-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[134/0154] lungen eingriffe, und sie dadurch in Spiegel seiner selbst aus eigner Macht verwandelte, — keinesweges bekannt. Der Begriff des Ich setzt nicht das Subject als ein Thä- tiges dem Selbstbewuſstseyn voran: sondern er setzt es in das Selbstbewuſstseyn hinein, und bindet es an die Identität mit dem Objecte. Wenn wir aber gleichwohl in der Auflösung ein Subject überhaupt vorauszusetzen scheinen: so geschieht dieses in dem Sinne, als wir bey jedem Object ein Subject voraussetzen, für jedes Vorge- stellte ein Vorstellendes annehmen müssen. Diesen Be- griff würden wir überschreiten, wenn wir dem nämlichen Subject, welchem irgend ein Bild vorschwebt, nun noch auſser dem Vorstellen dieses Bildes sprungweise das Mo- dificiren desselben Bildes zuschreiben wollten, wodurch es bey Gelegenheit desselben seiner selbst gewahr wer- den sollte. Ein solches Gewahr-werden ereignet sich zwar wirklich, es geschieht aber nicht sprungweise, son- dern im natürlichen Laufe objectiver Vorstellungen. Be- säſse hingegen das Subject erstlich eine Thätigkeit al- lerley Fremdes vorzustellen, und zweytens eine andre Thätigkeit, sich selbst absolut über dem Vorstellen zu ertappen: so geriethe es in den allgemeinen Wider- spruch des Dinges mit mehrern Merkmalen hinein, wel- chen wir in der letztern Hälfte des §. 33. entwickelt haben. Fragt man nun endlich noch, was für eine Gewiſs- heit unserer Methode denn eigen sey, daſs vermöge ihrer Bearbeitung die Widersprüche weichen müſsten? so ist die Antwort: eine solche Gewiſsheit ist der Methode ganz und gar nicht eigen, und eben so wenig ihr jemals zu- geschrieben worden. Die Gewiſsheit der Auflösbarkeit müssen die Probleme selbst mit sich führen; und das ist allemal der Fall, wenn ein gegebener Begriff, durch welchen ein Reales gedacht werden soll, einen Widerspruch verräth. Daſs im Begriff des Ich keine Widersprüche stecken bleiben dürfen, fordert das Selbst- bewuſstseyn; und es verbürgt den Erfolg der Untersu-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/154
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/154>, abgerufen am 24.11.2024.