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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.

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nungswelt erscheinen kann; dergestalt, dass sie nicht er-
scheinen würde, wenn diese Bedingungen nicht wären.
Hiebey ist von einem letzten Puncte, von einem einzi-
gen
Princip, -- von einem Talisman, dessen Besitz uns
zur Herrschaft über das gesammte Universum des Wis-
sens verhelfen würde, nicht aufs entfernteste die Rede.
Weiss Jemand die Bedingungen anzugeben, unter denen
allein es möglich ist, dass Materie erscheine: so findet
er hiemit die allgemeine Grundlehre der Naturphiloso-
phie. Weiss Jemand die Bedingungen anzugeben, unter
denen allein es möglich ist, dass ein Magnet, sammt sei-
ner Polarität, erscheine: so findet er hiemit einen be-
sondern Theil der Naturphilosophie. Weiss Jemand an-
zugeben, unter welchen Bedingungen es allein möglich
ist, dass die Totalität eines Gedankenkreises in der Form
der Ichheit eingeschlossen erscheine: so findet er hie-
mit die Anfänge der wahren Psychologie. Weiss er von
allen dem Nichts: so beharrt er in der Welt des Scheins,
die für ihn nur grösser und trüglicher wird, wenn er ne-
ben der sinnlichen Anschauung sich auch noch intel-
lectuale Anschauungen einbildet.

Uebrigens wird man mir sagen: es sey beynahe die
erste, früheste Schrift Schellings, gegen die ich hier
gesprochen. Ich weiss das, und weiss auch, wie der er-
ste Fehlgriff die folgenden erzeugt hat; die Verirrungen
des Meisters und die Thorheiten seiner Schüler.

Seit diese Thorheiten in Umlauf kamen, ist die
Philosophie mit einer Geschwindigkeit rückwärts gegan-
gen, die selbst mir, dem Zeitgenossen, beynahe unbe-
greiflich vorkommt; künftige Literatoren, wenn sie die
nüchternen Werke Kant's so nahe beysammen finden
mit der Deuteley, die heute Philosophie heisst, werden
den Jahrszahlen auf den Büchertiteln nicht trauen. Auch
sucht mehr und mehr die Gelehrsamkeit sich ohne Phi-
losophie zu behelfen; sie weiss, dass Ansichten, deren
Wandelbarkeit die Geschichte bezeugt, ihr wenig nützen
können. Die Schwärmerey kommt im Gefolge des Em-

nungswelt erscheinen kann; dergestalt, daſs sie nicht er-
scheinen würde, wenn diese Bedingungen nicht wären.
Hiebey ist von einem letzten Puncte, von einem einzi-
gen
Princip, — von einem Talisman, dessen Besitz uns
zur Herrschaft über das gesammte Universum des Wis-
sens verhelfen würde, nicht aufs entfernteste die Rede.
Weiſs Jemand die Bedingungen anzugeben, unter denen
allein es möglich ist, daſs Materie erscheine: so findet
er hiemit die allgemeine Grundlehre der Naturphiloso-
phie. Weiſs Jemand die Bedingungen anzugeben, unter
denen allein es möglich ist, daſs ein Magnet, sammt sei-
ner Polarität, erscheine: so findet er hiemit einen be-
sondern Theil der Naturphilosophie. Weiſs Jemand an-
zugeben, unter welchen Bedingungen es allein möglich
ist, daſs die Totalität eines Gedankenkreises in der Form
der Ichheit eingeschlossen erscheine: so findet er hie-
mit die Anfänge der wahren Psychologie. Weiſs er von
allen dem Nichts: so beharrt er in der Welt des Scheins,
die für ihn nur gröſser und trüglicher wird, wenn er ne-
ben der sinnlichen Anschauung sich auch noch intel-
lectuale Anschauungen einbildet.

Uebrigens wird man mir sagen: es sey beynahe die
erste, früheste Schrift Schellings, gegen die ich hier
gesprochen. Ich weiſs das, und weiſs auch, wie der er-
ste Fehlgriff die folgenden erzeugt hat; die Verirrungen
des Meisters und die Thorheiten seiner Schüler.

Seit diese Thorheiten in Umlauf kamen, ist die
Philosophie mit einer Geschwindigkeit rückwärts gegan-
gen, die selbst mir, dem Zeitgenossen, beynahe unbe-
greiflich vorkommt; künftige Literatoren, wenn sie die
nüchternen Werke Kant’s so nahe beysammen finden
mit der Deuteley, die heute Philosophie heiſst, werden
den Jahrszahlen auf den Büchertiteln nicht trauen. Auch
sucht mehr und mehr die Gelehrsamkeit sich ohne Phi-
losophie zu behelfen; sie weiſs, daſs Ansichten, deren
Wandelbarkeit die Geschichte bezeugt, ihr wenig nützen
können. Die Schwärmerey kommt im Gefolge des Em-

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[117/0137] nungswelt erscheinen kann; dergestalt, daſs sie nicht er- scheinen würde, wenn diese Bedingungen nicht wären. Hiebey ist von einem letzten Puncte, von einem einzi- gen Princip, — von einem Talisman, dessen Besitz uns zur Herrschaft über das gesammte Universum des Wis- sens verhelfen würde, nicht aufs entfernteste die Rede. Weiſs Jemand die Bedingungen anzugeben, unter denen allein es möglich ist, daſs Materie erscheine: so findet er hiemit die allgemeine Grundlehre der Naturphiloso- phie. Weiſs Jemand die Bedingungen anzugeben, unter denen allein es möglich ist, daſs ein Magnet, sammt sei- ner Polarität, erscheine: so findet er hiemit einen be- sondern Theil der Naturphilosophie. Weiſs Jemand an- zugeben, unter welchen Bedingungen es allein möglich ist, daſs die Totalität eines Gedankenkreises in der Form der Ichheit eingeschlossen erscheine: so findet er hie- mit die Anfänge der wahren Psychologie. Weiſs er von allen dem Nichts: so beharrt er in der Welt des Scheins, die für ihn nur gröſser und trüglicher wird, wenn er ne- ben der sinnlichen Anschauung sich auch noch intel- lectuale Anschauungen einbildet. Uebrigens wird man mir sagen: es sey beynahe die erste, früheste Schrift Schellings, gegen die ich hier gesprochen. Ich weiſs das, und weiſs auch, wie der er- ste Fehlgriff die folgenden erzeugt hat; die Verirrungen des Meisters und die Thorheiten seiner Schüler. Seit diese Thorheiten in Umlauf kamen, ist die Philosophie mit einer Geschwindigkeit rückwärts gegan- gen, die selbst mir, dem Zeitgenossen, beynahe unbe- greiflich vorkommt; künftige Literatoren, wenn sie die nüchternen Werke Kant’s so nahe beysammen finden mit der Deuteley, die heute Philosophie heiſst, werden den Jahrszahlen auf den Büchertiteln nicht trauen. Auch sucht mehr und mehr die Gelehrsamkeit sich ohne Phi- losophie zu behelfen; sie weiſs, daſs Ansichten, deren Wandelbarkeit die Geschichte bezeugt, ihr wenig nützen können. Die Schwärmerey kommt im Gefolge des Em-

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/137>, abgerufen am 21.11.2024.