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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.

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ges Kräfte, aber sie werden es vermöge ihres
Gegensatzes unter einander
.

Sollen nun diese Behauptungen bewiesen werden, so
bedarf es dazu offenbar der allgemein-metaphysischen
Lehren von Substanz und Kraft.

Aber sollten dieselben Behauptungen bestritten
werden: so bedarf es dazu etwas mehr als der bisher be-
kannten kritischen oder idealistischen oder naturphiloso-
phischen Systeme. Denn keins von diesen allen ist dar-
auf gefasst, mit den Widersprüchen im Begriff des Ich
zu kämpfen. Keins hat dieselben genau erwogen; überall
sehen wir mit gleichem Leichtsinn das Ich entweder ab-
solut hingestellt, oder von anderem abgeleitet, oder an
anderes angeknüpft; immer zum Verderben der Systeme,
und immer um so mehr, je mehr sie die Betrachtung des
erkennenden Subjectes selbst, zum Mittelpuncte ihrer Un-
tersuchungen machen.

Anmerkung.

Wer die idealistischen und naturphilosophischen Leh-
ren, von denen hier die Rede ist, noch nicht kennt, der
muss Anstalt machen, sie wenigstens aus einigen Proben
kennen zu lernen. Auf Fichte's Wissenschaftslehre,
und die darauf gebaute Sittenlehre, als auf die eigentlichen
Hauptwerke dieser Art, sollte ich ihn hinweisen, wenn
von gründlichem historischen Studium die Rede wäre;
allein, wer es wagt, diese Schriften ernstlich zu studiren,
der wird viel Zeit daran verlieren, und er darf nur auf
geringen Gewinn rechnen. Kürzer gelangt man in der
Hauptsache zum Ziele durch Schellings Schrift über
das Ich, vom Jahre 1795. Hier zeigt sich der falsche
Enthusiasmus, welcher seitdem der Philosophie so viel
Schaden zufügte, schon mit aller seiner Verkehrtheit, aber
noch in jugendlicher Liebenswürdigkeit; und was, in Hin-
sicht seiner, eigentlich allein wissenswürdig ist, man lernt
hier sein Entstehen begreifen. Hier sieht man zugleich
das Kleben an Auctoritäten, und das Streben, sich über

I. H

ges Kräfte, aber sie werden es vermöge ihres
Gegensatzes unter einander
.

Sollen nun diese Behauptungen bewiesen werden, so
bedarf es dazu offenbar der allgemein-metaphysischen
Lehren von Substanz und Kraft.

Aber sollten dieselben Behauptungen bestritten
werden: so bedarf es dazu etwas mehr als der bisher be-
kannten kritischen oder idealistischen oder naturphiloso-
phischen Systeme. Denn keins von diesen allen ist dar-
auf gefaſst, mit den Widersprüchen im Begriff des Ich
zu kämpfen. Keins hat dieselben genau erwogen; überall
sehen wir mit gleichem Leichtsinn das Ich entweder ab-
solut hingestellt, oder von anderem abgeleitet, oder an
anderes angeknüpft; immer zum Verderben der Systeme,
und immer um so mehr, je mehr sie die Betrachtung des
erkennenden Subjectes selbst, zum Mittelpuncte ihrer Un-
tersuchungen machen.

Anmerkung.

Wer die idealistischen und naturphilosophischen Leh-
ren, von denen hier die Rede ist, noch nicht kennt, der
muſs Anstalt machen, sie wenigstens aus einigen Proben
kennen zu lernen. Auf Fichte’s Wissenschaftslehre,
und die darauf gebaute Sittenlehre, als auf die eigentlichen
Hauptwerke dieser Art, sollte ich ihn hinweisen, wenn
von gründlichem historischen Studium die Rede wäre;
allein, wer es wagt, diese Schriften ernstlich zu studiren,
der wird viel Zeit daran verlieren, und er darf nur auf
geringen Gewinn rechnen. Kürzer gelangt man in der
Hauptsache zum Ziele durch Schellings Schrift über
das Ich, vom Jahre 1795. Hier zeigt sich der falsche
Enthusiasmus, welcher seitdem der Philosophie so viel
Schaden zufügte, schon mit aller seiner Verkehrtheit, aber
noch in jugendlicher Liebenswürdigkeit; und was, in Hin-
sicht seiner, eigentlich allein wissenswürdig ist, man lernt
hier sein Entstehen begreifen. Hier sieht man zugleich
das Kleben an Auctoritäten, und das Streben, sich über

I. H
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[113/0133] ges Kräfte, aber sie werden es vermöge ihres Gegensatzes unter einander. Sollen nun diese Behauptungen bewiesen werden, so bedarf es dazu offenbar der allgemein-metaphysischen Lehren von Substanz und Kraft. Aber sollten dieselben Behauptungen bestritten werden: so bedarf es dazu etwas mehr als der bisher be- kannten kritischen oder idealistischen oder naturphiloso- phischen Systeme. Denn keins von diesen allen ist dar- auf gefaſst, mit den Widersprüchen im Begriff des Ich zu kämpfen. Keins hat dieselben genau erwogen; überall sehen wir mit gleichem Leichtsinn das Ich entweder ab- solut hingestellt, oder von anderem abgeleitet, oder an anderes angeknüpft; immer zum Verderben der Systeme, und immer um so mehr, je mehr sie die Betrachtung des erkennenden Subjectes selbst, zum Mittelpuncte ihrer Un- tersuchungen machen. Anmerkung. Wer die idealistischen und naturphilosophischen Leh- ren, von denen hier die Rede ist, noch nicht kennt, der muſs Anstalt machen, sie wenigstens aus einigen Proben kennen zu lernen. Auf Fichte’s Wissenschaftslehre, und die darauf gebaute Sittenlehre, als auf die eigentlichen Hauptwerke dieser Art, sollte ich ihn hinweisen, wenn von gründlichem historischen Studium die Rede wäre; allein, wer es wagt, diese Schriften ernstlich zu studiren, der wird viel Zeit daran verlieren, und er darf nur auf geringen Gewinn rechnen. Kürzer gelangt man in der Hauptsache zum Ziele durch Schellings Schrift über das Ich, vom Jahre 1795. Hier zeigt sich der falsche Enthusiasmus, welcher seitdem der Philosophie so viel Schaden zufügte, schon mit aller seiner Verkehrtheit, aber noch in jugendlicher Liebenswürdigkeit; und was, in Hin- sicht seiner, eigentlich allein wissenswürdig ist, man lernt hier sein Entstehen begreifen. Hier sieht man zugleich das Kleben an Auctoritäten, und das Streben, sich über I. H

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/133>, abgerufen am 24.11.2024.