Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite

Mehr oder Weniger geschehn, wenn nicht eben die Neu-
heit der Sache hierin noch Gränzen setzte. Der analy-
tische Theil aber muss sich nach dem synthetischen rich-
ten, in so fern in ihm keine Untersuchung ganz selbst-
ständig, sondern jede unter Voraussetzung des zuvor Be-
kannten soll geführt werden.

Um nun diesem Buche Rundung und Ganzheit zu
geben: wählen wir das Ich, damit es nicht bloss den An-
fang, sondern auch das Ende der Abhandlung bezeichne.
Denn es muss hier vorausgesagt werden, dass aus die-
sem Erkenntnissprincip viel früher die mathematische
Betrachtungsart der gesammten Psychologie hervortritt,
als die vollständige Auflösung des in ihm enthaltenen
Problems sich gewinnen lässt. Daher wird es nothwen-
dig, dieses Problem, nachdem die ersten Schritte zu sei-
ner Erklärung geschehn sind, auf langehin bey Seite zu
legen; und so kann es, wenn nicht das Vehiculum, doch
den Rahmen bilden, der alle die übrigen hier anzustel-
lenden Untersuchungen einschliesse.

Indessen wird man bald wahrnehmen, dass nicht die
Lehre vom Ich, sondern von den Gegensätzen und Hem-
mungen unserer Vorstellungen unter einander, den Haupt-
stamm der Forschung ausmacht. Diese Gegensätze fin-
den sich unmittelbar in der Beobachtung; und in so fern
hängt ihre Betrachtung nicht einmal nothwendig ab von
der vorgängigen Untersuchung des Ich; jedoch bringt die
letztere den Vortheil, jene mit mehr Bestimmtheit, und
mit mehr Einsicht in ihre grosse Wichtigkeit, einzufüh-
ren. Auch lassen sich auf solchem Wege die nöthigen
Erörterungen aus der allgemeinen Metaphysik bequem
hinzufügen; welche gegen das Ende des ersten Abschnit-
tes ihre Stelle finden sollen.


Mehr oder Weniger geschehn, wenn nicht eben die Neu-
heit der Sache hierin noch Gränzen setzte. Der analy-
tische Theil aber muſs sich nach dem synthetischen rich-
ten, in so fern in ihm keine Untersuchung ganz selbst-
ständig, sondern jede unter Voraussetzung des zuvor Be-
kannten soll geführt werden.

Um nun diesem Buche Rundung und Ganzheit zu
geben: wählen wir das Ich, damit es nicht bloſs den An-
fang, sondern auch das Ende der Abhandlung bezeichne.
Denn es muſs hier vorausgesagt werden, daſs aus die-
sem Erkenntniſsprincip viel früher die mathematische
Betrachtungsart der gesammten Psychologie hervortritt,
als die vollständige Auflösung des in ihm enthaltenen
Problems sich gewinnen läſst. Daher wird es nothwen-
dig, dieses Problem, nachdem die ersten Schritte zu sei-
ner Erklärung geschehn sind, auf langehin bey Seite zu
legen; und so kann es, wenn nicht das Vehiculum, doch
den Rahmen bilden, der alle die übrigen hier anzustel-
lenden Untersuchungen einschlieſse.

Indessen wird man bald wahrnehmen, daſs nicht die
Lehre vom Ich, sondern von den Gegensätzen und Hem-
mungen unserer Vorstellungen unter einander, den Haupt-
stamm der Forschung ausmacht. Diese Gegensätze fin-
den sich unmittelbar in der Beobachtung; und in so fern
hängt ihre Betrachtung nicht einmal nothwendig ab von
der vorgängigen Untersuchung des Ich; jedoch bringt die
letztere den Vortheil, jene mit mehr Bestimmtheit, und
mit mehr Einsicht in ihre groſse Wichtigkeit, einzufüh-
ren. Auch lassen sich auf solchem Wege die nöthigen
Erörterungen aus der allgemeinen Metaphysik bequem
hinzufügen; welche gegen das Ende des ersten Abschnit-
tes ihre Stelle finden sollen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0102" n="82"/>
Mehr oder Weniger geschehn, wenn nicht eben die Neu-<lb/>
heit der Sache hierin noch Gränzen setzte. Der analy-<lb/>
tische Theil aber mu&#x017F;s sich nach dem synthetischen rich-<lb/>
ten, in so fern in ihm keine Untersuchung ganz selbst-<lb/>
ständig, sondern jede unter Voraussetzung des zuvor Be-<lb/>
kannten soll geführt werden.</p><lb/>
            <p>Um nun diesem Buche Rundung und Ganzheit zu<lb/>
geben: wählen wir das Ich, damit es nicht blo&#x017F;s den An-<lb/>
fang, sondern auch das Ende der Abhandlung bezeichne.<lb/>
Denn es mu&#x017F;s hier vorausgesagt werden, da&#x017F;s aus die-<lb/>
sem Erkenntni&#x017F;sprincip viel früher die mathematische<lb/>
Betrachtungsart der gesammten Psychologie hervortritt,<lb/>
als die vollständige Auflösung des in ihm enthaltenen<lb/>
Problems sich gewinnen lä&#x017F;st. Daher wird es nothwen-<lb/>
dig, dieses Problem, nachdem die ersten Schritte zu sei-<lb/>
ner Erklärung geschehn sind, auf langehin bey Seite zu<lb/>
legen; und so kann es, wenn nicht das Vehiculum, doch<lb/>
den Rahmen bilden, der alle die übrigen hier anzustel-<lb/>
lenden Untersuchungen einschlie&#x017F;se.</p><lb/>
            <p>Indessen wird man bald wahrnehmen, da&#x017F;s nicht die<lb/>
Lehre vom Ich, sondern von den Gegensätzen und Hem-<lb/>
mungen unserer Vorstellungen unter einander, den Haupt-<lb/>
stamm der Forschung ausmacht. Diese Gegensätze fin-<lb/>
den sich unmittelbar in der Beobachtung; und in so fern<lb/>
hängt ihre Betrachtung nicht einmal nothwendig ab von<lb/>
der vorgängigen Untersuchung des Ich; jedoch bringt die<lb/>
letztere den Vortheil, jene mit mehr Bestimmtheit, und<lb/>
mit mehr Einsicht in ihre gro&#x017F;se Wichtigkeit, einzufüh-<lb/>
ren. Auch lassen sich auf solchem Wege die nöthigen<lb/>
Erörterungen aus der allgemeinen Metaphysik bequem<lb/>
hinzufügen; welche gegen das Ende des ersten Abschnit-<lb/>
tes ihre Stelle finden sollen.</p>
          </div>
        </div>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[82/0102] Mehr oder Weniger geschehn, wenn nicht eben die Neu- heit der Sache hierin noch Gränzen setzte. Der analy- tische Theil aber muſs sich nach dem synthetischen rich- ten, in so fern in ihm keine Untersuchung ganz selbst- ständig, sondern jede unter Voraussetzung des zuvor Be- kannten soll geführt werden. Um nun diesem Buche Rundung und Ganzheit zu geben: wählen wir das Ich, damit es nicht bloſs den An- fang, sondern auch das Ende der Abhandlung bezeichne. Denn es muſs hier vorausgesagt werden, daſs aus die- sem Erkenntniſsprincip viel früher die mathematische Betrachtungsart der gesammten Psychologie hervortritt, als die vollständige Auflösung des in ihm enthaltenen Problems sich gewinnen läſst. Daher wird es nothwen- dig, dieses Problem, nachdem die ersten Schritte zu sei- ner Erklärung geschehn sind, auf langehin bey Seite zu legen; und so kann es, wenn nicht das Vehiculum, doch den Rahmen bilden, der alle die übrigen hier anzustel- lenden Untersuchungen einschlieſse. Indessen wird man bald wahrnehmen, daſs nicht die Lehre vom Ich, sondern von den Gegensätzen und Hem- mungen unserer Vorstellungen unter einander, den Haupt- stamm der Forschung ausmacht. Diese Gegensätze fin- den sich unmittelbar in der Beobachtung; und in so fern hängt ihre Betrachtung nicht einmal nothwendig ab von der vorgängigen Untersuchung des Ich; jedoch bringt die letztere den Vortheil, jene mit mehr Bestimmtheit, und mit mehr Einsicht in ihre groſse Wichtigkeit, einzufüh- ren. Auch lassen sich auf solchem Wege die nöthigen Erörterungen aus der allgemeinen Metaphysik bequem hinzufügen; welche gegen das Ende des ersten Abschnit- tes ihre Stelle finden sollen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/102
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/102>, abgerufen am 03.12.2024.