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Helmholtz, Hermann von: Über die Erhaltung der Kraft. Berlin, 1847.

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zuführen seien, ob also die Natur vollständig begreiflich
sein müsse, oder ob es Veränderungen in ihr gebe, die sich
dem Gesetze einer nothwendigen Causalität entziehen, die
also in das Gebiet einer Spontaneität, Freiheit, fallen, ist
hier nicht der Ort zu entscheiden; jedenfalls ist es klar,
dass die Wissenschaft, deren Zweck es ist, die Natur zu
begreifen, von der Voraussetzung ihrer Begreiflichkeit aus-
gehen müsse, und dieser Voraussetzung gemäss schliessen
und untersuchen, bis sie vielleicht durch unwiderlegliche
Facta zur Anerkenntniss ihrer Schranken genöthigt sein sollte.

Die Wissenschaft betrachtet die Gegenstände der Aussen-
welt nach zweierlei Abstractionen: einmal ihrem blossen
Dasein nach, abgesehen von ihren Wirkungen auf andere
Gegenstände oder unsere Sinnesorgane; als solche bezeichnet
sie dieselben als Materie. Das Dasein der Materie an sich
ist uns also ein ruhiges, wirkungsloses; wir unterscheiden
an ihr die räumliche Vertheilung und die Quantität (Masse),
welche als ewig unveränderlich gesetzt wird. Qualitative
Unterschiede dürfen wir der Materie an sich nicht zuschrei-
ben, denn wenn wir von verschiedenartigen Materien spre-
chen, so setzen wir ihre Verschiedenheit immer nur in die
Verschiedenheit ihrer Wirkungen d. h. in ihre Kräfte. Die
Materie an sich kann deshalb auch keine andere Verände-
rung eingehen, als eine räumliche, d. h. Bewegung. Die
Gegenstände der Natur sind aber nicht wirkungslos, ja wir
kommen überhaupt zu ihrer Kenntniss nur durch die Wir-
kungen, welche von ihnen aus auf unsere Sinnesorgane er-
folgen, indem wir aus diesen Wirkungen auf ein Wirkendes
schliessen. Wenn wir also den Begriff der Materie in der
Wirklichkeit anwenden wollen, so dürfen wir dies nur, in-
dem wir durch eine zweite Abstraction demselben wiederum

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zuführen seien, ob also die Natur vollständig begreiflich
sein müsse, oder ob es Veränderungen in ihr gebe, die sich
dem Gesetze einer nothwendigen Causalität entziehen, die
also in das Gebiet einer Spontaneität, Freiheit, fallen, ist
hier nicht der Ort zu entscheiden; jedenfalls ist es klar,
dass die Wissenschaft, deren Zweck es ist, die Natur zu
begreifen, von der Voraussetzung ihrer Begreiflichkeit aus-
gehen müsse, und dieser Voraussetzung gemäss schliessen
und untersuchen, bis sie vielleicht durch unwiderlegliche
Facta zur Anerkenntniss ihrer Schranken genöthigt sein sollte.

Die Wissenschaft betrachtet die Gegenstände der Aussen-
welt nach zweierlei Abstractionen: einmal ihrem blossen
Dasein nach, abgesehen von ihren Wirkungen auf andere
Gegenstände oder unsere Sinnesorgane; als solche bezeichnet
sie dieselben als Materie. Das Dasein der Materie an sich
ist uns also ein ruhiges, wirkungsloses; wir unterscheiden
an ihr die räumliche Vertheilung und die Quantität (Masse),
welche als ewig unveränderlich gesetzt wird. Qualitative
Unterschiede dürfen wir der Materie an sich nicht zuschrei-
ben, denn wenn wir von verschiedenartigen Materien spre-
chen, so setzen wir ihre Verschiedenheit immer nur in die
Verschiedenheit ihrer Wirkungen d. h. in ihre Kräfte. Die
Materie an sich kann deshalb auch keine andere Verände-
rung eingehen, als eine räumliche, d. h. Bewegung. Die
Gegenstände der Natur sind aber nicht wirkungslos, ja wir
kommen überhaupt zu ihrer Kenntniss nur durch die Wir-
kungen, welche von ihnen aus auf unsere Sinnesorgane er-
folgen, indem wir aus diesen Wirkungen auf ein Wirkendes
schliessen. Wenn wir also den Begriff der Materie in der
Wirklichkeit anwenden wollen, so dürfen wir dies nur, in-
dem wir durch eine zweite Abstraction demselben wiederum

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[3/0013] zuführen seien, ob also die Natur vollständig begreiflich sein müsse, oder ob es Veränderungen in ihr gebe, die sich dem Gesetze einer nothwendigen Causalität entziehen, die also in das Gebiet einer Spontaneität, Freiheit, fallen, ist hier nicht der Ort zu entscheiden; jedenfalls ist es klar, dass die Wissenschaft, deren Zweck es ist, die Natur zu begreifen, von der Voraussetzung ihrer Begreiflichkeit aus- gehen müsse, und dieser Voraussetzung gemäss schliessen und untersuchen, bis sie vielleicht durch unwiderlegliche Facta zur Anerkenntniss ihrer Schranken genöthigt sein sollte. Die Wissenschaft betrachtet die Gegenstände der Aussen- welt nach zweierlei Abstractionen: einmal ihrem blossen Dasein nach, abgesehen von ihren Wirkungen auf andere Gegenstände oder unsere Sinnesorgane; als solche bezeichnet sie dieselben als Materie. Das Dasein der Materie an sich ist uns also ein ruhiges, wirkungsloses; wir unterscheiden an ihr die räumliche Vertheilung und die Quantität (Masse), welche als ewig unveränderlich gesetzt wird. Qualitative Unterschiede dürfen wir der Materie an sich nicht zuschrei- ben, denn wenn wir von verschiedenartigen Materien spre- chen, so setzen wir ihre Verschiedenheit immer nur in die Verschiedenheit ihrer Wirkungen d. h. in ihre Kräfte. Die Materie an sich kann deshalb auch keine andere Verände- rung eingehen, als eine räumliche, d. h. Bewegung. Die Gegenstände der Natur sind aber nicht wirkungslos, ja wir kommen überhaupt zu ihrer Kenntniss nur durch die Wir- kungen, welche von ihnen aus auf unsere Sinnesorgane er- folgen, indem wir aus diesen Wirkungen auf ein Wirkendes schliessen. Wenn wir also den Begriff der Materie in der Wirklichkeit anwenden wollen, so dürfen wir dies nur, in- dem wir durch eine zweite Abstraction demselben wiederum 1*

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Zitationshilfe: Helmholtz, Hermann von: Über die Erhaltung der Kraft. Berlin, 1847, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/helmholtz_erhaltung_1847/13>, abgerufen am 29.03.2024.