gerecht sey, auch ohne den Olympischen Jupiter vor sich zu haben.
Und gewiß, wem zuerst die Idee von der Grup- pe des Laokoon in der Seele aufging, und wer in seinem Herzen, in seiner Hand Muth und Fertig- keit genug fühlte, sie auszuführen: der war zum Bildhauer gebohren, wie Sophokles zum Dich- ter. Man darf kein großer Psycholog seyn, um zu erkennen, daß das Ganze nur von einem Wesen stammt, und daß die zwey andern Trium- virn allein ihre Geschicklichkeit dazu herliehen.
Die schönsten Formen aller Art an der Doppelgattung des menschlichen Körpers wa- ren von dem feinsten Gefühl, dem heitersten griechischen Sinn in den manchen tausend Statuen schier erschöpft, als die Götterkraft un- sers Geistes im Agesander noch den kühnsten Flug begann, und alles überschwebte.
Der hohe Meister fand den herrlichsten Vorwurf zu seinem Kunstwerk in der griechischen
Reli-
gerecht ſey, auch ohne den Olympiſchen Jupiter vor ſich zu haben.
Und gewiß, wem zuerſt die Idee von der Grup- pe des Laokoon in der Seele aufging, und wer in ſeinem Herzen, in ſeiner Hand Muth und Fertig- keit genug fuͤhlte, ſie auszufuͤhren: der war zum Bildhauer gebohren, wie Sophokles zum Dich- ter. Man darf kein großer Pſycholog ſeyn, um zu erkennen, daß das Ganze nur von einem Weſen ſtammt, und daß die zwey andern Trium- virn allein ihre Geſchicklichkeit dazu herliehen.
Die ſchoͤnſten Formen aller Art an der Doppelgattung des menſchlichen Koͤrpers wa- ren von dem feinſten Gefuͤhl, dem heiterſten griechiſchen Sinn in den manchen tauſend Statuen ſchier erſchoͤpft, als die Goͤtterkraft un- ſers Geiſtes im Ageſander noch den kuͤhnſten Flug begann, und alles uͤberſchwebte.
Der hohe Meiſter fand den herrlichſten Vorwurf zu ſeinem Kunſtwerk in der griechiſchen
Reli-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0087"n="79"/>
gerecht ſey, auch ohne den Olympiſchen Jupiter<lb/>
vor ſich zu haben.</p><lb/><p>Und gewiß, wem zuerſt die Idee von der Grup-<lb/>
pe des Laokoon in der Seele aufging, und wer in<lb/>ſeinem Herzen, in ſeiner Hand Muth und Fertig-<lb/>
keit genug fuͤhlte, ſie auszufuͤhren: der war zum<lb/>
Bildhauer gebohren, wie Sophokles zum Dich-<lb/>
ter. Man darf kein großer Pſycholog ſeyn,<lb/>
um zu erkennen, daß das Ganze nur von einem<lb/>
Weſen ſtammt, und daß die zwey andern Trium-<lb/>
virn allein ihre Geſchicklichkeit dazu herliehen.</p><lb/><p>Die ſchoͤnſten Formen aller Art an der<lb/>
Doppelgattung des menſchlichen Koͤrpers wa-<lb/>
ren von dem feinſten Gefuͤhl, dem heiterſten<lb/>
griechiſchen Sinn in den manchen tauſend<lb/>
Statuen ſchier erſchoͤpft, als die Goͤtterkraft un-<lb/>ſers Geiſtes im Ageſander noch den kuͤhnſten<lb/>
Flug begann, und alles uͤberſchwebte.</p><lb/><p>Der hohe Meiſter fand den herrlichſten<lb/>
Vorwurf zu ſeinem Kunſtwerk in der griechiſchen<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Reli-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[79/0087]
gerecht ſey, auch ohne den Olympiſchen Jupiter
vor ſich zu haben.
Und gewiß, wem zuerſt die Idee von der Grup-
pe des Laokoon in der Seele aufging, und wer in
ſeinem Herzen, in ſeiner Hand Muth und Fertig-
keit genug fuͤhlte, ſie auszufuͤhren: der war zum
Bildhauer gebohren, wie Sophokles zum Dich-
ter. Man darf kein großer Pſycholog ſeyn,
um zu erkennen, daß das Ganze nur von einem
Weſen ſtammt, und daß die zwey andern Trium-
virn allein ihre Geſchicklichkeit dazu herliehen.
Die ſchoͤnſten Formen aller Art an der
Doppelgattung des menſchlichen Koͤrpers wa-
ren von dem feinſten Gefuͤhl, dem heiterſten
griechiſchen Sinn in den manchen tauſend
Statuen ſchier erſchoͤpft, als die Goͤtterkraft un-
ſers Geiſtes im Ageſander noch den kuͤhnſten
Flug begann, und alles uͤberſchwebte.
Der hohe Meiſter fand den herrlichſten
Vorwurf zu ſeinem Kunſtwerk in der griechiſchen
Reli-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 2. Lemgo, 1787, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787/87>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.